Mittwoch, 22. Oktober 2025

Oh Baby, It’s a Wild World

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Manchmal fängt Beziehungsarbeit mit einem Zettel und ein paar ehrlichen Worten an. Ich erinnere mich an einen kleinen Workshop, den ich mit drei Jugendlichen gemacht habe – Thema: „Meine Stärken“. Zum Einstieg sollten sie jeweils ihren Namen auf ein Blatt schreiben. Dann wurde das Blatt im Kreis herumgereicht, und jede*r schrieb etwas Nettes, etwas Positives über die Person, deren Namen auf dem Zettel stand.

Anfangs waren die drei skeptisch, fast ein bisschen peinlich berührt. „Muss das sein?“ – „Das ist doch komisch!“ Ich habe sie sanft, aber beharrlich ermutigt, es einfach auszuprobieren. Am Ende war die Stimmung völlig anders. Sie lachten, machten ehrliche Komplimente und lasen ihre Zettel mit leuchtenden Augen. Es war ein kleiner Moment, aber einer, der zeigt, wie sehr Jugendliche davon profitieren, wenn sie gesehen und ernst genommen werden.

Ich war ein Jahr lang pädagogische Leitung in der WERKstattSchule der Katholische Jugendagentur (KJA) Bonn – einer Jugendeinrichtung, in der Zeit, Vertrauen und Beziehung wichtiger sind als Leistung und Disziplin. Die Jugendlichen hier haben meist vorerst die Nase voll von der Regelschule, haben nicht selten Mobbing oder Gewalt erlebt und kommen psychisch belastet bei uns an. Meine Aufgaben reichten von Organisation und Netzwerkarbeit bis hin zu Gesprächen mit den Teilnehmenden und deren Familien, Konfliktlösungen, der Konzeption von neuen Projektideen und der gemeinsamen Tagesgestaltung in der Einrichtung mit meinem Kollegen.

Natürlich gibt es auch die Momente, die weniger leicht sind. Zum Beispiel den jungen Teilnehmer, der morgens kam, freundlich grüßte und sagte, er müsse nur kurz einem Freund ein Medikament bringen. „Aber komm wieder!“, rief ich ihm noch scherzhaft nach. Er kam nicht wieder. Solche Situationen sind schmerzhaft, weil sie zeigen, dass man nicht immer ankommt – egal, wie sehr man sich bemüht. Manche Jugendliche tragen so viel Ballast mit sich, dass Vertrauen ein weiter Weg ist.

Und dann gibt es Tage, die voller kleiner Wunder stecken. Es war Winter, kurz vor den Weihnachtsferien. Ich kam mit einer fünfzehnjährigen Jugendlichen vom Einkauf für unseren Weihnachtsflohmarkt, als sie plötzlich auf der Straße eine Postkarte fand. Vorn stand: „Oh Baby, It’s a Wild World“, hinten war sie beschrieben – und die Adresse, an die sie gehen sollte, lag nur ein paar Straßen weiter. Wir waren völlig begeistert, überlegten uns die wildesten Geschichten dazu und beschlossen spontan, die Karte „heimzubringen“. Die Jugendliche schrieb eine kleine, liebe Notiz auf ein Post-it, klebte eine Schokopraline dazu und warf sie in den Briefkasten der Empfänger*innen. Ein kleiner, völlig ungeplanter Moment – aber einer, der so viel über das Herz und die Fantasie junger Menschen erzählt.

Empathisch und gleichzeitig professionell zu bleiben, ist dabei manchmal eine Herausforderung – aber auch eine Freude. Für mich bedeutet das: ehrlich sein, ruhig bleiben, Grenzen klar machen und trotzdem mit offenem Herzen dabeibleiben. Authentizität ist das Wichtigste. Wenn man echt ist, merken das die Jugendlichen sofort. Und genau daraus entsteht Vertrauen – die Grundlage für alles.

Was mich an der Arbeit so fasziniert: Sie ist ehrlich. Die Jugendlichen geben dir immer und meist sofort Feedback. Wenn etwas gut für sie ist, weißt du es. Wenn nicht, weißt du es auch. Und genau das macht die Begegnungen so wertvoll. Ich habe in diesem Jahr unglaublich viel gelernt – über andere, aber auch über mich selbst.

An alle, die überlegen, in diesem Bereich zu arbeiten: Es ist nicht immer einfach. Du wirst gefordert, manchmal emotional überrollt, manchmal hilflos sein. Aber du bekommst so viel zurück. Wenn du bereit bist, Menschen wirklich zu sehen, ohne zu urteilen – dann ist es die schönste Arbeit der Welt.

Das, was für mich oft herausfordernd war, war weniger die direkte Arbeit mit den Jugendlichen selbst. Viel schwieriger war häufig die Kommunikation zwischen den verschiedenen Institutionen – mit Ämtern, Wohngruppen, Schulen oder anderen Akteur*innen. Alle geben sich irgendwie Mühe, aber oft sind die Wege kompliziert, blockiert oder schlicht zu bürokratisch. Das kann schlauchen – und ja, manchmal auch frustrieren. Gerade deshalb wünsche ich mir für die Zukunft mehr Offenheit, mehr Miteinander und weniger Hürden – im Sinne der Jugendlichen, für die wir alle da sind.

Denn am Ende geht es vielleicht gar nicht darum, perfekte Pädagog*innen zu sein.
Sondern einfach präsent zu sein – und deine Freude zu teilen.


(Foto: Privat)

Vera Funk war Pädagogische Leitung an der WERKstattSchule der KJA Bonn. Nach einem Jahr intensiver Arbeit mit Jugendlichen weiß sie: Vertrauen, Geduld und Humor sind oft die besten Werkzeuge in der pädagogischen Arbeit.

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