Samstag, 20. April 2024

Verkehrswende selbst machen

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Wie eine neue Mobilitätsbewegung die Städte menschenfreundlicher macht

Immer mehr Bewohner*innen in Deutschlands Städten wird offensichtlich: Das Automobil als Verkehrsmittel des letzten Jahrhunderts taugt nicht für die urbane Mobilitätswende. Obwohl es in den Metropolen weniger als ein Drittel der Verkehrsleistung erbringt – in Berlin sind es sogar nur knapp über ein Viertel – nimmt es zwei Drittel des Platzes der Verkehrsflächen ein und beeinträchtigt durch Abgase, Unfälle, Lärm und Feinstaub die Gesundheit der gesamten Stadtbevölkerung. Darüber hinaus verschärfen die CO2-Emissionen zu einem erheblichen Maße die Klimakrise. Während letzteres Problem durch die aufkommende Elektromobilität im Straßenverkehr gemildert werden kann, bleiben alle anderen gravierenden Nachteile auch durch den massiv vom Staat geförderten Umstieg der Antriebsform beim Automobil in Zukunft bestehen – so wie bisher kann es also nicht weitergehen. Andere Städte in Europa sind da übrigens schon viel weiter, das beste Beispiel ist Paris, in dem gerade beschlossen wurde, die Innenstadt komplett vom Durchgangsverkehr zu befreien und darüber hinaus 70.000 Parkplätze abzubauen.

Weil die Politik bisher nur sehr zaghaft Anreize für den Umstieg vom Auto geschaffen hat und nach Jahrzehnten des Umbaus der Städte zu autogerechten Zentren keine räumliche Umgestaltung zurück zu Orten für Menschen statt für Autos in die Wege leitet, haben sich in immer mehr Städten Bürger*innen-Initiativen gegründet, die die Verkehrswende selbst in die Hand nehmen wollen. Dafür gibt es ganz verschiedene Ansätze: Zum einen gibt es Bewegungen direkt aus der Bevölkerung wie der unseren zum Beispiel –  autofreiberlin – die den Unmut der Stadtgesellschaft über die verschlafene Mobilitätswende durch Demonstrationen und Aktionen zum Ausdruck bringen möchte, die schon einmal aufzeigen wollen, wie viel lebenswerter die Zentren ohne das alles dominierende Automobil sind. Die stinkende und brausende Albtraumpisten zu temporären Paradiesen für alle umwandeln, die einladen zum Flanieren, wo sonst nur Autos fahren. Eine Demo ist schnell angemeldet (wie das genau geht und was dabei zu beachten ist, steht auf autofreiberlin.de) und der Zuspruch in der Bevölkerung für Verkehrsdemos steigt im selben Maße, wie das Automobil zur Belastung für die Anwohner*innen wird. Unsere Gruppe umfasst vier Aktive, wir meldeten die ersten Demos an und es kamen sofort viele Hundert Menschen zu unseren Veranstaltungen.

(Foto: Privat)

Als nächsten Schritt gibt es lokale Quartiers-Initiativen, die mit ganz konkreten Wünschen und Plänen an die örtlichen (Bezirks-)-Regierungen herantreten. In Berlin sticht hier besonders die Kiezblock-Bewegung hervor, die es sich zum Ziel gemacht hat, 180 Stadtquartiere komplett vom motorisierten Durchgangsverkehr zu befreien und das Befahren und Abstellen der Autos nur noch dem Versorgungs-, Rettungs- und Gewerbeverkehr sowie den Anwohner*innen zu gestatten, und ansonsten die Wege dem Rad- und Fußverkehr sowie dem öffentlichen Nahverkehr exklusiv zur Verfügung zu stellen.

Am weitreichendsten sind die Forderungen der Volksentscheide wie zum Beispiel des Volksentscheids Berlin autofrei. Hier wird mit juristischer Expertise und Verwaltungswissen ein Konzept für eine Innenstadt komplett ohne Autoverkehr entworfen – wobei es auch hier Ausnahmen für Gewerbe-, Versorgungs- und Rettungsverkehr gibt und auch Härtefälle berücksichtigt werden. Für einen Volksentscheid werden auf kommunaler Ebene Unterschriften gesammelt und am Ende der gesamten Stadt zur Abstimmung gestellt – gleichzeitig ein Zeichen für immer mehr direkte Demokratie in unserem Land.

Alle Akteur*innen der Verkehrswende haben gemeinsam, dass sie schon viel weiter sind als die Politik, die oftmals aus Angst vor Veränderung Jahre bis Jahrzehnte der Zivilgesellschaft hinterherhinkt. Eine ganz wichtige Partnerin der Mobilitätswende sind dabei die Verwaltungen. Dass, was Politik oder lokale Entscheide beschließen, muss schlussendlich auch umgesetzt werden und dafür brauchen wir Verwaltungen und Behörden, denn es sind oftmals viele kleine Entscheidungen, die einen großen Einfluss auf die Lösung der Herausforderungen des neuen Jahrzehnts haben. Wir als NGOs sehen die Verwaltungen dabei als Verbündete.

Jason Krüger ist Mitbegründer der Initiative autofreiberlin, die seit 2018 für eine lebens- und umweltgerechte Verkehrspolitik in Berlin agiert. Er arbeitet in Berlin als Fotograf.

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