Donnerstag, 28. März 2024

Zur Genauigkeit von Bevölkerungsprognosen

Deutschland ein Mehrgenerationenhaus

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Wie sieht unsere Zukunft aus? Genau genommen wissen wir es nicht. Dies zeigt die Bevölkerungsvorausberechnung des Statistischen Bundesamts sehr deutlich. Wenn die prognostizierten Entwicklungen der dort genannten Szenarien wie beschrieben stark auseinandergehen, stellt sich aber für viele die Frage, wofür es dann Bevölkerungsprognosen braucht. Auch sind Prognosen in der Vergangenheit meist nicht eingetroffen. Dies wird Prognosemachenden oft vorgeworfen. Die Prognostizierenden gleichwohl sind überzeugt von der Richtigkeit ihrer Prognose. Wer hat nun Recht?

Kurz gesagt: Beide. Richtig ist, dass die Prognosen oft die absolute Bevölkerungszahl, die von vielen Nutzenden meist als erstes oder einziges betrachtet wird, verfehlen. Richtig ist aber auch, dass die Prognoseergebnisse so lange korrekt sind, so lange genau die wirtschaftlichen und politischen Rahmenbedingungen eintreten, die für die Prognose zu Grunde gelegt werden. Nur ist genau dies nicht immer der Fall.

Varianten der Bevölkerungsvorausberechnung (Grafik: Statistisches Bundesamt 2022)
Bevölkerungsentwicklung 2017 bis 2040 in den Kreisen und kreisfreien Städten. (Grafik: BBSR/ROP40)

Beispielsweise kann eine Region, der vor 30 Jahren ein Bevölkerungsrückgang prognostiziert wurde, heute wachsen. Das bedeutet nämlich nicht, dass die Prognose falsch war. Vielmehr haben sich die wirtschaftlichen und politischen Rahmenbedingungen so verändert, dass der Bevölkerungsrückgang aufgehalten werden konnte. Dies trifft beispielsweise auf ostdeutsche Städte wie Dresden oder Leipzig zu. Aber bereits frühere Prognosen haben die Alterung der Gesellschaft für die sächsischen Regionen richtig vorhergesagt. Und diese Information ist für viele Anwendungsbereiche einer Bevölkerungsprognose mindestens genauso wichtig wie die absolute Bevölkerungszahl. Darüber hinaus haben wir in unseren eigenen Prognosen gesehen, dass es Regionen in Deutschland gibt, die trotz enormer Zuwanderung Bevölkerung verlieren werden. Und gleichzeitig gibt es Regionen, die auch bei geringer Zuwanderung, beispielsweise während der Corona-Pandemie, wachsen. Wir können somit eine räumliche Struktur erkennen, die relativ stabil ist, und Regionen benennen, die vor besonderen Herausforderungen stehen. Während die einen den Schrumpfungsprozess gestalten müssen, müssen die anderen mit Wachstum umgehen (vgl. Karte).

Was steckt hinter diesen Prozessen? Ausgangspunkt ist, dass der Großteil der Bevölkerung, um die es in einer zumindest mittelfristigen Prognose geht, ja heute bereits geboren ist und jedes Jahr ihr Alter um ein Jahr steigt. Ab einem bestimmten Alter nimmt dann die Wahrscheinlichkeit zu, dass die Älteren sterben. Das lässt sich recht gut vorhersagen. Neben der Alterung und der damit verbundenen Lebenserwartung gibt es weitere Komponenten bei einer Bevölkerungsprognose, die sich unterschiedlich gut voraussagen lassen: Die Geburtenrate, die Wanderung innerhalb Deutschlands sowie die Zuwanderung aus dem Ausland.

Die wichtigsten Annahmen, über die wir Prognostizierende uns Gedanken machen müssen, betreffen also die Geburtenrate, die Lebenserwartung, die Wanderungen innerhalb Deutschlands sowie die Zuwanderung aus dem Ausland. Die Annahmen leiten wir aus den statistisch messbaren Entwicklungen der vergangenen Jahre ab. Da beispielsweise die Geburtenrate in der Vergangenheit, trotz zahlreicher familienpolitischer Maßnahmen wie Elterngeld und Betreuungsanspruch, recht stabil blieb, können wir recht sicher sein, dass dies auch künftig der Fall sein wird.

Mit viel größerer Unsicherheit sind die Wanderungen verbunden. Einerseits schwanken Umzüge innerhalb Deutschlands u.a. in Abhängigkeit der wirtschaftlichen Entwicklung und der Preise auf dem Wohnungsmarkt. In den Jahren, in denen die Immobilienpreise moderat waren, sind viele Menschen in Städte mit vielen Arbeitsplätzen, Bildungs- und Kulturangeboten und kurzen Wegen gezogen. Da die Wohnkosten in den letzten Jahren stark gestiegen sind, beobachten wir nun einen verstärkten Wegzug aus den Städten in ihr auch weiter entferntes Umland. Es stellt sich die Frage, ob dieser aktuelle Trend auch künftig so weitergeht? Mit Sicherheit können wir das nicht sagen. Also nehmen wir für die Zukunft eine mittlere Prognosevariante an.

Andererseits kommen auch Menschen aus anderen Ländern zu uns oder ziehen aus Deutschland weg. Diese Außenwanderung hat den größten Einfluss auf die Bevölkerungsentwicklung, sie birgt aber auch die größten Unsicherheiten. Plötzliche Ereignisse wie der starke Anstieg der Flüchtlingszahlen als Folgen des Syrien-Krieges 2015 und des russischen Angriffskrieges in der Ukraine oder die Corona-Pandemie sind Einschnitte, die Prognosen nicht abbilden können. Entsprechend kommen auch unsere Prognosen immer wieder auf den Prüfstand.

Das jüngste Beispiel ist der Krieg in der Ukraine. Dadurch sind in kürzester Zeit mehr als eine Million Menschen nach Deutschland geflohen. Auch aus anderen Krisenregionen kommen Menschen nach Deutschland. Diese Zuwanderung ist extrem relevant in einer Bevölkerungsprognose. Es stellt sich die Frage, wie hoch die Zuwanderung in den kommenden Jahren sein wird. Dabei ist zwischen der kontinuierlich stattfindenden Zu- und Abwanderung und einer starken Zunahme durch Kriege und Krisen zu unterscheiden. Letzteres können wir nicht vorhersehen. Zu ersterem können wir Überlegungen anstellen und begründen. Diese zeigt beispielsweise die Bevölkerungsvorausberechnung des Statistischen Bundesamts. Allen Varianten ist gleich, dass die Bevölkerungszahl in Deutschland künftig vor allem durch Zuzüge aus dem Ausland variiert. Deutschland würde ohne Wanderungsgewinne aus dem Ausland schrumpfen, denn die Zahl der Geburten liegt seit Jahrzehnten unter der Zahl der Sterbefälle. Je nach Stärke der Zuwanderung könnte Deutschland künftig schrumpfen, eine stabile Bevölkerungszahl aufweisen oder erheblich wachsen.

Wozu braucht es dann überhaupt Prognosen, vor allem, wenn sie so unsicher sind? Dazu ist wichtig zu wissen, dass die Prognose nicht einfach eine Bevölkerungszahl für die Zukunft liefert. Sie unterscheidet zwischen Altersgruppen und Geschlechtern, einige Prognosen sind regionalisiert, das bedeutet, sie liefern Ergebnisse für Kommunen. Für den Bund sind Bevölkerungsprognosen wichtig, um z.B. soziale Sicherungssysteme vorausschauend zu finanzieren. Ist bekannt, wie sich die Zahl älterer Menschen entwickelt, ist daraus abzuleiten, dass künftig auch mehr Menschen einen Pflegebedarf haben und entsprechende Angebote erforderlich sind. Die Politik erhält damit die Möglichkeit, vorsorgend Anpassungen vorzunehmen, damit kein Pflegenotstand eintritt. Insofern hat die Prognose einen positiven Einfluss. Regional, das heißt z.B. für Landkreise, sind Prognosen für die Bereitstellung und Planung der Daseinsvorsorgeinfrastruktur notwendig. Dazu zählen etwa die ärztliche Versorgung, der öffentliche Nahverkehr, die Feuerwehr, das Bildungswesen oder die Energieversorgung. Auch lokal, das heißt in den Städten und Gemeinden, spielt die künftige Bevölkerungsentwicklung eine Rolle. So dient sie z.B. der Planung von Schulen und Kitas, da sie aufzeigt, wann und wo wie viele Kinder in welchem Alter leben werden. Das lässt auch Rückschlüsse auf den Bedarf bestimmter Schulformen zu.

Zum Weiterlesen:
Maretzke, S.; J. Hoymann; C. Schlömer (2021): Raumordnungsprognose 2040. Bevölkerungsprognose: Ergebnisse und Methodik. BBSR-Analysen KOMPAKT 03/2021, Bonn.


(Foto: Privat)

Dr. Jana Hoymann ist Geographin und arbeitet als wissenschaftliche Projektleiterin im Referat Raumentwicklung des Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumforschung (BBSR). Sie beschäftigt sich mit Fragen der demographischen Entwicklung in den Regionen Deutschlands, erarbeitet die Raumordnungsprognose des BBSR mit und befasst sich mit Szenarien künftiger Raumentwicklung in Deutschland.

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