Mittwoch, 22. Oktober 2025

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Wenn ich morgens das Büro im Jobcenter betrete, startet ein Tag voller Gegensätze. Zwischen Formularen, Paragraphen und menschlichen Schicksalen arbeite ich als Arbeitsvermittlerin – ein Beruf, der oft unterschätzt wird und gleichzeitig so viel mehr ist als reine Verwaltung.

Ein typischer Tag? Gibt es nicht!             
Mein Kalender ist oft voll: Beratungsgespräche, Team-Meetings, Nachbereitung, Anträge prüfen. Doch trotz aller Struktur ist jeder Tag individuell, einfach weil jeder Mensch anders ist. Wenn ich in einer Beratung über eine Arbeitsaufnahme sprechen möchte, die Person vor mir aber vom drohenden Wohnungsverlust berichtet, muss ich umdenken. In solchen Momenten steht nicht der Job im Fokus, sondern die Existenz. Und genau das macht meinen Job so besonders: Kein Gespräch ist planbar.

Am herausforderndsten sind Gespräche mit Menschen in akuten Krisen – psychisch belastet, wohnungslos oder völlig perspektivlos. Dann geht es nicht nur um das Aufnehmen von Arbeit, sondern um Würde und Existenz. Wenn mir ein junger Mensch erzählt, dass er am Wochenende bedroht wurde oder ständig Rassismus erlebt, lässt mich das nicht kalt, sondern hinterlässt Spuren. Aber es gibt auch die Momente, die Kraft geben und mich ebenfalls prägen. Ein junger Mann mit schwerer Vergangenheit, den wir gemeinsam in eine Ausbildung bringen konnten. Eine Frau, die trotz Rückschlägen nie aufgegeben hat und heute als Erzieherin arbeitet. Diese Geschichten zeigen: Jede erfolgreiche Vermittlung ist mehr als nur eine Zahl in der Statistik – sie bedeutet einen echten Neustart.

Zwischen System und Realität 
Die größte Herausforderung liegt im Spagat zwischen gesetzlichen Vorgaben und realen Lebenslagen. Das System ist oft starr – mit Minderungen, komplexen Anträgen, bürokratischen Hürden und Vorschriften. Man will tätig werden, aber das System erlaubt es schlichtweg nicht. Das frustriert – uns und die hilfesuchenden Menschen.
Auch bei Personen, die offen zugeben, das System bewusst auszunutzen, stoßen wir als Arbeitsvermittler*innen auf Lücken, die wir nicht immer schließen können. Hier sind mir oft die Hände gebunden.    
Viele Strukturen sind für das wahre Leben nicht flexibel genug, um auf besondere Lebenslagen schnell und unbürokratisch zu reagieren. Besonders sichtbar wird das an den Schnittstellen zu anderen Ämtern: Rentenversicherung, Jugendamt, Sozialamt, etc. – oft arbeiten wir nebeneinander statt miteinander, obwohl die Kooperation mit anderen Behörden so essenziell ist. Gesetzliche Rahmen führen dazu, dass sich niemand zuständig fühlt, was sowohl die Menschen, die Unterstützung brauchen, als auch uns frustriert.

Emotional stabil bleiben – geht das überhaupt?             
Ja, aber nicht von allein. Ich habe gelernt, mich abzugrenzen. Mir helfen Gespräche im Team, viel Reflexion und manche Situationen mit Humor zu nehmen. Auch kleine Rituale wie der Kaffee am Morgen oder bewusstes Abschalten nach Feierabend. Der Austausch und das Lachen mit Freund*innen hilft, Erlebtes zu verarbeiten – natürlich anonymisiert und nie despektierlich gemeint.

Meine Einschätzung       
Für junge Menschen, die überlegen, im Jobcenter zu arbeiten: Es ist kein einfacher Job, aber ein bedeutungsvoller. Man lernt viel über das Leben, über Menschen und deren Geschichten und vor allem über sich selbst. Wer gesellschaftlich etwas bewegen will, braucht Empathie, Standfestigkeit und den Willen, sich nicht abstumpfen zu lassen.

Abschließend lässt sich sagen, dass ich mir generell mehr Verständnis wünsche: Für die Menschen, die zu uns kommen, und für die Arbeit, die wir leisten. Unsere Gesellschaft braucht mehr Mitgefühl und weniger Vorurteile, denn manchmal ist das, was wir geben können, nicht nur eine Maßnahme oder ein Jobangebot, sondern ein kleines Stück Hoffnung. Nicht jede*r Arbeitslose*r ist faul und nicht jede*r im Jobcenter ist kalt oder desinteressiert.


(Foto: Jobcenter Dortmund)

Svea ist seit drei Jahren im Jobcenter Dortmund tätig. Mittlerweile arbeitet sie mit jungen Menschen und ist stellvertretende Teamleiterin.             
Es ist ihr wichtig, Transparenz zu schaffen und echte Einblicke in ihren Arbeitsalltag zu geben und mit Vorurteilen aufzuräumen.

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