Ironischerweise war es drückend heiß. Im Sitzungssaal meines schwäbischen Heimatstädtchens stand die Luft, als eine kleine Gruppe junger Klimaaktivist*innen mit bunten Schildern eine entschlossenere kommunale Klimapolitik forderten: Ein Update für das städtische Klimaschutzkonzept stand auf der Tagesordnung des Technischen Ausschusses.
Die Debatte war hitzig, doch kleinere Erfolge beim Ausbau des Busverkehrs und der Ausweisung von Flächen-Photovoltaikanlagen waren drin. Ein betagterer Stadtrat versuchte die Lage klein zureden („Ihr immer mit Eurem Klimazeugs…“), beschwor einen Affront gegen Autofahrer*innen herauf, ein Raunen ging durch die Reihen. Bei der Abstimmung war die Mehrheit des Ausschusses dann anderer Meinung und die Erinnerung an die triumphierenden Blicke der Aktivist*innen im Raum lässt mich heute noch grinsen.
Fortschritt – zu kleinteilig und zu langsam
Eine Anekdote, die beiläufig wirkt und im Kontext des sich wandelnden Weltklimas unbedeutend ist. Doch sie steht quasi symbolisch dafür, dass es Mehrheiten und Möglichkeiten für eine konsequente Klimapolitik gibt, der Wille zu Veränderung aber schrumpft, sobald es konkret wird.
Die Bundesregierung hat sich der Klimaneutralität bis 2045 verschrieben und seit ihrer Einsetzung auch angepackt: Durch mehr Tempo und mehr Flächen für den Ausbau erneuerbarer Energien, Förderungen für nachhaltiges Bauen und Sanieren, Anreize für energieintensive Industriebranchen wie Stahl und Chemie, Investitionen in Technologien ohne fossile Energieträger.
Schön und gut. Aber reicht das? Kurz gesagt: Nein. Insbesondere im Verkehrsbereich tut sich deutlich zu wenig, die Energie- und Wärmewende haben längst nicht so viel Drive wie nötig.
System-, nicht Klimawandel
Wir Jusos, als Jugendorganisation der SPD, möchten über das klimapolitische Klein-Klein hinausgehen. Zu lange haben Unternehmen und Politik an fossilen Energieträgern festgehalten, schließlich konnten Erdöl und Gas über Jahrzehnte hinweg zu niedrigen Preisen importiert werden.
Hinzu kommt: Die reichsten 10% in der Bundesrepublik verursachen jährlich 257 Millionen Tonnen Treibhausgase – das ist mehr als die gesamte ärmere Hälfte der Bevölkerung verursacht, nämlich 237 Millionen Tonnen. Gleichzeitig leiden unter den Auswirkungen des Klimawandels Menschen ohne oder mit niedrigem Vermögen stets mehr, denn sie können sich aus Wetterextremen und beispielsweise Schäden durch Überschwemmungen sowie Hitze nicht einfach mal rauskaufen. Die Klimakrise ist also auch eine massive Ungleichheitskrise.
Klimaschutz, der allen was bringt
Gerade wenn die Mietüberweisung oder der Kassenzettel im Supermarkt viele Bürger*innen schlucken lassen, braucht es eine Klimapolitik, die für Entlastung sorgt: Insbesondere junge Menschen, Azubis, Studierende, Berufseinsteiger*innen – eigentlich doch die Generation der Klimaaktivist*innen – ächzen unter steigenden Preisen. Kluge Klimapolitik setzt exakt da an.
Was das konkret heißt? Zwei Beispiele:
Wenigstens halbwegs erschwinglich von daheim zur Schule, Uni, Arbeit, Kneipe, zu Familie, Freund*innen zu kommen und dabei was fürs Klima zu tun, ist ein enormer Fortschritt durch das 49€-Ticket. Dass sich Bund und Länder seit der Einführung immer wieder über dessen weitere Finanzierung streiten, ist zum Kopfschütteln. Das Gegenteil ist notwendig: ein Plan dafür, den öffentlichen Nahverkehr schrittweise billiger, mittelfristig ticketfrei und Fahrten im Fernverkehr deutlich günstiger zu stellen.
Anfang 2021 wurde ein nationaler CO₂-Preis auf fossile Brennstoffe im Wärme- und Verkehrsbereich eingeführt. Dieser ist sinnvoll, um Treibhausgasemissionen zu senken – verschärft allerdings Ungerechtigkeiten, denn hier wird mal wieder im Verhältnis stärker belastet, wer weniger verdient. Die vollständige Rückerstattung der Einnahmen durch die CO₂-Bepreisung aber in Form einer Pro-Kopf-Klimaprämie kann genau dem entgegenwirken.
Sozialer Klimaschutz statt nächster Wärmerekord
Die Szene im Sitzungssaal ist jetzt knapp fünf Jahre her. 2019 war ich gerade in den Gemeinderat wiedergewählt worden und es fühlte sich an, als seien vor dem Hintergrund der Fridays-for-Future-Bewegung endlich tiefgreifende Veränderung möglich. In der Kommune, im Bund, in Europa. 2024 wiederum meldet sich Ernüchterung. Die Klimakrise steht nicht mehr im Fokus des öffentlichen Interesses, bei der vergangenen Europawahl beschäftigten Themen wie Frieden, soziale Absicherung und Zuwanderung laut Befragungen die Wähler*innen mehr spürbar.
Der menschengemachte Klimawandel sorgt allerdings weiter für Schlagzeilen: Extreme Waldbrände haben sich laut einer neuen Studie aus Australien in den letzten 20 Jahren weltweit mehr als verdoppelt. Im Juni wurden in über 100 Ländern Temperaturrekorde gebrochen. Starkregenfälle und Hochwasserkatastrophen werden häufiger.
Klar ist: Es braucht Druck. Für eine entschiedene, nachhaltige, soziale Klimapolitik. Ob mit Bannern im Gemeinderatsausschuss, eine eigene Kandidatur für lokale Gremien, den Beitritt in eine demokratische Partei oder die Unterstützung einer Klimainitiative vor Ort. Nur noch kurz das Klima zu retten, klappt nur, wenn wir wieder lauter werden.

Lara Herter ist stellvertretende Bundesvorsitzende der Jusos und im Rahmen dessen für Klima-, Umwelt- und Wirtschaftspolitik zuständig.