Es brennt in der Pflege: Hohe Arbeitsbelastungen, zu wenig Zeit um den Beruf nach den eigenen Ansprüchen auszuüben, ein angespanntes Betriebsklima, immer wieder aus der Freizeit einspringen müssen … Dies sind nur einige Gründe, warum immer mehr Pflegekräfte ihre Stunden reduzieren oder ihren Beruf verlassen. Gleichzeitig nimmt der Pflegebedarf immer weiter zu – woher aber soll das dringend benötigte Personal kommen?
Schlummernde Fachkräftepotenziale
Die bundesweite Studie „Ich pflege wieder, wenn…“ hat gezeigt: In Deutschland gibt es 860.000 aus der Pflege am Bett ausgestiegene Pflegefachkräfte und knapp zwei Drittel von ihnen würden in ihren Beruf zurückkehren. Auch die Hälfte aller Teilzeitpflegekräfte wäre bereit, ihre Stunden zu erhöhen. Allerdings: unter der Bedingung konsequenter und umfassender Verbesserungen ihres Berufsalltags. Sie wünschen sich ausreichend Zeit für eine gute Pflege, eine höhere Bezahlung und wertschätzende Führung, die Stärkung der Kollegialität sowie verlässlichere Arbeitszeiten. Sicherlich keine einfachen Lösungen, aber ein Versuch, der sich lohnen könnte: 300.000 Pflegefachkräfte stünden in Vollzeit zusätzlich zur Verfügung – eine Zahl, die den prognostizierten Pflegekräftemangel in großen Teilen decken könnte. Zudem: Das Personal ist bereits ausgebildet, erfahren und vor Ort, außerdem profitiert auch das vorhandene Personal von verbesserten Arbeitsbedingungen.
Kann das funktionieren?
Pflegekräfte sind hoch intrinsisch für ihren Beruf motiviert, nehmen ihn als vielseitig und sinnstiftend wahr. Die ermittelte Bereitschaft zur Rückkehr und Stundenerhöhung von Pflegekräften war überraschend groß – dies drückte sich auch in der Teilnahme von 12.700 Pflegekräften sowie einer breiten Rezeption der Studienergebnisse aus. Ein Grund für die Arbeitnehmerkammer Bremen, die Umsetzung in die Praxis zu verfolgen und ein Modellprojekt anzustoßen. Dieses wird seit Anfang 2024 unter dem Namen „Ich pflege wieder, weil…“ am Bremer Krankenhaus St. Joseph Stift durchgeführt, gefördert mit Mitteln des Landes Bremen und des Europäischen Sozialfonds Plus. Dieses läuft vier Jahre und umfasst die gesamte Geburtshilfe, inklusive der Berufsgruppe der Hebammen.
Ein Gesamtpaket, das signalisiert: Wir meinen es ernst!
Abgeleitet aus der Studie und Diskussionen mit zahlreichen Akteur*innen steht die Erkenntnis, dass die Rückgewinnung von Pflegekräften ein Gesamtpaket an Maßnahmen voraussetzt, das signalisiert, dass es der Betrieb ernst meint. Zu dessen Kernelementen zählen (1) eine bedarfsgerechte und verbindliche Personalbemessung, dessen Einhaltung durch (2) flankierende Maßnahmen wie Ausfallkonzepte, Springerpools und eine partizipative Dienstplangestaltung gefördert wird. Das Betriebsklima wird verbessert durch (3) die Vernetzung von Führungskräften und Schulung in wertschätzender Kommunikation, sowie (4) die Einführung von Zeiten für kollegiale Beratung. Mit diesen Maßnahmen angeworbene und zurückgewonnene Kolleg*innen werden (5) im Rahmen eines umfassenden Onboarding-Programms integriert. Für den gesamten Prozess sind Verbindlichkeit und die Partizipation der Beschäftigten fundamental. Diese werden gewährleistet durch die Verankerung von Maßnahmen u.a. in Betriebsvereinbarungen, die regelmäßige Befragung der Beschäftigten, ihre Präsenz in Projektgremien sowie Workshops, in denen die Kernelemente angepasst, ausgestaltet und erweitert werden können.
Best-Practice-Konzepte und Signal an die Politik
Die Arbeitnehmerkammer Bremen wird das Modellprojekt jährlich evaluieren und Konzepte erarbeiten, die auf andere Einrichtungen und Pflegesettings übertragen werden können. So sollen substantielle und nachhaltige Veränderungen in der Praxis angestoßen und Handlungsimplikationen für politische Rahmenbedingungen formuliert werden.
Laufend aktualisierte Informationen zu den Ergebnissen der Studie und ihren praktischen Umsetzungsmöglichkeiten findet ihr hier.
Dr. Jennie Auffenberg arbeitet als Referentin für Gesundheits- und Pflegepolitik in der Arbeitnehmerkammer Bremen.