Dienstag, 23. April 2024

Urwälder von morgen

Mit Weitblick

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Unberührte Wälder sind wertvolle Oasen für die Artenvielfalt und wichtig für den Klimaschutz. Die NABU-Stiftung Nationales Naturerbe kauft Waldflächen und lässt hier die „Urwälder von morgen“ entstehen.

Ein Trommelwirbel schallt weit hörbar durch den Wald. Durch die noch zarten Blätter der Bäume ist der Schlagzeuger zu erkennen: In der Krone einer alten Eiche sitzt ein Schwarzspecht und hämmert auf einem dicken abgestorbenen Ast. Er hat sich ein besonders gutes Klangholz ausgesucht, um jetzt im Frühling sein Revier zu markieren und ein Weibchen zu finden. Noch einige Male ist sein Trommeln weit durch das Naturschutzgebiet Biesenthaler Becken zu hören. Dann lässt sich der mehr als taubengroße Vogel auf dem dicken, auf dem Waldboden liegenden Stamm einer Buche nieder. Wie mit einem Meißel arbeitet er jetzt mit seinem kräftigen Schnabel mehrere Insektenlarven aus dem morschen Holz – ein Leckerbissen für den Zimmermann des Waldes. Gestärkt geht es nun an die Arbeit: bei den Schwarzspechten bauen Weibchen und Männchen gemeinsam an ihrer Bruthöhle, die in Höhen von 10 bis 20 Metern gezimmert wird. Nur besonders alte Bäume eignen sich für den Bau der großen Höhle, in die problemlos zwei Fußbälle übereinander passen. Im harten Buchenholz vollbringen die Spechte eine Meisterleistung mit ihren Schnäbeln.

Das Naturschutzgebiet Biesenthaler Becken liegt vor den Toren Berlins und ist mit einer Größe von fast 1.000 Hektar halb so groß wie die Insel Amrum. Hier bieten Wälder, Seen, Moore und Feuchtwiesen nicht nur für unsere Schwarzspechte paradiesische Zustände. Doch das war noch nicht immer so, denn in den meisten Naturschutzgebieten ist die Landnutzung kaum eingeschränkt und so schallen selbst dort, wo eigentlich die Natur geschützt werden soll, die Motorsägen durch den Wald, werden eintönige Nadelwälder angepflanzt und Holz geerntet, bevor die Bäume überhaupt das Alter und die passende Größe für Schwarzspechthöhlen erreicht haben.

Seit dem Jahr 2002 kauft die NABU-Stiftung Naturschutzflächen im Biesenthaler Becken und mit 473 Hektar ist fast die Hälfte des Gebietes in ihrer Obhut. Hier entstehen die Urwälder von morgen, denn auf den Flächen der NABU-Stiftung können sich Wälder ohne menschliche Eingriffe ganz nach den Regeln der Natur entwickeln. Hier dürfen Bäume alt werden und auch nach dem Ende eines Jahrhunderte währenden Baumlebens bietet das Totholz im Wald einen neuen Lebensraum für unzählige Arten an Tieren, Pflanzen und Pilzen. Im Biesenthaler Becken finden sich viele solcher alten Bäume, aber auch Kieferforste waren unter den Flächen, die die NABU-Stiftung erworben hat. Hier wird Waldumbau betrieben, um der Entwicklung zu den „Urwäldern von morgen“ auf die Sprünge zu helfen. Dabei werden schonend einzelne Nadelbäume entnommen und der Forst aufgelichtet. Oft genügt schon ein wenig Licht und aus von den Tieren des Waldes eingebrachte Samen sprießen innerhalb kurzer Zeit erste Laubbäume. Nur selten müssen die Naturschützer*innen etwas nachhelfen und junge Laubbäume pflanzen. Nach wenigen Jahren ist der Waldumbau abgeschlossen und die Natur übernimmt das Ruder: ein neuer „Urwald von morgen“ ist entstanden.

Genau wie im Biesenthaler Becken entstehen durch die NABU-Stiftung in vielen Gebieten Deutschlands kleine und große „Urwälder von morgen“. Das größte Projekt ist derzeit der Laubacher Wald in Hessen. Hier können sich über 1.200 Hektar Wald für immer ohne menschliche Eingriffe entwickeln. Dieses Waldgebiet ist so groß, dass es alle Kriterien eines Wildnisgebietes erfüllt. Hier finden auch besonders seltene Vogelarten wie der Mittelspecht oder der Zwergschnäpper einen sicheren Lebensraum.

Daneben betreut die NABU-Stiftung Nationales Naturerbe aber auch viele kleinere Waldparadiese. Der Urwald bei Unna mit 30 Hektar oder die Davert südlich von Münster mit 24 Hektar sind kleine Oasen für die Natur. In der Lapitz-Geveziner-Waldlandschaft in Mecklenburg-Vorpommern finden selbst stark bedrohte Vögel wie Schreiadler und Schwarzstorch noch einen Rückzugsraum im nun ungestörten Urwald.

Nur dank der Unterstützung vieler naturbegeisterter Menschen ist es möglich, diese Waldflächen zu erwerben, dauerhaft für die Natur zu sichern und so die „Urwälder von morgen“ wachsen zu lassen. Möchtet auch ihr an diesem Projekt mitwirken? Dann könnt ihr mit einer Spende den NABU-Waldschutzfonds unterstützen, mit dem die NABU-Stiftung neue Waldflächen kauft. Oder ihr könnt mit einer Urwald-Patenschaft euren ganz persönlichen Hektar Urwald in einem der NABU-Schutzgebiete bei seiner Entwicklung zum „Urwald von morgen“ begleiten.

Ihr seid auch herzlich eingeladen, die NABU-Schutzgebiete in eurer Nähe zu besuchen. Ihr findet sie auf unserer Gebietskarte. Oder streift einfach mit offenen Sinnen durch ein Waldgebiet in Eurer Nähe, lauscht dem Rauschen der Blätter und den Vogelstimmen, spürt den Duft des Waldes in eurer Nase und genießt die Wunder der Natur.


(Foto: Christiane Winkler)

Klemens Karkow arbeitet bei der NABU-Stiftung Nationales Naturerbe als Referent für Öffentlichkeitsarbeit und Fundraising. Seit seiner Jugend ist er im Naturschutz aktiv und in der Freizeit oft mit Fernglas und Kamera in der Natur unterwegs.

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