Freitag, 4. Oktober 2024

Gut können viele – am besten nur du

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Behörde, Amt oder Ministerium als Arbeitgeber. Klingt im ersten Moment nicht sonderlich aufregend. Klingt nach viel Bürokratie, Ablage und umständlichen Prozessen. Aber bis vor ein paar Jahren waren meine Berührungspunkte mit Städten, Ämtern oder Behörden auch nur die, wenn ich aufs Bürgeramt oder die Zulassungsstelle musste. Da fühlte ich mich doch das ein oder andere Mal in meinen Vorurteilen bestätigt.

Als Arbeitgeber waren mir staatliche Institutionen eher dadurch aufgefallen, dass viele Stellenanzeigen den Charme eines Abschreckungsmanövers hatten. Für jemand, dessen Herz für Employer Branding und gutes Personalmarketing brennt, immer ein gefundenes Fressen. Trockene Texte gepaart mit einer langen Liste an Anforderungen und oftmals ohne Angaben von Benefits für die zukünftigen Mitarbeiter*innen oder Azubis. Mein Lieblingsbeispiel für eine misslungene Stellenanzeige war jahrelang die der Stadt Haan. Statt über die Vorteile eines öffentlichen Arbeitgebers zu schreiben, wurde akribisch die Länge des örtlichen Strom- und Wassernetzes und der zu verwaltenden Tiefgaragenplätze aufgeführt. Das macht natürlich keiner/keinem Schüler*in richtig Lust sich zu bewerben. Heute kommt mein Lieblingsbeispiel für gelungene Stellenanzeigen aus dem Bereich des Öffentlichen Dienst. Der Stadt Bonn gelingt es nicht nur durch gutes SEO (Search Engine Optimizing) bei Google immer unter den Suchergebnissen auf der ersten Seite zu erscheinen (etwas was den meisten industriellen Arbeitgebern nicht gelingt), sie werben auch geschickt mit all den Vorzügen die eine Stadt als Arbeitgeber zu bieten hat. Bonn ist nicht der einzige öffentliche Arbeitgeber, der in den letzten Jahren viel frischen Wind in seinen Arbeitgeberauftritt gebracht hat. Schau doch mal, wie das bei deinem Arbeitgeber so aussieht. Begeistert er schon oder schreckt er noch ab? Da du dir sicherlich viele motivierte Kolleg*innen wünschst, gib im Zweifelsfall der Personalabteilung mal den Tipp mit Bonn oder Freiburg oder der TU Aachen. Und keine Sorge. Meiner Erfahrung nach machst du dich damit nicht unbeliebt. Viele öffentlichen Arbeitgeber wünschen sich Mitarbeiter*innen die die neue Ideen mitbringen.

2017 haben wir zum ersten Mal mit dem Behörden Spiegel zusammen gearbeitet. Damals traf rotes Kleid (ich) auf dunkle Anzüge mit Weste und Einstecktuch. Ich tauchte in eine mir neue Welt ein. Seit 2013 führen wir Deutschlands größte doppelperspektivische Studie im Bereich der dualen Berufsausbildung durch. Wir befragen Personaler*innen auf der einen und Schüler*innen und Azubis auf der anderen Seite. Quer durch alle Branchen und Unternehmensgrößen. Wir wollten wissen, was treibt junge Menschen an, sich für den öffentlichen Sektor zu entscheiden und welche Erwartungen haben öffentlichen Arbeitgeber an jungen Menschen. So habe ich gelernt, dass für Arbeitgeber im Öffentlichen Dienst die sogenannte Bestenauslese gilt. Das ist jetzt der Augenblick, wo du dir mal kräftig auf die Schulter klopfen kannst. Du hast es geschafft! Du hast diese Bestenauslese bestanden. Nun ist es natürlich auch in der Industrie oder im Handel nicht so, dass da nicht die vermeintlich Besten genommen werden. Auch dort besteht der Anspruch, die für die Position oder für den Ausbildungsberuf am besten geeigneten Bewerber*innen zu gewinnen. Aber die Kriterien, wer der Beste ist, legt jedes Unternehmen selber fest. Dabei spielen formale Abschlüsse ein weniger große Rolle. Das hat Vor- und Nachteile. Durch die Bestenauslese wird ein hoher Standard gewährleistet. Geht es darum, den wirklich pfiffigen Nerd ohne Studienabschluss einzustellen, um der IT mal einen Schub nach vorne zu geben, erweist sich die Bestenauslese als Hemmschuh. Wird die Stelle dann noch als „Sachbearbeiter“ ausgeschrieben, wundert es nicht, wenn das Bewerbungskörbchen (real oder digital) leer bleibt.

Beim ersten Durchlesen der Studienergebnisse hatte ich Spaß. Alle meine Vorurteile schienen bestätigt. Bei der Frage, was für die eigene Karriere besonders wichtig ist, belegten bei den Ergebnissen des Öffentlichen Diensts die Faktoren „Sicherheit“ und „Vereinbarkeit von Freizeit und Beruf“ die ersten Plätze. Hatte ich mir doch gedacht. Aber mal ehrlich – warum auch nicht? Laut der Shell-Studie 2019 ist für 93 Prozent aller Jugendlichen „Sicherheit“ die wichtigste Erwartung an den Beruf. Und was die Vereinbarkeit von Freizeit und Beruf angeht, stehen junge Menschen bei öffentlichen Arbeitgebern mit ihrem Wunsch auch nicht alleine da. Die sogenannte Generation Z – die ab 1995 Geborenen – sind bekannt dafür, dass sie einen größeren Wert auf die Trennung von Arbeit und Beruf legen als die Generationen davor. Kein Wunder, haben doch viele von ihnen im jungen Alter in der eigenen Familie oft durch den Beruf gestresste Eltern erlebt. Sich rechtzeitig Gedanken darüber zu machen, wie man Familie und Beruf vereinbaren kann gerade wenn Kinder ins Leben kommen, spricht eher für Weitsichtigkeit als für Engstirnigkeit.

Dann habe ich zum ersten Mal die Ergebnisse unserer Branchenedition „Publik Sektor“ vor einem größeren Publikum – natürlich aus dem öffentlichen Sektor präsentiert. Ich halte bundesweit Vorträge bzw. jetzt Webinare vor ganz unterschiedlichem Publikum. Keins habe ich so schnell in mein Herz geschlossen wie dieses. Bei Arbeitgebern aus dem Bereich der Industrie oder des Handels erlebe ich oftmals eine gewisse Arroganz. „Das wissen wir alles (sogar besser)“ oder „das müssen wir (die Betonung liegt auf „wir“) nicht machen“. Ganz anders das Publikum in Bonn. Viele waren sich der eigenen Schwächen bewusst. Die Studie hat gezeigt, dass Bewerbungsprozesse im Öffentlichen Dienst von Bewerber*innen oft als sehr zeitintensiv und wenig kundenorientiert wahrgenommen werden. Das wurde nicht geleugnet und viele Teilnehmer*innen waren aufgeschlossen für neue Ideen und Ansätze, um diese Missstände zu beseitigen.

Seit dem habe ich diese Erfahrung immer wieder gemacht. Ja, es läuft nicht alles optimal im Öffentlichen Dienst. Sicher ist auch nicht jede*r Mitarbeiter*in für Veränderungen aufgeschlossen. Aber viele sind es. Viele wollen etwas ändern und freuen sich über Ideen, wie das gehen könnte. Bitte versuch es auf jeden Fall und lass dich nicht entmutigen, wenn deine Ideen nicht auf Anhieb Umsetzung erfahren. Und mal ehrlich, wenn schon alles perfekt laufen würde, könntest du ja nichts bewegen. Das wäre doch auch ziemlich langweilig, oder?  Wenn es nicht so läuft wie du es dir vorstellst, sieh sie es als eine große Spielwiese der Möglichkeiten. Nach meiner Erfahrung triffst du auf mehr Menschen, die bereit sind gemeinsam neue Wege zu gehen als auf Menschen, die am Status Quo festhalten wollen.

Lass uns noch über Sinn reden. Die junge Generation wird als die Generationen der Sinn-Sucher bezeichnet. Für sie stehen nicht mehr hohe Vergütungen und steile Karrieren im Vordergrund, sondern der Wunsch etwas Sinnvolles zu tun. Über die Sinnhaftigkeit Konsumgüter zu produzieren oder zu verkaufen könnten wir streiten. Über die Aufrechterhaltung des öffentlichen Rechts nicht. Wir brauchen Menschen die bereit sind Staat, Städte und Institutionen zu entwickeln und so eine sichere Zukunft zu gewährleisten. Wenn das nächste Mal einer die Augen verdreht, wenn du erzählst, dass du im öffentlichen Sektor arbeitest, frag ihn doch einfach mal, was der Sinn seiner Arbeit ist. Manches Mal wirst du dann mit den Augen rollen können.

Ich fasse mal zusammen: du hast eine richtige gute Entscheidung getroffen. Eine die für unsere Städte, unsere Landkreise oder unser ganzes Land zukunftsweisend seien kann. Wenn du einfach das Beste daraus machst, dich nicht entmutigen lässt und neugierig neue Wege gehst, dann wird alles gut – für dich, für mich, für uns. Sollte es dich in die Personalabteilung verschlagen oder du für die Ausbildung jungen Menschen zuständig werden, dann sehen oder hören wir uns vielleicht wieder. Weil da könnte ich dir noch viele tolle Tipps geben, wie du deinen Arbeitgeber im besten Licht präsentieren. Ich würde mich sehr freuen. 

Die zertifizierte Trainerin und Design Thinkerin Felicia Ullrich beschäftigt sich seit 20 Jahren intensiv mit den Themen Fachkräftesicherung, Generation Z, Employer Branding und Azubi-Recruiting. Zusammen mit Herrn Professor Christoph Beck verlegt sie Deutschlands größte doppelperspektivische Studie „Azubi-Recruiting Trends“.

Die geschäftsführende Gesellschafterin der u-form Testsysteme hält bundesweit Vorträge, Workshops und Webinare zum Thema Azubi-Recruiting und Marketing.

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