Das Kinder- und Jugenddorf Klinge (kurz „Klinge“) ist eines der ältesten und größten Kinderdörfer Deutschlands und gibt Kindern und Jugendlichen von ein bis 21 Jahren ein Zuhause außerhalb ihrer Familien. Ich arbeite als Betreuer in einer der Außen- bzw. Jugendwohngruppen der Klinge (JWG), wo Jugendliche und junge Erwachsene auf ein selbstständiges Leben vorbereitet werden.
Mein Arbeitstag fängt meist erst mittags an und ich lese mich vorbereitend in die Dokumentation der Kolleg*innen vom vorigen Dienst ein. Nach und nach trudeln unsere Jugendlichen von Schule, Ausbildung oder Arbeit ein – was ich nutze, um mit ihnen ins Gespräch zu kommen. Wie war der Tag? Was steht heute noch an? Gibt es etwas Neues, das geklärt oder in den Kalender eingetragen werden muss? So gestaltet sich jeder Tag anders und verlangt viel Selbstorganisation und einen guten Blick für meine Jugendlichen.
Später unterstütze ich den abendlichen Kochdienst, bei dem sich die Jugendlichen jeden Tag abwechseln und sonntags bei einer Art „WG-Besprechung“ u. a. klären wer wann was kocht. Hier werden auch Themen besprochen, die die ganze Gruppe betreffen. Nach dem gemeinsamen Essen geht jede*r seinen/ihren To-dos oder der Freizeit nach. Ich bleibe neben meinen eigenen Aufgaben ansprechbar bis zur Nachtruhe. Ich selbst übernachte auch in der JWG zur Nachtbereitschaft und gehe erst, nachdem am nächsten Tag alle gut und pünktlich aus dem Haus sind, selbst nach Hause. Wichtig ist dabei die Dokumentation für die Kolleg*innen.
Lange Schichten und andere Herausforderungen
Euch wird aufgefallen sein, dass unsere Dienste sehr lang sind. Das sieht in anderen Häusern und Einrichtungen aber teilweise anders aus. Ich habe mich an den langen Dienst gewöhnt und genieße inzwischen, dass ich nach der Nachtbereitschaft den restlichen Tag für mich habe. Einmal die Woche haben wir eine Teambesprechung, bei der wir uns zusätzlich den ganzen Tag nehmen, um mit jedem*r Jugendlichen ins Einzelgespräch zu gehen.
Die langen Dienste allein sind natürlich nicht immer ohne. Seien es Konflikte mit den Jugendlichen oder deren Angehörigen, die teilweise ein sehr von Medien gefärbtes Bild von unserer Arbeit haben. In besonders stressigen Situationen hilft es mir meist, den Wind aus den Segeln zu nehmen und die Situation nicht eskalieren zu lassen. Danach suche ich das Gespräch zu meinen Kolleg*innen und Vorgesetzten. Einerseits mache ich meine Arbeitsweise transparent, versichere mich, richtig gehandelt zu haben, und schütze mich vor möglichen Unterstellungen, was in dem Arbeitsfeld leider ein sehr reales Risiko ist.
So hatte ich einmal einen Jugendlichen, der sich selbst verletzt hat. In meiner Verantwortung für seine Sicherheit habe ich ihn aufgefordert, mir den Arm zu zeigen, was er mit Beleidigungen verweigert hat. Im Konflikt meinte er dann „Lass mich in Ruhe, sonst sage ich dem Jugendamt, du hättest mich angefasst“. Der Jugendliche hatte in dieser Richtung schon eine gewisse Vorgeschichte, weshalb es für mich umso wichtiger war, meine Kolleg*innen und Vorgesetzten ins Boot zu holen. In der Jugendhilfe stetig allein arbeiten zu müssen, ist daher besonders risikobehaftet.
Lichtblicke trotz weniger Ressourcen
Leider gibt der Personalschlüssel nicht mehr her und berücksichtigt meiner Erfahrung nach weder Puffer für Urlaube noch Krankheitsausfälle. Hierfür kann die Klinge nicht einmal etwas, denn dieser Schlüssel ist auf Bundesebene anhand von teils unrealistischen Kriterien definiert. Es ist sehr schade, dass der soziale Bereich mit so wenigen Ressourcen arbeiten muss. Das merkt man schon an unserer Zusammenarbeit mit den Jugendämtern und anderen Behörden. Alle sind stets bemüht, aber gnadenlos überlastet, weshalb manche Dinge zwangsweise vernachlässigt werden.
Wenn ihr für euch überlegt, in einem sozialen Beruf oder explizit in der Jugendhilfe zu arbeiten, seid euch bewusst, dass dieser Beruf eure Widerstandsfähigkeit testen wird. Dankbarkeit für diese Arbeit ist nicht selbstverständlich und so einfach, wie der Beruf gesellschaftlich oft gesehen wird, ist es in den seltensten Fällen und das sollte euch bewusst sein. Die Arbeit lohnt sich aber in den Momenten, wo Kinder/Jugendliche staunen, weil sie was Neues gelernt haben, ein Interesse an ihrer eigenen Zukunft zeigen oder in ihre erste eigene Wohnung ziehen und man das Gefühl hat, dass sie gut vorbereitet sind.

Vincent Eller ist derzeit pädagogische Fachkraft im Kinder- und Jugenddorf Klinge. Dazu hat er einen Bachelor in Sozialer Arbeit und einen Master in Erziehungswissenschaften abgeschlossen.