Samstag, 20. April 2024

Digitale Transformation der Gesellschaft – Teil III

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Digitale Transformation des privaten Sektors

Im Jahr 1983 erließ der Deutsche Bundestag das Gesetz über eine Volks-, Berufs-, Wohnungs- und Arbeitsstättenzählung, kurz: Volkszählungsgesetz 1983. Gegen die darin vorgesehene Datenerhebung regte sich schon bald Widerstand, der schlussendlich vor dem Bundesverfassungsgericht landete und in dem berühmten Volkszählungsurteil mündete. Das darin entwickelte Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung formuliert das Gericht im ersten Leitsatz seiner Entscheidung folgendermaßen: „Unter den Bedingungen der modernen Datenverarbeitung wird der Schutz des Einzelnen gegen unbegrenzte Erhebung, Speicherung, Verwendung und Weitergabe seiner persönlichen Daten von dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht des GG Art 2 Abs. 1 in Verbindung mit GG Art 1 Abs. 1 umfasst. Das Grundrecht gewährleistet insoweit die Befugnis des Einzelnen, grundsätzlich selbst über die Preisgabe und Verwendung seiner persönlichen Daten zu bestimmen.“

Ein Vierteljahrhundert später, im Jahr 2008, prüfte das Bundesverfassungsgericht Regelungen zur Online-Durchsuchung im Verfassungsschutzgesetz des Landes Nordrhein-Westfalen und formulierte in dem hierzu ergangenen Urteil das Grundrecht auf Gewährleistung der Vertraulichkeit und Integrität informationstechnischer Systeme – gleichermaßen aus dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht des Grundgesetzes folgend. Durch dieses IT-Grundrecht wollte das Bundesverfassungsgericht eine Schutzlücke der digitalen Kommunikation schließen und gleichzeitig den Ort schützen, in dem unsere Digitale Welt hauptsächlich stattfindet: Unsere digitalen Endgeräte, mit denen wir an der Digitalen Welt teilhaben – denn dieser Ort war weder durch die Telekommunikationsgesetze noch durch die Unverletzlichkeit der Wohnung oder durch das Recht auf informationelle Selbstbestimmung geschützt.

Grund genug also, um uns der digitalen Persönlichkeitsentfaltung sowie der Digitalen Transformation von Kommunikation und Information aus Sicht der Bürger*innen etwas anzunähern.

Zum Vergrößern bitte auf die Grafik klicken (Grafik: Kira Obergöker, Berenike Kücker)

Digitale Persönlichkeitsentfaltung

Der globale Charakter unserer digitalen Kommunikation ist für die meisten alltägliche Selbstverständlichkeit. Erst der Vergleich mit gar nicht so fernen Vergangenheiten führt uns die gewaltige Transformation vor Augen, an der wir alle teilhaben dürfen. Vorbei sind die Zeiten, in denen eine Brieffreundschaft mit jemandem auf der anderen Seite des Erdballs zu den höchsten der kommunikativen Gefühle zählen durfte. Vielmehr haben wir alle in der Digitalen Welt mit unseren Äußerungen eine Reichweite, die nahezu grenzenlos ist.

Zugegeben: Wie viele Menschen wir erreichen, das hängt von uns selbst ab, von unserem Einsatz und unserer Cleverness – doch räumlich betrachtet sind uns keinerlei Schranken mehr gesetzt. Hierdurch wird es einfacher, Gleichgesinnte zu finden, mit denen wir eine Begeisterung teilen, ein Hobby, ja eine Obsession, mit denen wir uns solidarisieren und gemeinsam Vorhaben und Unternehmungen starten und durchführen können. Und wir sind in der Lage, uns aus der kommunikativen Vereinsamung zu befreien, weil wir erkennen, dass wir nicht länger alleine sind mit dem, was uns jeweils individuell auszeichnet.

Ein Instrument hierfür sind digitale Plattformen und digitale soziale Medien, die überall in der Digitalen Welt entstanden sind. In den gigantischen Weiten des digitalen Raums nehmen sie eine Vermittlerrolle wahr, die Menschen sichtbar macht und ihnen hilft zusammenzufinden und sich zu vernetzen – sei es YouTube, wo selbst Kanäle zu den absonderlichsten Begeisterungen noch regen Zulauf finden, sei es TikTok, das immer neue Trends hervorzubringen in der Lage ist, oder sei es Facebook, das inzwischen schon zu den Oldies dieser Branche gerechnet werden kann. Jedoch erwächst gerade hieraus eine Problematik, die erst in den letzten Jahren offenbar geworden ist: Je erfolgreicher diese digitalen Plattformen und sozialen Medien sind, desto mehr Macht haben sie – eine Macht, durch deren Missbrauch die digitale Persönlichkeitsentfaltung so mancher empfindlich verletzt werden kann und deren Regulierung deshalb in jüngster Zeit immer häufiger diskutiert wird.

Daneben ermöglicht uns die Digitale Welt einen Konsum, der noch vor Kurzem undenkbar war. Durch Streamingdienste können wir Filme, Serien und Musik so genießen, wie wir es im konkreten Augenblick brauchen. Vorbei sind die Zeiten, in denen Medien quasi ein hoheitlich gespendeter Segen waren, der durch öffentlich-rechtliche Medienanstalten unter die Bevölkerung gebracht wurde oder in denen wir unsere körperlichen Medienobjekte sorgsam hüten und pflegen mussten – damit die lieb gewordene und längst vergriffene Film-DVD ja keinen Kratzer bekommt und unbrauchbar wird. Damit nicht genug: Online-Spiele lassen uns in Virtuelle Welten eintauchen, deren Immersion eine völlig neue Qualität erreicht – und zwar nicht alleine, sondern zusammen mit anderen Spielenden; auch wenn die Vermischung von realer und virtueller Welt teils eine völlig neue Art darstellt, die Vierte Wand zu durchbrechen und damit die Immersion wieder verschwinden zu lassen.

Selbst der Tod ist von dieser Digitalen Transformation nicht verschont geblieben. Schon seit einiger Zeit wird über einen Digitalen Nachlass diskutiert und nicht wenige von uns kennen Profile in Facebook oder Instagram, die nicht mehr gepflegt werden, gleichsam eingefroren zum Zeitpunkt des Todes der geliebten Person. Da mögen die damit verbundenen rechtlichen Fragen nur all zu nüchtern und profan erscheinen: Wem gehört die Hardware der verstorbenen Person, wie gestaltet sich das Urheberrecht an ihren Fotos auf den sozialen Netzwerken – und wer hat künftig das Recht, die Profile in den sozialen Netzwerken und damit das digitale Grab zu pflegen?

Digitale Transformation der Kommunikation

Eine Persönlichkeitsentfaltung ist ohne Kommunikation undenkbar, das gilt gleichermaßen für die Persönlichkeitsentfaltung in der Digitalen Welt. So verwundert es nicht, dass auch die Kommunikation selbst im Begriff ist digital transformiert zu werden – und teils schon erheblich digital transformiert wurde; der Prozess wird niemals zu einem Ende kommen, weil Sprache und Kommunikation stets im Wandel begriffen sind.

Dass hierzu ebenfalls neue Instrumente der Kommunikation zählen, ist fast schon eine Trivialität. So mag es zwar einige geben, die sich selbst heute noch über die zahllosen Menschen echauffieren, die im öffentlichen Raum – in der Bahn, an der Haltestelle oder im Bus – auf ihre Handys fixiert sind und die sie umgebende (reale) Welt nicht zur Kenntnis zu nehmen scheinen. Doch ist eine solche Reaktion ebenso unangebracht wie irreführend: Nicht das Instrument der Kommunikation ist entscheidend, vielmehr geht es um ihren Inhalt. Und es steht wohl außer Frage, dass auch der WhatsApp-Chat inzwischen eine völlig normale Art der Kommunikation ist – und darin ein zwischenmenschlicher Austausch möglich ist, der anderen Arten des Austauschs in keiner Weise nachsteht. Natürlich ist jedes Kommunikationsinstrument gewissen Beschränkungen unterworfen – doch darf dies keinesfalls dazu führen, dieses Instrument völlig zu diskreditieren.

Interessanter ist vielmehr, dass sich durch neue Instrumente der Kommunikation ebenfalls die inhaltliche Art und Weise ändert, wie wir miteinander kommunizieren. Das mag ein historischer Blick auf die inzwischen alltäglichen Emoticons verdeutlichen. Deren Ursprung ist nämlich reichlich profaner und praktischer Natur und dreht sich um folgenden Begriff: Bandbreite. Für viele von uns ist Bandbreite kein Thema mehr, meist reicht das vereinbarte Datenvolumen aus, um selbst unterwegs per Handy Filme und Serien anzusehen oder daheim Online-Spiele zu spielen – für die „normale“ digitale Kommunikation ist unsere Bandbreite ohnehin meist viel zu groß bemessen.

Das war nicht immer so: In Vor-Internet-Zeiten gab es nur analoge Telefonleitungen und Verbindungen mit anderen Rechnern mussten technisch mühsam hergestellt werden – etwa durch sogenannte Akustikkoppler, in deren Muscheln Telefonhörer gesteckt werden konnten, um die Signale des Telefonnetzes so umzuwandeln, dass Computer in der Lage waren, sie zu verarbeiten. Das führte zu Signalverlusten, gleichzeitig war die Bandbreit insgesamt sehr gering, weshalb die Kommunikation so effizient wie möglich gestaltet werden musste. Und da schlug die Stunde der ersten Emoticons, denn anstelle „Ich freue mich“ zu schreiben ist es um ein Vielfaches effizienter nur : – ) zu tippen.

Inzwischen haben sich die Emoticons von ihren grafischen Wurzeln gelöst und sind zu einer völlig eigenständigen Sparte unserer textlichen Kommunikation geworden. WhatsApp etwa kennt mehr als 3.000 Emojis, die wir für unsere alltägliche Kommunikation verwenden können. Das ist keine Kleinigkeit, vielmehr ist dies ein Zeichen für den massiven inhaltlichen Wandel unserer alltäglichen digitalen Kommunikation.

So mannigfaltig die Digitale Welt und die Kommunikation in ihr erscheinen mag, so beschränkt kann sie zuweilen sein. Denn nur eine Handvoll Apps kommen überhaupt in Betracht, wollen wir mit einer Vielzahl von Menschen digital kommunizieren – WhatsApp und Snapchat sind hierfür zwei gute Beispiele. Diese Alternativlosigkeit der Apps eröffnet Missbrauchsmöglichkeiten für ihre Anbieter. Snapchat etwa enthält eine Funktionalität, die anzeigt, an wie vielen zusammenhängenden Tagen wir mit jemandem kommunizieren. Das mag für gefestigte erwachsene Personen eine Kleinigkeit sein, für Kinder und Jugendliche kommt dies jedoch aufgrund des sozialen Gruppendrucks einer regelrechten psychologischen Verhaltenskonditionierung gleich – eine Konditionierung, die dazu führt, dass die App immer häufiger genutzt wird; und es steht außer Frage, dass diese praktische Umsetzung von Persuasive Technology vom Anbieter ganz bewusst so konzipiert wurde.

Digitale Transformation von Information

Der Zugang zur Digitalen Welt wird nicht umsonst von autoritären Staaten beschnitten, schließlich bietet sie nahezu grenzenlos Informationen. Man kann mit Fug und Recht von einer Demokratisierung der Informationsquellen sprechen, obwohl der Wandel hier noch gravierender ist: Der Zugang zu Informationen war etwa in Deutschland bereits in der Vor-Internet-Zeit demokratisiert – aus der heutigen Perspektive betrachtet war er jedoch für alle gleichermaßen beschränkt. Wollte man einer Frage nachgehen, so musste man sich entweder auf das eigene Gedächtnis verlassen oder die nötigen Informationen anderweitig besorgen – aus der eigenen oder der städtischen Bibliothek, aus hierfür bestellten Medien oder aus dem Gespräch mit Menschen, die sich auskannten. Das war ungleich mühsamer als heutzutage, erscheint doch die richtige Antwort nur einen Fingerzeig entfernt.

Allerdings stehen wir nunmehr vor einer gänzlich anderen Herausforderung. Zwar war es in der Vergangenheit schwieriger, an die gesuchten Informationen zu kommen, doch konnten wir meist davon ausgehen, dass die Informationsquellen verlässlich, die Informationen mithin verantwortungsvoll kuratiert waren. Dies ist inzwischen nicht mehr so ohne weiteres möglich. Informationen, die wir in der Digitalen Welt vorfinden, betrachten wir mit einer neuen und gesunden Skepsis und oft versuchen wir selbst, sie zu überprüfen und zu verifizieren – etwa indem wir uns direkt die Primärquelle besorgen, was durchaus außerhalb der Digitalen Welt stattfindet.

Insbesondere die Fake News-Problematik gibt der Demokratisierung von Informationen in der Digitalen Welt einen zutiefst unangenehmen Beigeschmack. Der flächendeckende Einsatz sogenannter Fakten-Checker kann dies zwar abmildern, allerdings eröffnet sich eine neue Aufgabe, nämlich sicherzustellen, dass diese Instanzen selbst ausreichend qualifiziert sind, um Informationen im digitalen Raum entsprechend zu bewerten – und mithin zu kuratieren. Und doch stehen wir auch hier an einem Anfang: Beschränkt sich die Fake News-Problematik derzeit noch auf größtenteils textlich formatierte Informationen, so wird sie sich in der Zukunft auf alle nur denkbaren Medienformate erstrecken können, seien es Bilder, Ton- oder Videoquellen. Bereits die aktuelle Diskussion über Deep Fakes illustriert dies eindringlich.

Schließlich sind Informationen im digitalen Raum ebenfalls ein Produkt der digitalen Persönlichkeitsentfaltung. Zu welch komplexer digitalen Gemengelage dies führen kann, mag die Kontroverse um die Uploadfilter anhand des Beispiels YouTube verdeutlichen:

Wer bei YouTube Videos hochlädt, wird meist als Content Creator bezeichnet. Diese laden ihre Videos entweder aus reiner privater Begeisterung für die Sache hoch oder weil sie sich hierdurch ein (Zusatz-)Einkommen versprechen – manchmal verschwimmen diese Grenzen auch. Möglich wird zweites, weil YouTube jedem Content Creator pro Aufruf eines Videos einen minimalen Geldbetrag gewährt. Gleichzeitig verknüpft YouTube die Videos mit Werbeanzeigen und generiert dadurch für sich selbst Umsatz. Wir als Medienkonsumenten freuen uns über diese nahezu kostenlose Informationsquelle – schlimmstenfalls zahlen wir einen minimalen Geldbetrag, um im Abonnement jedes Video werbefrei genießen zu können. Somit scheinen letztendlich alle an einem Strang zu ziehen.

Jedoch gibt es eine Gruppe von Menschen, die an dieser gigantischen Win-Win-Situation nicht teilhaben, nämlich die schöpferischen Personen, deren Werke wiederum von den Content Creators verwendet werden, um ihre jeweiligen Videos zu erstellen. Bestehen an diesen Werken Urheberrechte oder sonstige geistige Schutzrechte, dann müssten die Content Creator eigentlich einen entsprechenden Geldbetrag abführen, schließlich wollen jene schöpferischen Personen gleichermaßen für ihre Werke entlohnt werden. Hier schlägt nun die Stunde der sogenannten Uploadfilter: Sie sollen sicherstellen, dass die Content Creator fremde Werke nicht auf eine Art und Weise verwenden, die (rechtlich) unzulässig ist. Dass dies aufgrund der Unmengen an Videos, die täglich bei YouTube hochgeladen werden, eine immense Herausforderung ist, liegt auf der Hand – und doch ist dies nur ein Beispiel von vielen, welche Unmengen an Daten reguliert und welche komplexen Interessenslagen mit Klugheit und Weitsicht in einen Ausgleich gebracht werden müssen.

Ausblick

Auch die digitale Persönlichkeitsentfaltung im digital transformierten privaten Sektor steht erst am Anfang einer langen Reise. Und doch können wir schon jetzt zahlreiche Änderungsprozesse betrachten und begleiten, die sich uns offenbaren und die für viele von uns unmittelbare Auswirkungen zeitigen können. Dabei müssen wir besonders aufmerksam sein, schließlich bewegen wir uns immer mehr und immer intensiver in rein digitalen Infrastrukturen, die von ökonomisch agierenden Akteur*innen gestaltet werden – mit je eigener wirtschaftlicher Agenda; und in denen wir auf immer ausgeklügeltere Art und Weise subtil beeinflusst werden. Deshalb brauchen wir alle eine neue Form der Medienkompetenz, die sich auf die Besonderheiten der Digitalen Welt erstreckt – gleichsam eine digitale Lebenskompetenz.

Prof. Dr. Maximilian Wanderwitz ist Professor für Wirtschaftsrecht, insbesondere das Recht der Informationstechnologie, an der Hochschule Trier, Umwelt-Campus Birkenfeld. Seine Forschungsschwerpunkte sind “Legal Tech” sowie “Recht und Ethik in der Digitalen Welt”. Als Instrument seiner individuellen professoralen Forschung hat er unlängst das Forschungsnetzwerk Gesellschaft für Recht und Ethik in der digitalen Welt gegründet. Link zur Gesellschaft “hier klicken”.

Kira Obergöker ist Studentin der Umwelt- und Wirtschaftsinformatik an der Hochschule Trier, Umwelt-Campus Birkenfeld.



Berenike Kücker ist Studentin der Umwelt- und Wirtschaftsinformatik an der Hochschule Trier, Umwelt-Campus Birkenfeld.



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