Mittwoch, 22. Oktober 2025

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Die Arbeit in einer Suchtberatungsstelle ist vor allem eines: abwechslungsreich. Die Menschen, die zu uns kommen, bringen ganz unterschiedliche Geschichten, Lebensumstände und Probleme mit. Manche suchen akut Hilfe, andere kommen auf äußeren Druck, zum Beispiel durch das Gericht oder das Jugendamt. Wir versuchen, sie dort „abzuholen“, wo sie aktuell stehen. Das kann durch entlastende Gespräche, die Vermittlung in eine Fachklinik oder die Begleitung und Unterstützung im Alltag im Rahmen des Betreuten Wohnens geschehen.

Generell ist das Arbeitsfeld sehr vielfältig und kann je nach Einsatzgebiet ganz unterschiedlich aussehen: Für die Kolleg*innen in der Suchtprävention bedeutet ein typischer Arbeitstag zum Beispiel, Workshops in Schulen oder in Kooperation mit der Jugendpflege in verschiedenen Kommunen durchzuführen. Für unser therapeutisches Team hingegen besteht der Alltag eher aus Einzel- und Gruppentherapiesitzungen.

In all dieser Abwechslung steckt jedoch auch viel Herausforderung: Häufig sind Arbeitsabläufe nicht vollständig planbar. Es braucht viel Kreativität und Flexibilität, um spontan auf unterschiedliche Situationen, insbesondere auf Notfälle, reagieren zu können. Auch sind die Geschichten, die man tagtäglich hört, oft von Leid und Schicksalsschlägen geprägt. Hier ist es wichtig, den Menschen mit Mitgefühl zu begegnen, gleichzeitig aber die eigenen Grenzen zu kennen und zu wahren, um selbst gesund bleiben zu können. Der regelmäßige Austausch im Team und die Möglichkeit zur Supervision helfen dabei, diese Balance zu halten und sich selbst zu entlasten.

Mitunter können auch äußere Umstände frustrieren: Oft fehlt es an ausreichender Finanzierung für sinnvolle Projektideen oder es mangelt an Personal. Manche Menschen fallen durch das Raster, weil passende Angebote fehlen. Hier braucht es vor allem eine Politik und Verwaltung, die zuhört, sowohl den Fachkräften als auch, und ganz besonders, den Stimmen der Betroffenen. Wenn das gelingt, kann wirklich etwas bewegt werden. In der Praxis erlebt man täglich, wie gewinnbringend es ist, wenn verschiedene Akteure an einem Strang ziehen, sei es in Kooperation mit der Wohnungsnotfallhilfe, dem Jugendamt oder dem Jobcenter.

Wenn du dich für die Arbeit in der Suchthilfe interessierst, erwartet dich ein wirklich abwechslungsreiches Tätigkeitsfeld mit vielfältigen Fort- und Weiterbildungsmöglichkeiten. Dir sollte jedoch bewusst sein, dass du mit Menschen in extremen Lebenslagen arbeiten wirst, mit Erfahrungen von Gewalt, Armut, Trauma und vielem mehr. Manchmal lähmt das System, und du brauchst Geduld sowie ein gutes Maß an Frustrationstoleranz, um neben der Arbeit am Menschen auch den vielfältigen bürokratischen Anforderungen und den umfangreichen Dokumentationspflichten gerecht zu werden. Du solltest bereit sein, deine eigene Haltung immer wieder zu reflektieren. Und ganz wichtig: Die Arbeit ist kein Retter*innenjob. Wenn du Menschen helfen willst, um dich selbst besser zu fühlen, wirst du schnell an Grenzen stoßen. Denn: Du bist Wegbegleiter*in, nicht Heiler*in.

Vielleicht fragst du dich jetzt, wofür sich das Ganze lohnt: Du arbeitest mit echter Menschlichkeit und es gibt Momente, in denen deine Arbeit einen echten Unterschied macht: Manchmal im Kleinen, manchmal lebensverändernd. Du wirst persönlich und fachlich wachsen, lernen, komplexe Zusammenhänge zu verstehen und eine klare Haltung sowie starke Kommunikationsfähigkeiten entwickeln. Und: Du arbeitest mit Sinn. Auch wenn es manchmal schwer ist, weißt du, wofür du morgens aufstehst. Die Verbindung mit Menschen, das Erleben von Vertrauen, Veränderung und echter Begegnung, all das ist unbezahlbar. Also: Wer in einer Suchtberatungsstelle arbeiten will, braucht Herz, Rückgrat, Geduld und Humor. Es ist kein leichter Job, aber vielleicht einer der wertvollsten, für einen selbst und für das Gegenüber, wenn man sich ehrlich darauf einlässt. Und es ist ein Job, den ich jederzeit wieder ergreifen würde, wenn ich noch einmal die Wahl hätte.


Foto: (Privat)

Florian Frank ist Sozialarbeiter & Suchttherapeut und leitet das Suchthilfezentrum in Gießen. Er ist seit 2018 in verschiedenen Bereichen der Suchthilfe tätig.

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