Freitag, 29. März 2024

Ein „Must have“ für einen guten Bürgerservice

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Telefonisch erreichbar sein

Veränderte Vorschriften und die rasch fortschreitende Digitalisierung haben bewirkt, dass die Verwaltung ihre Dienstleistungskanäle erweitern musste. Die Bereitstellung von Dienstleistungen begann also auf einer Multikanalstrategie zu basieren.
Abhängig von der Aufgabe, der Art des Anliegens und den bisherigen Erfahrungen, die die Einwohner*innen mit den angebotenen Kommunikationskanälen gemacht haben, wählen sie den Touchpoint (Kontaktpunkt) zur öffentlichen Verwaltung.
Studien belegen: Personen, die ein Problem lösen oder eine Entscheidung treffen müssen, ziehen das Telefon der Homepage vor. Die telefonische Auskunft ist somit nach wie vor ein wesentlicher Pfeiler der Dienstleistungserbringung.

Die Bedürfnisse der Bürger*innen, die sich telefonisch an die öffentliche Verwaltung wenden, wurden dort jedoch bisher kaum berücksichtigt. Das mag daran liegen, dass das Telefon seit langem ein gängiges Mittel ist, um mit der öffentlichen Verwaltung in Kontakt zu treten, Informationen zu erhalten oder Rat zu suchen. Doch wie ist es um den Telefondienst in den Kommunen tatsächlich bestellt?

Dieser Frage geht die Hochschule für öffentliche Verwaltung und Finanzen Ludwigsburg (HVF) seit 2012 gemeinsam mit Kommunen in einer Langzeitstudie u.a. mit Mystery Calls (Testanrufen) nach. Die Untersuchungen zeigen: Die telefonische Erreichbarkeit ist in vielen Verwaltungen leider kein fester Bestandteil des Service-Gedankens. Durch die Mystery Calls haben wir heraus­gefunden, dass viele eingehende Anrufe der Bürger*innen regelmäßig ins Leere klingeln. Warum das so ist, lässt sich mit wenigen Sätzen beantworten: Einerseits gibt es meist keine verbindlichen Standards zum Telefonie-Verhalten am Arbeitsplatz. Andererseits werden die Beschäftigten der öffentlichen Verwaltung für diesen Service selten trainiert und nicht qualifiziert.
Im Gegensatz dazu ist dies in Dienstleistungsunternehmen der Privatwirtschaft unerlässlich, denn ein professionelles Telefonie-Verhalten kann nicht nur Zeit und Kosten, sondern auch Fehler erheblich reduzieren – und dies nicht nur im eigenen Haus, sondern auch bei den Kund*innen.

Die Ergebnisse der Testanrufe wurden alljährlich aufbereitet und schrittweise in Maßnahmen zur Verbesserung der Erreichbarkeit umgesetzt und deren Wirkung gemessen. Es wurden für die Beschäftigten z.B. Abwesenheitsregeln mit festen Vorgaben aufgestellt, wie z.B. “Wenn Sie Ihren Arbeitsplatz länger als 5 Minuten verlassen, muss ein Anrufbeantworter eingeschaltet oder das Telefon an eine*n Kolleg*in weitergeleitet werden”. Unter anderem wurden Begrüßungsformeln definiert und Abwesenheitstexte für die Anrufbeantworter formuliert und als Standard vorgegeben. Die Maßnahmen waren erfolgreich und die Erreichbarkeitsquote in einer Kommune von ca. 62 % im Jahr 2013 auf knapp 90 % im Jahr 2019 erheblich gesteigert.

Im Jahr 2021 wurde mit der Entwicklung eines digitalen Agenten begonnen, der die Erreichbarkeit der Mitarbeiter*innen automatisiert trainiert und deren Begrüßung der Einwohner*innen am Telefon bewertet. Die Ergebnisse zeigten jedoch, dass die bisherigen Maßnahmen nicht mehr ausreichend sind. Aufgrund von Veränderungen durch COVID-19-Beschränkungen und den Arbeitsbelastungsproblemen sank die Erreichbarkeitsquote wieder auf ein neues Tief. Die jährlich trainierten Begrüßungsregeln waren offenbar über die COVID19-Zeit 2020 und 2021 vergessen.

Gemeinsam mit der HVF Ludwigsburg und zwei Städten – Neckarsulm und Sindelfingen (Baden-Württemberg, Deutschland) – sowie der Universität Zürich wird nun untersucht, wie Lernsettings durch den Einsatz eines digitalen pädagogischen Agenten auf unterschiedliche Weise verbessert werden können. Das Projekt führt zu der Erkenntnis, wie ein digitaler Agent mit pädagogischen Skills gestaltet sein muss
(a) damit er in ein Social Blended Learning (SBL) Programm integriert werden kann
(b) einen analogen Trainer ersetzt oder ergänzt und unterstützt.

Gleichzeitig ist es Ziel, Gestaltungsprinzipien für einen pädagogischen digitalen Agenten zu identifizieren und die Unterschiede in den Lernergebnissen für SBL mit/ohne einen digitalen pädagogischen Agenten herauszuarbeiten.

Neben dem Schwerpunkt auf dem digitalen pädagogischen Agenten untersuchen die Projekte weiterhin die Auswirkungen auf die telefonische Erreichbarkeit dieser Gemeinden nach der Verwendung eines SBL und ob das Verständnis für die Notwendigkeit diese Zugangskanals bei den Mitarbeiter*innen und die “perfekte” Art der Beantwortung des Telefons erhöht werden können. Die Frage lautet hierzu, ob, und wenn ja, in welchem Maße die Mitarbeiter*innen die Erreichbarkeit als einen der wesentlichsten Bestandteile des Services an den Bürger*innen erkennen und entsprechend handeln.

Ungeachtet dessen, ist es von wesentlicher Bedeutung, dass das Thema kontinuierlich Management Attention erhält. D.h. nur wenn das Management die telefonische Erreichbarkeit als ein wichtiges Verwaltungsziel definiert, an den Vorgaben und Regelungen hierzu festhält und die Beschäftigten entsprechend qualifiziert, wird dieser Kanal künftig ein professioneller Service für uns Einwohner*innen sein.


Margit Gäng ist Organisationsmanagerin bei der Stadtverwaltung Neckarsulm und Expertin für Organisations- und Digitalisierungsprojekte. Seit vielen Jahren unterstützt Sie in der Praxis innovative Forschungsprojekte der Hochschule Ludwigsburg.


Prof. Dr. Birgit Schenk ist Professorin für Verwaltungsmanagement mit Schwerpunkt Organisations- und Informationsmanagement an der Hochschule für öffentliche Verwaltung und Finanzen Ludwigsburg. Als Leiterin des Kompetenzzentrums Digitale Transformation im öffentlichen Sektor forscht und betreut sie u.a. die Projekte zur Dienstleistungserbringung im digitalen Zeitalter.

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