Samstag, 27. September 2025

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Wie geht eigentlich Katastrophenvorsorge für alle?

Im Juni 2024 gründete das Ministerium des Inneren, für Digitalisierung und Kommunen Baden-Württemberg in Zusammenarbeit mit der Beauftragten der Landesregierung für die Belange von Menschen mit Behinderungen und dem Landesverband Baden-Württemberg des Deutschen Roten Kreuzes e. V. die Initiative Inklusive Katastrophenvorsorge. In dieser kommen erstmals vielfältige Akteur*innen aus dem Katastrophenschutz, der Wohlfahrtsarbeit, der Selbstvertretung und der Politik zusammen, um in dieser Breite auf Landesebene gemeinsam über mögliche Weiterentwicklungspotentiale im Katastrophenschutz zu diskutieren. Doch warum eigentlich?

Heiße Sommer mit extremen Hitzewellen, heftige Regenfälle und Überschwemmungen, die Corona‑Pandemie und aktuell die Angst, dass Kriege auch uns hier in Deutschland betreffen könnten – die Gefahren, denen wir hier in Deutschland gegenüberstehen, verändern sich. Damit verbunden stellt sich die Frage, wie wir als Gesellschaft auf Bedrohungen vorbereitet sind und ob in unseren Konzepten und Maßnahmen eigentlich an alle Menschen gedacht wird?

Auch wenn die genannten Ereignisse grundsätzlich alle Menschen betreffen, zeigen die letzten Jahre doch: Nicht alle sind in gleichem Maße davon betroffen. Es gibt Personen, die vulnerabler, also anfälliger sind, für die negativen Folgen von Extremereignissen.

Die Vereinten Nationen verweisen im Zuge der COVID‑19‑Pandemie in internationaler Perspektive etwa darauf, dass ältere Menschen, junge Menschen, Menschen mit Behinderungen, Menschen mit Migrationshintergrund und Frauen besonders gefährdet sind. Der Grund liegt oft in Hindernissen, die schon im Alltag ihre gleichberechtigte Teilhabe erschweren: eingeschränkter Zugang zu Bildung und Gesundheitsversorgung, geringes Einkommen, niedriger sozialer Status oder fehlende Barrierefreiheit.

Die mit diesen Barrieren verbundenen Herausforderungen verstärken sich in Extremsituationen nicht nur – es kommen weitere hinzu. Gleichzeitig gibt es bisher wenig Einsatzkonzepte, um darauf zu reagieren; auch deshalb, weil diese Personen(‑gruppen) selten in Planungsprozesse im Katastrophenmanagement eingebunden sind. Dies gilt international, aber, wie 2024 eine Studie zur Berücksichtigung von Menschen mit Behinderungen im Katastrophenmanagement zeigte, auch hier in Deutschland.

Teilhabe fördern, heißt Hilfsstrukturen zu entlasten           
Was kann man nun tun? Folgt man den Erkenntnissen der Katastrophenforschung, so ist es zunächst einmal wichtig, sich der gesellschaftlichen Wurzeln von Vulnerabilität bewusst zu sein. Wenn Menschen bereits im Alltag einer Vielzahl von Barrieren gegenüberstehen, die ihre Ressourcen binden, werden sie auch in Ausnahmesituationen geringere Bewältigungskapazitäten haben.

Umgekehrt, wenn wir es schaffen, Menschen ihre im Grundgesetz festgeschriebene gleichberechtigte Teilhabe zu ermöglichen, stärken wir damit auch ihre Kapazitäten im Umgang mit Extremereignissen. Barrieren abzubauen heißt dabei: Fähigkeit anzuerkennen und es Menschen zu ermöglichen,  ihren Beitrag zu einem nur gesamtgesellschaftlich umsetzbaren Bevölkerungsschutz zu leisten.

Wenn eine hörbeeinträchtigte Person aufgrund gebärdensprachlich präsentierter Informationen dazu in die Lage ist, sich eigenständig zu evakuieren, ist das keine Erfüllung eines Sonderwunsches, sondern die Umsetzung der Behindertenrechtskonvention und ein Beitrag, um Hilftsstrukturen in Notlagen aktiv zu entlasten. Vergleichbares gilt für andere Maßnahmen, wie die Präsentation von Informationen in verschiedenen Sprachen, das Erstellen und Üben von Krisenplänen in Pflegeeinrichtungen oder Konzepte zur Unterstützung von Menschen mit geringen finanziellen Ressourcen.

Die Initiative Inklusive Katastrophenvorsorge gründete sich 2024 mit dem Zweck, einen koordinierten Prozess anzustoßen, um in der Katastrophenvorsorge in Baden-Württemberg alle Menschen unter Berücksichtigung ihrer Lebenssituationen, ihrer Verfassung und ihren Fähigkeiten, mitzudenken und ihnen einen gleichen Zugang zu Schutz und Unterstützung in Gefahrensituationen zu ermöglichen. Ziel ist es, die Zusammenarbeit zwischen allen für die Katastrophenvorsorge relevanten Akteuren, wie Behörden, Einrichtungen, Hilfsorganisationen und Selbstvertretungsorganisationen, Interessenvertretungen und Wohlfahrtsverbänden zu stärken.


Sina Binsau (Geschäftsstelle der Landesbeauftragten für Belange von Menschen mit Behinderungen in Baden-Württemberg) und Jan Mahne (Deutsches Rotes Kreuz e.V. Landesverband Baden-Württemberg) koordinieren die Arbeit der Initiative Inklusive Katastrophenvorsorge. Dabei werden sie durch Friedrich Gabel und Annelen Fritz von der Universität Tübingen wissenschaftlich begleitet.

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