Dienstag, 16. April 2024

Männliche Beschäftigte im Kindergarten und in der Grundschule?

m/w/d (work in progress)

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Ja, bitte! Und es dürften gerne mehr werden!

Aber warum gibt es eigentlich so wenige männliche Erzieher und Grundschullehrer?

Starten wir mal mit den Fakten: In Deutschland sind über 90 Prozent der Erzieher*innen und ca. 85 Prozent der Grundschullehrkräfte weiblich. Obwohl sich der Anteil der männlichen Beschäftigten in Einrichtungen der Kindertagesbetreuung in den letzten Jahren fast verdreifacht hat, befindet er sich mit knapp 8 Prozent immer noch im einstelligen Bereich.

Dies deckt sich auch mit der Erinnerung an die eigene Kindergarten- und Grundschulzeit, oder? Ein Mann in der Kita oder der Grundschule? Das war fast so selten wie ein Einhorn und ist es leider heute immer noch.

Warum ist das so und was macht das mit den Kindern und unserer Gesellschaft?

Die Gründe hierfür sind vielfältig. Ein Grund ist mit Sicherheit: unsere Gesellschaft ist immer noch durch veraltete Geschlechterstereotype geprägt. Wenn Kinder in der Kita beispielsweise ausschließlich weibliche Erzieherinnen erleben, formt dies ihre Welt. Kaum ein junger Mann, der gerade seinen Schulabschluss in der Tasche hat, kann sich vorstellen in der Kita oder der Grundschule zu arbeiten. Der Umgang und die Arbeit mit Kindern sind in unserer Gesellschaft immer noch vielfach „Frauensache“ und auf den ersten Blick nur für wenige Männer attraktiv. Ähnlich sieht es übrigens in der Pflege aus. Alle Berufe, in denen es um Care-Arbeit geht, also Jobs, in denen sich Menschen um andere Menschen kümmern, haben mit diesem Problem zu kämpfen. Denn Care-Arbeit wird traditionell eher Frauen zugeschrieben. Für die meisten männlichen Schulabsolventen erscheint die Vorstellung, diesen Weg einzuschlagen, wenig attraktiv. Auch, weil man in den vermeintlich „klassischen Frauenberufen“ oftmals ein geringeres Einkommen erzielt. Das macht den Job unattraktiver. Interessanterweise wird in den Berufssparten, in denen mehrheitlich Frauen beschäftigt sind, generell schlechter bezahlt. Es ist sogar so, dass das durchschnittliche Gehalt sinkt, wenn der Frauenanteil in dem Beruf steigt und umgekehrt. Werden vermehrt Männer eingestellt, steigt das durchschnittliche Gehalt.

Wie wirkt es auf Kinder, wenn sie im Kindergarten und in der Grundschule hauptsächlich von Frauen gebildet und unterrichtet werden?

Sie lernen, dass das scheinbar so zu sein hat. Jungs lernen: Erzieher ist kein Beruf für uns. Auch wenn dies nicht so benannt wird, werden die Kinder in diesem Umfeld so geprägt, weil die männlichen Vorbilder fehlen. Da beginnt ein sich selbst verstärkender Effekt. Was ich nicht mit meinen eigenen Augen sehen kann, kann ich mir nur schwer vorstellen. Eine männliche Kindergärtnerin? Gibt es nicht!

Junge Männer später davon zu überzeugen, dass das durchaus auch ein Beruf für Männer sein kann, ist eine Herausforderung. Was Hänschen nicht lernt, lernt Hans nimmer mehr. Auch wenn dieses Sprichwort glücklicherweise nur bedingt zutrifft, also auch Hans im Leben immer noch Neues lernen kann, bleibt die Erkenntnis: Erfahrungen, die wir früh im Leben machen, prägen uns.

Dabei wäre ein höherer Männeranteil in diesen eher weiblich geprägten Berufszweigen so wichtig. Jungs brauchen auch männliche Vorbilder, benötigen auch die männliche Sichtweise und Herangehensweise an Probleme und Konflikte und manchmal einfach jemanden, der ihre Interessen und Vorlieben teilt oder zumindest manchmal auf eine andere Art besser versteht. Ebenso profitieren Mädchen davon, wenn sie in einem professionellen Setting auf wertschätzende und gut ausgebildete Erzieher treffen.

Aber nicht nur das spricht für eine ausgewogene Repräsentanz aller Geschlechter in Kindergarten und Grundschule. Auch auf der Ebene der beruflichen Zusammenarbeit sind diverse Teams erstrebenswert. Die Art und Weise wie Teams zusammenarbeiten wird von der Sichtweise jedes einzelnen Mitgliedes bestimmt und hier gilt, was auch für die Wirtschaft und andere Bereiche der Berufswelt gilt: Gemischte Teams sind die besten Teams! Warum? Weil viele verschiedene Sichtweisen zusammenkommen und dafür sorgen, dass Themen nicht einseitig betrachtet und bewertet werden.

Genauso, wie es Sinn macht, dass mehr Frauen in die Vorstandsetagen einziehen, macht es Sinn, dass endlich mehr Männer im Kindergarten und in der Grundschule ankommen.

Dann würde vielleicht auch das Gehalt in diesen so wichtigen, aber bisher unterbezahlten Jobs steigen und das wäre doch ein schöner Nebeneffekt.

Nicht zuletzt müssen wir uns endlich von den verstaubten Rollenklischees verabschieden, damit Mädchen und Jungen sich frei entwickeln und ihre Berufe nach ihren tatsächlichen Neigungen und Interessen wählen können.

Zurzeit trifft man in der Grundschule tatsächlich die ein oder andere männliche oder non-binäre Lehrkraft mehr, weil sie aufgrund des Lehrkräftemangels über den Seiteneinstieg mit einem Sport-, Musik-, Kunst- oder Englischstudium „reingerutscht“ ist. Ein schöner Effekt: Oftmals sind diese Menschen selbst überrascht, wie gut ihnen der Job gefällt. Genau diese Erfahrungen, diese Geschichten, müssen erzählt werden, damit mehr junge Menschen und besondere junge Männer Zugang dazu erhalten, wie wunderbar dieser Beruf sein kann!

Letztlich würden alle davon profitieren, wenn vor allem mehr Männer den Schritt in diese klassischen „Frauenberufe“ machen würden. Und es wäre ein Schritt hin zur Weiterentwicklung unserer Gesellschaft, denn die alten Rollenklischees gehören schon längst aussortiert. Die Zukunft ist vielfältig, bunt und divers. Los geht’s!


(Foto: Inga Haar)

Tanja Küsgens hat als Bundessprecherin der Frauen im VBE und als Mitglied der Hauptversammlung der dbb Bundesfrauenvertretung ein besonderes Auge für frauenpolitische Themen in der Gewerkschaftsarbeit. Sie vertritt den Verband Bildung und Erziehung (VBE) im europäischen Gewerkschaftskomitee für Bildung und Wissenschaft (ETUCE – Trade Union Comittee for Education). Im Hauptberuf ist sie stellvertretende Schulleiterin der Katholischen Grundschule Südschule in Düren.

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