Freitag, 29. März 2024

“Ich mache hier meinen Traumjob”

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Marco Feldmann
Marco Feldmann
Marco Feldmann ist Redakteur für Innere Sicherheit und Bevölkerungsschutz. Er war 15 Jahre lang Fußballschiedsrichter.

Die 33-jährige Dressler beschäftigt sich schon lange mit Attacken auf Rettungskräfte. Hierzu hat sie auch promoviert. Dazu meint sie: “Die Dissertation hat in der Feuerwehrwelt für einiges an Aufsehen gesorgt.” Denn sie sei bewusst nicht für Juristen, sondern auch für Führungskräfte der Feuerwehren und Hilfsorganisationen verfasst worden. Ihre jetzige Stelle als Beauftragte für Gewaltprävention und Diversität hat die gebürtige Hamburgerin seit Februar 2019 inne. Zuvor arbeitete sie beim Deutschen Feuerwehrverband (DFV) und studierte in Hamburg und Bonn Rechtswissenschaften mit dem Schwerpunkt Kriminologie. Das erste juristische Staatsexamen legte sie 2012 ab. 2016 folgte die Promotion.

Bevor Dressler mit 21 Jahren ihr Jurastudium in Hamburg aufnahm, studierte sie zuvor noch während einer “postabituriellen Findungsphase” einige Semester lang Maschinenbau und Betriebswirtschaftslehre in München. Über ihre jetzige Stelle, bei der sie direkt der Behördenleitung der Berliner Feuerwehr untersteht, sagt Dressler: “Sie besteht aus zwei Hälften: zum einen Gewaltprävention und zum anderen Diversitätsmanagement.” Dabei ist sie Ansprechpartnerin für alle Feuerwehrangehörigen im Falle von Übergriffen. Und das ohne Einhaltung des Dienstweges.

Keine Rechtsberatung, nur Prozessbegleitung

“Zu meinen Aufgaben in diesem Bereich gehören zusätzlich zur strategisch-konzeptionellen Ebene aktuell auch noch die Einzelfallbetreuung sowie die Prozessvorbereitung und -begleitung.” Dabei findet allerdings keine Rechtsberatung durch Dressler statt. Es geht eher um “moralische Unterstützung, Sachfragen und Beratung”, erklärt die Beauftragte. Denn insbesondere das erste derartige Verfahren sei für die Kollegen oftmals eine massive Belastung. “Zu wissen, was sie bei der Zeugenaussage vor Gericht erwartet, kann zu einer großen Entlastung beitragen.” Die Berliner Feuerwehr sei jedoch nicht nur im Bereich der Prozessvorbereitung tätig. Als Nebenkläger trete die Behörde allerdings bisher nicht auf. Vielmehr gelte: “Wir geben alle Vorgänge an die Polizei beziehungsweise die Staatsanwaltschaft ab”, stellt die Juristin, die als Tarifbeschäftigte bei der Berliner Feuerwehr tätig ist, klar. Ebenso zweifelsfrei sei, dass “jede mutmaßliche Straftat zur Anzeige gebracht wird und wir bei Attacken auf unsere Mitarbeiter eine Null-Toleranz-Linie verfolgen”. Über ihr Amtsverständnis sagt Dressler: “Mir ist ganz wichtig, dass die Kollegen merken, dass die Behörde sie nicht allein lässt.” Um möglichst nah am Geschehen zu sein, arbeitet die Beauftragte für Gewaltprävention und Diversität oft auch an Feiertagen und bei Großlagen, etwa zu Silvester oder am 1. Mai. Sie fährt teilweise auch zu Einsätzen mit und meint über sich selbst: “Ich sehe mich nicht nur als Büromensch, sondern möchte in Kontakt mit der Basis bleiben und ein gutes Gespür für den Einsatzbetrieb erhalten.”

Enger Kontakt zu BFRA-Dozenten

Daher steht sie auch in engem Austausch mit den Dozenten der Berliner Feuerwehr- und Rettungsdienst-Akademie (BFRA), die für die Aus- und Fortbildung zuständig sind. Dabei geht es insbesondere um das Thema Deeskalation. Sie sagt: “Für Einsatzkräfte ist es wahnsinnig schwierig, den richtigen Rückzugszeitpunkt zu finden. Das muss man ständig trainieren und kann nur durch Erfahrung gelernt werden.” Selbst für sie, die zu dem Thema ihre Dissertation verfasst hat, ist es nicht immer einfach. Dressler räumt ein: “Obwohl ich mich seit Jahren mit dem Thema beschäftige, bin ich bei entsprechenden Übungen auch schon gescheitert und habe zu spät den Rückzug angetreten.” Derzeit werde überlegt, wie künftig auch Virtual-Reality-Konzepte in die Ausbildung integriert werden könnten. Der typische Täter sei den bisherigen Erfahrungen nach männlich, insbesondere zwischen 20 und 39 Jahre alt und alkoholisiert. Wobei Letzteres nicht immer ausschlaggebend für einen Übergriff sei.

“Deutlich geworden ist aber, dass die Angreifer eher Patient als Drittperson sind und der Rettungsdienst deutlich stärker betroffen ist als die Besatzungen von Löschfahrzeugen.” Dies liege auch daran, dass die Rettungswagen – deren Kräfte häufiger attackiert würden als die Besatzungen von Notarzteinsatzfahrzeugen – nur mit zwei Personen besetzt seien. Besonders häufig komme es statistisch gesehen zwischen 15 und 23 Uhr und eher zum Wochenende hin zu Angriffen. Neben der Einzelfallbearbeitung entwickelt Dressler zusammen mit ihren Mitarbeitern einen Prozessleitfaden, Checklisten zum korrekten Melden und Vorgehen bei Angriffen sowie Hinweise zum Meldeverfahren. “Außerdem stellen wir für Kollegen, die an einer Posttraumatischen Belastungsstörung oder ähnlichen Krankheitsbildern leiden, den Kontakt zu spezialisierten Kliniken oder Opferhilfeorganisationen her, auf Wunsch auch anonym.” Und auch mit dem Einsatznachsorgeteam bestehe eine enge Zusammenarbeit. Sobald Dressler einen entsprechenden Meldebogen über einen Angriff enthält, wird der Vorfall in die interne Statistik aufgenommen. “Bestehen noch Unklarheiten, fragen wir gegebenenfalls telefonisch nach”, erklärt die Beauftragte. Anschließend werde bei Bedarf eine Mappe mit Informationsmaterial verschickt. “Danach kümmern wir uns um die Prozessvorbereitung und -begleitung. Dabei versuchen wir, in den verschiedenen Stadien des Verfahrens von A bis Z für die Kollegen da zu sein und sie zu coachen.”

Generell weist die Beauftragte Feuerwehrleute auf eines hin: “Jegliche Straftaten zulasten von Feuerwehrangehörigen sind grundsätzlich bei der Polizei anzuzeigen.” Eine Strafanzeige werde in der Regel unmittelbar an der Einsatzstelle aufgenommen. Sie könne aber auch nachträglich von jedermann online erstattet werden.

Dressler unterstreicht: “Bei Straftaten, die den Antragsdelikten zuzurechnen sind, stellt die Behördenleitung als Dienstvorgesetzte Strafantrag.” Parallel dazu könne in solchen Fällen auch der Betroffene selbst diesen Schritt gehen, sodass dann zwei Strafanträge gestellt würden.

Teilweise erfolgt Strafverfolgung erst auf Antrag

Zu den Antragsdelikten gehören derzeit unter anderem die Straftatbestände der Beleidigung, des Hausfriedensbruchs und einfache vorsätzliche Körperverletzungen, bei denen kein öffentliches Interesse an der Strafverfolgung besteht. “Tätliche Angriffe auf Vollstreckungsbeamte oder ihnen gleichgestellte Personen gemäß der Paragrafen 114 und 115 Strafgesetzbuch (StGB) hingegen sind Offizialdelikte. Hier müssen die Ermittlungsbehörden von Amts wegen tätig werden”, erläutert Dressler. Gleiches gelte bei Bedrohungen oder Nötigungen.

Dressler ist nicht nur Ansprechpartnerin für Berufsfeuerwehrleute, sondern auch für Angehörige der Freiwilligen und der Jugendfeuerwehr sowie für Mitarbeiter von Hilfsorganisationen, die die Berliner Feuerwehr im Einsatz unterstützen. Bei Attacken auf Kräfte der Freiwilligen Feuerwehr wird der möglicherweise erforderliche Strafantrag übrigens auch durch den Landesbranddirektor gestellt. Werden Mitarbeiter der Hilfsorganisationen angegriffen, müssen Technisches Hilfswerk (THW), Deutsches Rotes Kreuz, Malteser Hilfsdienst und die übrigen dort aktiven Akteure selbst tätig werden.

Nicht an “Inseldenken” interessiert

Im Übrigen können nicht nur körperliche Attacken gemeldet werden. Es können auch für die jeweilige Einsatzkraft besonders belastende Fälle von Beleidigungen beim Lagedienst und der Präventionsbeauftragten aktenkundig gemacht werden. Hierzu meint Dressler jedoch: “Da aber im Vergleich zum tätlichen Angriff eine deutlich höhere Fallzahl verbaler Übergriffe zu erwarten ist, ist die statistische Erfassung mit den aktuellen technischen und personellen Mitteln noch nicht sauber abbildbar. Meine Kollegen und ich arbeiten an einer einfachen Erfassungsmöglichkeit in den zukünftigen Einsatzprotokollen.” Dressler, die eine Fortbildung als Mediatorin absolviert hat und sich ehrenamtlich in den Bereichen Krisenintervention sowie Psychosoziale Notfallversorgung (PSNV) engagiert, ist aber nicht nur Beauftragte für Gewaltprävention, sondern auch für Diversität. Als solche ist sie Ansprechpartnerin für Fälle von Mobbing, Extremismus und Diskriminierung innerhalb der Behörde. Dabei hält die Juristin “nichts von Inseldenken und wenig nachhaltigen Aktionen wie zum Beispiel Thementagen”. Ihr geht es eher um größere Zusammenhänge. Aus diesem Grunde versteht Dressler das Eintreten für Diversität – ebenso wie das Agieren gegen Übergriffe auf Einsatzkräfte – als “absolute Führungsaufgabe”.

Fast 150 Attacken im vergangenen Jahr

Wie wichtig das Amt Dresslers ist, zeigen allein schon die nackten Zahlen. So gab es in Berlin im abgelaufenen Kalenderjahr mindestens 144 Angriffe auf Einsatzkräfte und sogar 211 strafrechtlich relevante Vorfälle, wozu auch Nötigungen, Sachbeschädigungen und Bedrohungen zählen. Dabei wurden 35 Feuerwehrleute verletzt.

Ein Fall erschütterte zuletzt besonders, wie Dressler berichtet. Demnach blockierte auf der Anfahrt zu einem Verkehrsunfall im Berliner Ortsteil Gesundbrunnen ein in zweiter Reihe parkendes Auto die Weiterfahrt eines Löschfahrzeugs der Berliner Feuerwehr. Nachdem der Fahrer seinen Wagen zunächst einige Meter nach vorn bewegt hatte, blieb er erneut stehen und eine Weiterfahrt des Einsatzfahrzeugs war weiterhin nicht möglich. Nun näherte sich eine zweite Person, beleidigte die Feuerwehrleute und bewarf ihr Fahrzeug mit einem Döner.

Daraufhin stieg der Einsatzleiter des Löschfahrzeugs aus und wurde unvermittelt mit einer Glasflasche beworfen. Diese traf ihn am Hinterkopf. Dabei erlitt er mehrere Schnittwunden am Hinterkopf und verlor kurzzeitig das Bewusstsein. Ein Rettungswagen transportierte ihn in eine Klinik, in der die Wunde genäht werden musste. Aufgrund dieses Vorfalls mussten die Einsatzkräfte der Feuerwache Prenzlauer Berg ihren eigentlichen Einsatzauftrag abbrechen. Es musste ein Löschfahrzeug der Feuerwache Wedding zu dem Verkehrsunfall entsendet werden.

Dieser Vorfall, der durch nichts zu entschuldigen und streng zu verfolgen ist, hatte folglich nicht nur einen erheblich verletzten Feuerwehrmann zur Folge, sondern darüber hinaus noch Verzögerungen bei der Einsatzbewältigung.

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