Deutschland blickt auf eine lange und ereignisreiche Geschichte zurück. Schaut man sich in unseren Kommunen einmal genauer um, findet man immer wieder kleine oder große Hinweise auf prägende Ereignisse und Menschen, die besonders geleistet haben. Denkmäler, Straßennamen und Ehrenbürgerschaften haben ein gemeinsames Ziel: Demokratie stärken.
„Oft sind Aspekte der Denkmalpflege, Zerstörungsspuren eines Ereignisses, Merkmale der Sozialgeschichte und nicht sichtbare Spuren, die im Archiv auffindbar sind, miteinander verknüpft,“ erklärt Prof. Dr. Dolff-Bonekämper, Historikerin und Denkmalschützerin. Demnach könne ein Haus einerseits als Wohn- und Lebensraum betrachtet werden, an dem sich die sozialen Schichten, die darin gewohnt haben, nachzeichnen lassen. Gleichzeitig lasse es sich auch in den größeren historischen Kontext einordnen, wenn es beispielsweise um die Deportation von Bewohner*innen ginge. Auch Dr. Andreas Pilger, Direktor des Stadtarchivs und Projektleitung des Zentrums für Erinnerungskultur der Stadt Duisburg, begrüßt eine breit situierte Erinnerungskultur und deren vielschichtige Vermittlung. „Geschichte kann man erzählen, aufarbeiten und mit den Archivquellen kombinieren, sodass wir dem Ganzen eine hohe Anschaulichkeit geben und viel tiefer in die Materie eintauchen können,“ erklärt er.
Vergessen des Anstößigen
Die Zusammenarbeit zwischen Kommunen und Denkmalpflege habe sich seit der Wende radikal verändert, meint die Professorin für Denkmalpflege am Institut für Stadt- und Regionalplanung (ISR) der TU Berlin: „Heute hat das Denkmalamt nicht mehr diese amtliche Autorität, sondern muss sich vermehrt den bürgerschaftlichen Figurationen stellen und sich mit diesen auch verbünden, um sich Gehör verschaffen zu können. Da kann man nicht mit kunsthistorischem Vokabular argumentieren, sondern muss Geschichten erzählen und Bilder erzeugen,“ weiß die Professorin. Und sobald es etwas brisanter werde, sei Denkmalpflege nicht mehr nur eine Frage der zuständigen Behörden, der Eigentümer*innen und der Bürger*innen, sondern werde sofort politisiert, fährt sie fort. Dies könne man auch an den aktuellen Diskussionen um Straßenumbenennungen sehen. „Die Benennung von Orten, die Toponymie, ist ein wesentliches Medium des Erinnerns,“ erklärt Dolff-Bonekämper und es stelle sich die Frage, ob das Entfernen einer als makelhaft empfundenen Benennung durch Umbenennung ein Gewinn sei – oder doch eher ein Verlust. Wenn der Ortsname keinen Anstoß mehr errege und daher seine frühere Geschichte nicht weiter tradiert werde, laufe man Gefahr zu vergessen, schlussfolgert sie und sieht Politik, Verwaltung und Gesellschaft in der Pflicht auch an Anstößiges zu erinnern.
Der Leiter des Stadtarchivs berichtet in diesem Zusammenhang von der Aberkennung einer Ehrenbürgerschaft, die vor kurzem in Duisburg vorgenommen wurde. Aufgrund technischer Details – eine Ehrenbürgerschaft gelte nur solange die Person am Leben sei und die entsprechende Person wäre eigentlich nur Ehrenbürger eines zu Duisburg eingemeindeten Ortes – hätte man die Ehrenbürgerwürde problemlos unter den Tisch fallen lassen können. Dennoch haben sich die Stadt und das Zentrum für Erinnerungskultur für einen breiten Diskurs entschieden, sodass der Würdenträger zwar aus der Liste der Duisburger Ehrenbürger gestrichen wurde, der Fall aber auch in den Medien noch einmal abgehandelt wurde. So hätte jeder die Möglichkeit gehabt sich mit den Umständen der Ehrung und den Argumenten für deren Aberkennung auseinander zu setzen.
Bemächtigung und Aushandlung
Auch wenn viele Themen und Inhalte von Bürger*innen selbst an die Verwaltung herangetragen würden, führt Pilger weiter aus, sei es immer ein Aushandeln in Bezug auf die Frage wie man die Inhalte vermitteln könne. Hier ginge es vor allem um Anknüpfungspunkte und die Frage, ob man mit einem Gedenkort auf Resonanz stoße. Schwierig seien vor allem Ereignisse von nationaler oder internationaler Bedeutung. „Das hat auch etwas mit Bemächtigung zu tun und der Frage: Wem steht es zu, welche Ereignisse mit welchen Medien und welchen Formen in der Öffentlichkeit repräsentieren zu dürfen,“ ergänzt Dolff-Bonekämper. In diesem Zusammenhang verweist sie auf Probleme bei der Planung des Berliner Holocaust-Denkmals. Die Initiatorin Lea Rosh und Überlebende sowie Angehörige von Ermordeten beanspruchten Deutungs- und Gestaltungshoheit jeweils für sich. Die Problematik wurde durch einen neuen und schlichteren Entwurf – so wie man das Mahnmal heute kennt – gelöst, auch wenn es nach wie vor Kritik daran gebe. Für Kommunen bedeute das, rät der Entscheidungsträger des Zentrums für Erinnerungskultur der Stadt Duisburg, sowohl im vorinstitutionellen Raum als auch verschiedenen Gremien offen über Gedenkinitiativen zu sprechen. Und: „Viele wollen natürlich ihre Agenda in der Stadt repräsentiert sehen,“ was problematisch werde, wenn Konzepte bereits auf bestimmte Orte, Künstler*innen und Inhalte festgelegt sind und den Kommunen so die Möglichkeit eines breiten Aushandlungsprozesses nehmen.
Generell empfehlen die beiden Expert*innen erst die komplexen historischen Ereignisspuren zu erforschen, bevor etwas aktiv sichtbarer (oder unsichtbarer) gemacht werde. Dazu gehöre die verschiedenen Akteur*innen sprechfähig und die Verwaltung selbst „hörfähig“ zu machen, indem Fachkundige hinzugezogen würden. Nur so könne ein*e gute*r Oberbürgermeister*in der Komplexität aus historisch-politisch-gesellschaftlichem Erinnern gerecht werden.
Die komplette Diskussionsrunde findet ihr in der Mediathek auf www.neuestadt.org.



