Freitag, 19. April 2024

Frischer Wind für alte Dorfhäuser

Reduce - Reuse - Recycle

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Was tun, wenn Familien lieber am Dorfrand wohnen – und der Ortskern verwaist? Diese Frage stellte sich das ostwestfälische Hiddenhausen und beschloss, nicht länger in Baugebiete am Ortsrand zu investieren. Stattdessen geht die Gemeinde mit dem kommunalen Förderprogramm „Jung kauft Alt“ gezielt gegen den drohenden Leerstand vor: Wer einen Altbau in der Dorfmitte kauft, erhält Zuschüsse und für jedes Kind einen Bonus. Ein Modell, das die Region für Jüngere attraktiv macht: Mittlerweile lebt durchschnittlich ein Kind in jedem geförderten Haushalt.

Wie bekämpft man den Leerstand in den alten Ortskernen? Bis vor ein paar Jahren wiesen alle Prognosen für die Gemeinde Hiddenhausen eine schrumpfende und alternde Bevölkerungsentwicklung aus. Eine Analyse örtlicher Altersstruktur zeigte deutlich, dass in naher Zukunft ein großer Anteil an alten Häusern auf den Markt kommen wird.

Neues Denken in der Baulandpolitik

Hiddenhausen hat aufgrund dieser Prognosen und Analysen erkannt, dass das Schaffen von neuen Baugebieten nicht die optimalste Lösung ist.

Ein neues Denken in der Bauleitplanung war gefragt, um junge Familien am Ort zu halten und deren Blick „weg vom Neubau – hin zum Altbau“ zu lenken. Deshalb traf sich die Gemeinde Hiddenhausen Anfang 2007 mit diversen Expert*innen aus Banken, Sparkassen, Makler*innen, Wohnbaugesellschaften, Planer*innen und Architekt*innen, um Möglichkeiten zur Förderung der Altbaunutzung zu diskutieren.

Das Ergebnis: Die Gemeinde Hiddenhausen verzichtet auf die Schaffung von Neubaugebieten. Gleichzeitig wurde das Förderprogramm „Jung kauft Alt – Junge Menschen kaufen alte Häuser“ ins Leben gerufen. Damit unterstützt die Gemeinde junge Familien bei der Nachnutzung von alten Siedlungshäusern mit Zuschüssen für Altbaugutachten und für den Kauf von alten Wohnhäusern. Zusätzlich fördert die Gemeinde auch energetische Maßnahmen.

Knapper werdende Freiflächenressourcen werden nachhaltig geschont, gewachsene Ortsteile wieder mit jungem Leben gefüllt, die Auslastung der vorhandenen Infrastruktur wird verbessert, CO2-Emissionen verringert und Kindergärten und Schulen werden gestärkt.

Beratung schließt Informationslücken

Das größte Hemmnis bei der Vermarktung und Nachnutzung von Altbauten ist vor allem die Einschätzung des Sanierungsaufwandes. Den Meisten fehlt es hier an ausreichenden Informationen für die Finanzierung. Viele Bauinteressierte scheuen davor zurück, Fachleute einzuschalten, verlassen sich auf zweifelhafte Schätzungen oder lassen den Gedanken an die Um- oder Nachnutzung eines Altbaus gleich wieder fallen.

Hier kommt das Förderprogramm „Jung kauft Alt“ ins Spiel: Um die Nutzungsmöglichkeiten und die damit verbundenen Umbau- und Sanierungskosten professionell abschätzen zu können, fördert die Gemeinde die Erstellung eines Altbau-Gutachtens.

Dabei wird die Ortsbegehung, Bestandsaufnahme, Modernisierungsempfehlung und Kostenschätzung durch Architekt*innen und Bausachverständige bezuschusst, und zwar einmalig mit einem Sockelbetrag von 600 Euro. Zusätzlich gibt es Fördergelder in Höhe von 300 Euro pro Kind (maximal können bis zu 3 Kinder gefördert werden).

Familien erwünscht!

Das Programm der Gemeinde fördert den Kauf eines mindestens 25 Jahre alten Hauses laufend für die Dauer von 6 Jahren. Die Geförderten erhalten einen jährlichen Grundbetrag von 600 Euro und 300 Euro für jedes zum Haushalt der Antragsteller gehörende minderjährige Kind. Das Besondere daran: bei Geburten innerhalb des Förderzeitraumes erhöht sich der Förderbetrag im Sinne eines „Altbau-Kindergeldes“ auf bis zu einem jährlichen Förderbetrag von 1.500 Euro. Voraussetzung hierfür ist der Nachweis der Eigentumsumschreibung im Grundbuch und die Anmeldung bei der Gemeinde mit Hauptwohnsitz.

Ersatzbau statt Altbau

Nicht jeder Altbau lässt sich nach energetischen Standards effizient sanieren. Dies hat Hiddenhausen erkannt und die Förderungen ergänzt: Wenn ein derartiger Altbau abgebrochen und an der gleichen Stelle ein Neubau errichtet wird, erhalten Bauherren die gleiche Förderung wie beim Kauf eines Altbaus, denn auch hier wird die vorhandene Infrastruktur nachgenutzt und gleichzeitig kommt junges Leben wieder zurück in die alten Dorfkerne.

Energetische Förderung

Seit dem Jahr 2019 gibt es von der Gemeinde Hiddenhausen als Beitrag zum Klimaschutz auch einen Zuschuss für die energetische Sanierung. Diesen Zuschuss können alle, die bereits in der laufenden Förderung sind, beantragen.

Voraussetzung hierfür ist, dass die durchgeführten oder veranlassten Maßnahmen zur Energieeinsparung eine Verbesserung der Energieeffizienz des Hauses erreicht haben. Die Grundlage dafür stellt das Gebäudeenergiegesetz (GEG) und die Bundesförderung für effiziente Gebäude (BEG) dar. Hier werden unterschiedliche Effizienzhausstufen beschrieben. Es gibt eine Staffelung des Zuschusses, je nachdem, welche Stufe erreicht wird. Der geringste Zuschussbeitrag ist 600 Euro; der höchste 4.200 Euro.

Allerdings wird dazu eine fachliche Bestätigung als Grundlage für die Auszahlung des Zuschusses benötigt.

Innovativ und umsetzungsstark

Hiddenhausen hatte mit „Jung kauft Alt“ eine innovative und außergewöhnliche Idee, die einfach und gut ist. Einfach: die Fördersätze sind leicht merkbar, Antragstellende brauchen nur ihren Namen und die Anschrift des zu erwerbenden Gebäudes anzugeben. Gut: die Erfolgszahlen sprechen für sich.

Bis Mitte August 2022 förderte die Gemeinde Hiddenhausen den Kauf von insgesamt 753 Altbauten sowie die Erstellung von 75 Altbaugutachten. In den geförderten Haushalten leben insgesamt 952 Kinder. Erfreulich ist auch die Geburt von 233 Babys in den unterstützten Haushalten während der Förderung. Ab dem Jahr 2014 bilden allein die Erstklässler, die in den geförderten Haushalten wohnen, eine Grundschul-Einstiegsklasse. Besonders bemerkenswert ist, dass die Gemeinde Hiddenhausen nicht nur junge Familien halten, sondern auch Neubürger*innen gewinnen konnte, denn rund 60 Prozent der geförderten Haushalte werden von Zugezogenen bewohnt und davon stammen 14 Prozent der unterstützten Personen sogar aus einem anderen Landkreis. Zudem wurde seit 2011 keine Neubaufläche mehr geschaffen. Wegen des großen Erfolges hat der Rat der Gemeinde Hiddenhausen einstimmig beschlossen, „Jung kauft Alt“ unbefristet fortzuführen.

Vorbildwirkung

Hiddenhausen ist für sein Förderprogramm „Jung kauft Alt“ vielfach ausgezeichnet worden. Durch die Erfolgszahlen, der medialen Verbreitung, der Vorstellung des Programms in Seminaren und kommunalen Gremien sowie der bundesweiten Anfragen aus anderen Kommunen konnte Hiddenhausen andere Städte und Gemeinden in ganz Deutschland inspirieren.


(Gemeinde Hiddenhausen)

Alexander Graf leitet in Hiddenhausen das Amt für Gemeindeentwicklung. Bei der Vorstellung des Förderprogramms “Jung kauft Alt” wurde er von vier jungen Kolleginnen unterstützt.

(Gemeinde Hiddenhausen)

Lina Schäfer, Erika Kunz, Zeinab Kaawar und Lea Freiter (Foto, vlnr) haben 2022 ihre Ausbildung bei der Gemeinde Hiddenhausen begonnen. Ihre Mienung zu “Jung kauft alt”?

“Wir finden das Förderprogramm „Jung kauft Alt“ sehr gut, da es junge Menschen finanziell dabei unterstützt, dem Wunsch eines Eigenheims näher zu kommen. Zeitgleich wird durch den Erhalt alter Häuser, der Bewahrung von Grünflächen und der Förderung von energiesparenden Maßnahmen ein großer Beitrag zum Klimaschutz geleistet. Zudem werden überfüllte Neubausiedlungen vermieden, wodurch auch der „dörfliche“ Charakter der Gemeinde erhalten bleibt.”

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