Freitag, 26. April 2024

Zwischen Bundestag und Familie

m/w/d (work in progress)

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Dies erstmal vorweg: Es ist eine große Ehre und macht wahnsinnig Spaß, ein politisches Mandat auszuüben und im Bundestag sitzen zu dürfen. Volksvertreter zu sein, ist eine besondere Aufgabe, und die Verantwortung, die damit verbunden ist, eine ebenso große.

Aber es soll ja um die Frage der Vereinbarkeit von Bundestagsmandat und Familie gehen. Deshalb zu Beginn eine ernüchternde Feststellung: Beruflich Politik zu machen, ist nicht wirklich gut mit Familie vereinbar. Denn damit einher geht der Anspruch der vollständigen Verfügbarkeit und Erreichbarkeit. Viele Menschen und Institutionen haben große Anforderungen an einen. Das ist auch bei einem Bundestagsmandat so. Hinzu kommt, dass auch die eigene Familie durch eine solche öffentliche neue Aufgabe eine ganz andere Aufmerksamkeit bekommt.

Deshalb ist es wichtig, dass man vor dem Entschluss zur Kandidatur und dem Einstieg in den Wahlkampf mit der Familie zusammensitzt und berät, ob alle diesen Wunsch und die Idee mittragen können und es unterstützen. So habe auch ich das mit meiner Familie gemacht.

Man kann aber auch im Jahr 2022 noch große Unterschiede bei Anforderungen und Erwartungen an Frauen und Männer in diesem Job feststellen. Schon im Wahlkampf wurde mir in fast jedem Gespräch oder Interview, am Infostand und bei Veranstaltungen die Frage gestellt, wie ich das mit meinem Kind mache, wenn ich in den Bundestag komme. Männlichen Kollegen, die mitunter mehrere Kinder im Kleinkindalter haben, werden diese Fragen selten bis nie gestellt. Und es gibt nicht selten auch Reaktionen, gerade von älteren Frauen, die einem offen sagen, dass sie das nicht gut finden. Eine Mutter gehöre doch zu ihrem Kind.

Nun, nach einem Jahr „unter der Kuppel“, kann ich sagen, dass es zwei unterschiedliche Arten von Wochen gibt. Die Sitzungswochen in Berlin, die dadurch gekennzeichnet sind, dass ich eigentlich komplett durchgetaktet bin. Die Tage beginnen sehr früh und enden spät in der Nacht. Mein Team in Berlin hat dann die Regie und die Abläufe sind klar. Durch die vielen langen Tage und kurzen Nächte habe ich während der Sitzungswochen in Berlin nur eingeschränkt Kontakt zu meiner Familie. Wir haben uns deshalb so organisiert, dass wir viel miteinander schreiben. Ich versuche dann zwischendurch, häufig von unterwegs, zuhause anzurufen. Wenn es wirklich dringend ist, weiß mein Kind aber, dass es mich anrufen kann.

Die anderen Wochen sind die im Wahlkreis. Dort muss ich mit meinem Wahlkreisteam die Struktur schaffen und vorgeben. In den Wahlkreiswochen war im ersten Dreivierteljahr mein Kalender fast durchgehend voll mit Terminen. So schnell konnte ich gar nicht gucken. In dieser Zeit habe ich meine Familie fast nicht gesehen. Deshalb haben wir seit den Sommerferien feste Blocker für Familienzeit, vor allem mittags und nachmittags. Denn die Abende sind nahezu immer mit Terminen belegt.

Meine „lesson learned“ nach einem Jahr ist: Wenn ich keine Blocker in den Kalender schreibe, ist die vermeintlich freie Zeit schnell weg. Die Regelmäßigkeit, die ich mit meinem Team festgelegt habe, hilft auch meinem Team, eine gewisse Routine und mehr Planbarkeit im Büroalltag zu entwickeln.

Neben dem Bundestagsmandat bin ich seit 5 Jahren auch Landesvorsitzende der Frauen Union Hamburg. Das bedeutet, dass ich mir mit meinen Mitstreiterinnen viele Gedanken dazu mache, wie man Frauen für Politik begeistert und wie man sie dabei unterstützt, in der Politik auch Verantwortung zu übernehmen. Vor meiner Zeit im Bundestag habe ich 20 Jahre lang Kommunalpolitik in Hamburgs größtem Bezirk Wandsbek gemacht. Er hat über 440.000 Einwohner und ist für sich genommen schon wie eine sehr große Stadt. Termine und Ausschuss-Sitzungen fanden in der Regel am Abend statt, nach dem Studium und später dann nach der Arbeit. Immer auch schon mit Kind. Ich kenne also sowohl die Perspektive von Frauen in der Politik, die das im Ehrenamt machen, als auch von denen, die Berufspolitikerinnen sind.

Ich finde zum einen, dass es sehr wichtig ist, dass Frauen, und auch vor allem junge Frauen und Mütter, sich politisch engagieren und aktiv einbringen. Denn sie bringen eine andere und eigene Sicht auf die Dinge und Herausforderungen im Alltag mit. Und zum anderen, dass es die Aufgabe von Parteien ist, in diesem Wissen Rahmenbedingungen und vor allem Verständnis dafür zu schaffen. Das bedeutet, z.B. feste Endzeiten einzurichten, Sitzungen auch hybrid zu ermöglichen oder eine politische Elternzeit einzurichten. All diese Dinge sind auch für Väter wichtig, nicht nur für Frauen. Wir müssen als Partei(en) aktiv(er) um Frauen werben.

In der Bundestagsfraktion haben wir einen Arbeitskreis zur Vereinbarkeit von Politik und Familie gegründet. In dem sind sogar mehr Väter als Mütter aktiv. Hier diskutieren wir, wie auch für uns Abgeordnete die Rahmenbedingungen noch besser werden können. Warum z.B. ist es so schwer für Abgeordnete, in der Bundestagskita einen Platz für ihr Kind zu bekommen? Wäre es nicht doch denkbar, dass ein Säugling mit in den Plenarsaal genommen werden darf? Aktuell ist dies verboten. Wenn also eine Debatte z.B. um 23 Uhr beginnt und man dort eine Rede halten muss, dann darf das Baby nicht mit in den Saal. Zu dieser Uhrzeit eine Betreuung zu organisieren, ist aber nicht immer gut machbar. Und ist es nicht auch möglich, die Anzahl der doppelten Sitzungswochen, also zwei Sitzungswochen direkt hintereinander, zu reduzieren? Viele Kolleg*innen haben einen langen Fahrtweg nach und von Berlin. Die Familie ist in diesen Wochen immer zusätzlich belastet. So denken wir also über verschiedenen Dinge nach. Denn bei aller Leidenschaft für Politik ist doch Familie die Basis für alles und das Wichtigste im Leben.


(Foto: Tobias Koch)

Franziska Hoppermann ist seit einem Jahr Abgeordnete im Deutschen Bundestag für den Wahlkreis Hamburg-Wandsbek. Dort setzt sie sich u.a. auch für die Vereinbarkeit von Politik und Familie ein.

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