Samstag, 20. April 2024

Gästinnengeberin

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Dr. Eva Charlotte Proll
Dr. Eva Charlotte Proll
Dr. Eva-Charlotte Proll ist verantwortlich für Unternehmensentwicklung und Digitalisierung beim Behörden Spiegel – nach außen wie nach innen. Sie ist passionierte Reiterin, macht gerne Sport und ist mit Ihrer kleinen Tochter viel draußen unterwegs.

Beim Behörden Spiegel diskutieren wir an unterschiedlichen Stellen einmal die Woche über das Gendern und Klischees im Geschlechterkontext. Sind es Bürgerinnen und Bürger oder Bürger*innen? Als Vollzeit arbeitende Mutter mit zwei kleinen Kindern (2 ½ und 1 Jahr) waren die Kollegen der Ansicht, ich könnte gut etwas über die Hölle der Vereinbarkeit von Beruf und Familie schreiben. Kann ich aber gar nicht – denn mein Mann hält zuhause und beruflich den Laden zusammen, während ich auf Dienstreisen nachts durchschlafen darf. Deshalb möchte ich ein paar berufliche und private Erfahrungen teilen.

Erfahrung Nr. 1: Montag 9 Uhr – Die Hand-Mund-Fuß-Pocken bei den Kindern sind deutlich sichtbar. Sie können nicht in die Tagespflege, also bleibt mein Mann zuhause, arbeitet, macht parallel was im Haushalt.

Erfahrung Nr. 2: Freitag 14 Uhr – „Wo ist denn der Junior-Chef?“ „Der ist beim Kinderturnen.“ „Dafür ist der doch schon viel zu alt.“ „Da turnen auch noch andere Väter“.

Erfahrung Nr. 3: Samstag 15 Uhr – Das Kleinkind trägt eine graue Hose und eine dunkelblaue Wolljacke, ruft „Platz da“ und prescht an den alten Leuten auf dem Laufrad vorbei. Wir passieren die älteren Herrschaften und sie konstatieren: „Ein mutiger kleiner Fratz“. Meine Kinder sind beides Mädchen.

Bevor man die Schublade aufmacht, sollten man gewappnet sein, wer da rauskommen könnte. Im 21. Jahrhundert tragen Mädchen blau, sind mutig und Väter machen freitags früher Schluss, um mit den Kindern zum Turnen zu gehen.

Eigentlich war die Rollenverteilung für diese Woche klar. Mein Mann fährt nach Nürnberg zur it-sa, ich arbeite bis Donnerstag im Büro, kümmere mich um die Kinder und fliege am Abend nach Berlin für Termine am Folgetag. So kommt es aber nicht. Mein Mann sagt seine Geschäftsreise ab, weil die Kinder krank sind. Ich reise – obwohl durch die Kinderkrankheit einiges an Arbeit liegen geblieben ist – am Donnerstagabend nach Berlin. Das ist meine sechste Dienstreise in fünfundzwanzig Tagen und nächste Woche bin ich wieder unterwegs. Diese Aufteilung scheint dennoch eine Seltenheit. Ich bin mal von einer anderen Mutter gefragt worden, wie das so ist, sieben Monate nach der Geburt wieder arbeiten zu gehen und ein modernes Familienmodell zu leben (mein Mann war damals IT-Berater und hat ebenfalls sieben Monate Elternzeit gemacht). Das war beim ersten Kind. Beim zweiten Kind habe ich nach dem Mutterschutz wieder angefangen, ein paar Tage zu arbeiten – da hat sich keiner mehr getraut zu fragen.

Ich finde gendern in Maßen sinnvoll – einem Kollegen ging neulich der Begriff der „Gästin“ über die Lippen. Laut Duden ist dies die weibliche Sprachform von Gast. Dennoch finde ich den Begriff abstoßend. Ich erreiche meine Emanzipation nicht dadurch, indem ich beim nächsten Digitalen Staat Gästinnengeberin bin. Ich erreiche sie durch anderes. Und das entscheide ich selbst – nicht der Duden, nicht der progressive Zeitgeist der Zeitenwende und auch nicht das Aufflammen alter Klischees.

Als Frau solle ich einen Hosenanzug anziehen, um mit meiner Weiblichkeit meine Fachlichkeit nicht in den Schatten zu stellen – hat man mir mal gesagt. Warum sollte ich nicht mit einem Rock kokettieren?

Wenn sich junge Männer ihre Fingernägel lackieren, ist das ein Ausdruck von … – ja von was eigentlich? Hier sind wir bei Erfahrung Nr. 3: „Platz da“ rufen, waghalsig den Berg runterfahren, kann man auch als Mädchen: blau anziehen, seinen Platz einfordern.

Wenn der Kleiderschrank das nächste Mal aufgeht, empfehle ich, mal die Schubladen zu zählen.

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