Donnerstag, 18. April 2024

Das Gesetz der offenen Tür

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Wir leben in einer Migrationsgesellschaft: in einer Vielfalt der Lebensweisen, Bezüge, Sprachen und Religionen, die unsere Stadt Berlin und unser Land ausmachen. Deshalb brauchen wir eine moderne Verwaltung, die alle mitdenkt. Die Vielfalt soll sich auch im Öffentlichen Dienst widerspiegeln – auf allen Arbeitsebenen. Es braucht mehr Sichtbarkeit und Repräsentanz von Menschen mit Migrationsgeschichte in der Verwaltung und eine stärkere politische Partizipation. Dafür steht das neue Partizipationsgesetz, das am 17. Juni 2021 im Berliner Abgeordnetenhaus verabschiedet wurde. Es ist ein Gesetz der offenen Tür – oder, so der offizielle Titel: ein „Gesetz zur Neuregelung der Partizipation im Land Berlin“.

In seiner ersten Form entstand es im Jahr 2010 auf Initiative des Berliner Landesbeirats für Integrations- und Migrationsfragen. Auch damals förderte es die Teilhabe und Partizipation von Menschen mit Migrationsgeschichte. Berlin war das erste Bundesland, das ein solches Gesetz verabschiedet hatte. Nach zehn Jahren und einer gründlichen Evaluation war jedoch klar: Das Gesetz ist noch zu wenig bekannt, die darin festgehaltenen Vorgaben sind zu wenig konkret und folglich zu wenig umgesetzt. Auch sind einige Konzepte und Begriffe nicht mehr zeitgemäß oder passen nicht zu den eigentlichen Gesetzeszielen. Dabei sind diese Ziele nach wie vor aktuell und sogar dringlicher denn je.

Als Integrationsbeauftragte des Berliner Senats habe ich den Auftrag erhalten, das Gesetz zu überarbeiten. Es liefert nun konkrete Instrumente für eine größere Personalvielfalt in der Verwaltung, denn wir brauchen Menschen mit Migrationsgeschichte in den Behörden – als Fachkräfte und Vorbilder. Zudem steht die Berliner Verwaltung vor einem tiefgreifenden Personalumbruch: In den kommenden acht Jahren scheidet mehr als jeder dritte Beschäftigte aus dem Landesdienst aus. 44.257 der 123.812 Mitarbeiter*innen der Landes- und Bezirksverwaltungen gehen bis 2029 in den Ruhestand. Es wird also Zeit, dass die Verwaltung als ein attraktiver potenzieller Arbeitgeber wahrgenommen wird – gerade auch von Menschen mit Migrationsgeschichte.

Das ist bislang noch zu wenig der Fall. Die Vielfalt der Jobs im Landesdienst ist vielen Menschen nicht bekannt. Auch erreichen die Ausschreibungen unsere Zielgruppe nicht. Genau das ändert sich nun mit dem neuen Partizipationsgesetz: Bei der Besetzung von Stellen und Ausbildungsplätzen sollen Menschen mit Migrationsgeschichte in besonderem Maße berücksichtigt werden. Sie müssen dafür gezielt geworben und angesprochen werden. Dafür sollen Stellenausschreibungen so formuliert sein, dass sie für Viele, die die Verwaltung bisher nicht als Arbeitgeberin präsent haben, ansprechend und verständlich sind. Die Ausschreibungen sollen über Netzwerke und zum Beispiel auch unter Migrant*innenselbstorganisationen verbreitet werden. Es geht zudem auch darum, im Auswahlverfahren Diversity-Kompetenz und Mehrsprachigkeit positiv in die Bewertung einfließen zu lassen.

Das Gesetz sieht auch Förderpläne und Zielvorgaben für alle öffentlichen Stellen des Landes Berlin für Menschen mit Migrationsgeschichte vor. Eine neu geschaffene Fachstelle im Bereich Integration/Migration soll die fachliche Ausrichtung der Verwaltungen auf die Vielfaltsgesellschaft begleiten.

Für eine gezielte Personalpolitik brauchen wir eine verlässliche statistische Grundlage – ohne Zahlen keine Politik. Ein wichtiger Punkt im neuen Gesetz ist deshalb die Erhebung der Zahlen von Menschen mit Migrationshintergrund im Öffentlichen Dienst, die freiwillig erfolgt. Aktuell gibt es hierzu keine verlässlichen Angaben, da der Anteil in den Behörden bislang nicht erhoben wird. In der Bevölkerungsstatistik dagegen schon: Da liegt er in Berlin bei rund 35 Prozent.

Das neue Gesetz beinhaltet zudem auch viele Aspekte, die mehr Teilhabe und politische Partizipation für Menschen mit Migrationsgeschichte ermöglichen: So werden etwa die Landes- und Bezirksbeauftragten für Partizipation und Integration sowie der Landesbeirat für Partizipation gestärkt. Die Beiräte in den Bezirken werden gesetzlich verankert – nicht alle Berliner Bezirke hatten bislang einen solchen Beirat. Zudem wird ein Beirat für die Belange der Roma und Sinti mit dem Gesetz eingerichtet.

Es geht uns darum, verbindliche Strukturen und Regelungen zu entwickeln, die für alle Menschen einen gleichberechtigten Zugang ermöglichen. Dafür ist das Gesetz der offenen Tür ein elementares Instrument.

Katarina Niewiedzial ist seit Mai 2019 Beauftragte des Berliner Senats für Integration und Migration. Zuvor war sie Integrationsbeauftragte des größten Berliner Bezirks Pankow sowie Geschäftsführerin des Think Tanks Progressives Zentrum.

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