Montag, 7. Oktober 2024

„Der Patient muss bekommen, was er braucht“

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Der Rettungsdienst ist bereits seit Jahren überlastet, weil immer wieder Menschen anrufen, die ihre Lage nicht richtig einschätzen und für den Einsatz eines Krankenwagens sorgen, obwohl dies vielleicht nicht nötig gewesen wäre. Dafür fehlt dem Rettungsdienst dann möglicherweise die Zeit oder auch Kapazität, um zu den tatsächlichen Notfällen zu gelangen. Das Problem sieht auch Christof Constantin Chwojka von der Björn Steiger Stiftung und erläutert es uns näher.

Herr Chwojka, die Björn Steiger Stiftung fordert eine Reform des Rettungswesens. Weshalb?

Die klassische Rolle einer Rettungsleitstelle muss schon lange hinterfragt werden. Denn es geht hier nicht nur um eine reine Notfallannahme und -weitergabe, sondern auch darum, die Patienten zu steuern und zu beraten. Viele Menschen sind gar nicht in der Lage, ihr gesundheitliches Problem selbst richtig einzuschätzen und rufen dann zu jeder Tages- und Nachtzeit den Notruf an. Auch dann, wenn sie eigentlich zum Hausarzt gehen könnten. Die Folge: überlastete Notaufnahmen und ein überlastetes System.

Klingt so, als würden viele Menschen den Rettungsdienst als Einrichtung betrachten, die ihnen immer zur Verfügung stehen muss.

Richtig. Und dadurch erfüllt der Rettungsdienst leider häufig die Aufgabe eines Transportmittels zur medizinischen Basisversorgung, die vor Ort geleistet werden müsste. Diese hohe Zahl an Bagatelleinsätzen sorgt dann insbesondere in ländlichen Regionen dafür, dass die Fahrzeuge samt Besatzung für wirkliche Notfälle nicht mehr zur Verfügung stehen. Auch eine Verschiebung klinischer Leistungen und die immer geringere Anzahl an niedergelassenen Ärzt*innen sorgen für eine Erhöhung der Einsatzfrequenz der Rettungsdienste.

Haben Sie Zahlen für uns?

Die Gesamtzahl der Einsätze hat drastisch zugenommen, gleichzeitig bleibt die Zahl der Notfälle im engeren notfallmedizinischen Sinn konstant. Nur etwa jeder neunte Notarzteinsatz erfordert auch eine*n Notärzt*in! Ich möchte hier eine Analyse aus Kaiserslautern als Beispiel heranziehen, die folgendes ergeben hat: Ganz vorne liegen mit 56,1 Prozent internistische Krankheitsbilder, danach kommen Einsätze für Menschen mit psychosozialen und psychiatrischen Symptomen (12,3 Prozent). Aber nur in 9,6 Prozent der Fälle lagen auch wirkliche Notfälle vor!

Das ist sicher auch für die Einsatzkräfte frustrierend.

Das ist es. Einsätze, die aus notfallmedizinischer Sicht nicht nötig wären, sind den im Rettungsdienst Tätigen nur allzu bekannt. Eine Stichtagsabfrage von deutschlandweit 3.130 Einsätzen hat ergeben, dass jeder dritte Einsatz gar kein wirklicher Notfall war.

Ist das ein deutschlandweites Phänomen?

Nein, diese Problematik ist im gesamten mitteleuropäischen Raum bekannt und tägliche Realität.

Was wären aus Sicht der Björn Steiger Stiftung mögliche Lösungsansätze?

Die Patient*innen müssen gezielt in die passende Gesundheitseinrichtung geleitet und gelenkt werden. Dafür ist eine Vernetzung des Gesundheitssystems auf zumindest kommunikativer Ebene zwingend notwendig. Und dafür müssen auch standardisierte und qualitätsgesicherte Systeme zur Verfügung stehen, die nicht nur dem Hilfesuchenden dienen, sondern die auch den Mitarbeitenden in der Leitstelle bei ihren Beratungen Sicherheit geben.

Was macht eine Beratung gut?

Gleich zu Beginn des Anrufs sollte eine Einordnung erfolgen, die zwischen lebensbedrohlichen Erkrankungen oder Verletzungen und ungefährlichen gesundheitlichen oder sozialen Problemen unterscheidet. Diese Einordnung nimmt ein*e speziell geschulte*r Notrufmitarbeiter*in nach klaren Regeln vor. Damit können sie steuern, dass Hilfesuchende nicht mehr direkt mit dem Rettungsdienst bedient werden, wenn es sich nicht um einen akuten Notfall handelt. Wichtig ist es dabei, den Anrufenden die Sicherheit zu geben, dass man sie ernst nimmt und ihnen bestmöglich helfen wird. Etwa durch eine Übergabe an medizinisches Fachpersonal, das eine weitere Einstufung vornimmt, die weitere Vorgehensweise mit dem Anrufenden bespricht und Empfehlungen abgibt. Das Ziel muss es sein, dass die Patient*innen das bekommt, was sie brauchen – und nicht das, was sie gerne hätte.


Bild: Björn Steiger Stiftung

Christof Constantin Chwojka engagiert sich weltweit für den Aufbau zeitgemäßer Strukturen, moderner Technologien und mehr Effizienz in öffentlicher Sicherheit und Gesundheitsvorsorge. 2003 gründete er den Notruf Niederösterreich, seit August 2023 ist er Geschäftsführer bei der Björn Steiger Stiftung.

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