Dienstag, 23. April 2024

Wie die Reform der Schuldenbremse den Öffentlichen Dienst transformieren kann

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Ein finanzpolitisches Thema bestimmt Wahlkampf und Koalitionsverhandlungen: wie umgehen mit öffentlichen Haushalten, die angesichts des demografischen Wandels, des Klimawandels und Corona stark belastet werden? Und das während die staatliche Schuldenaufnahme immer noch als politisch heikel gebrandmarkt wird? Wir argumentieren im Folgenden, weshalb die Schuldenbremse nicht mehr zeitgemäß ist, wie sie reformiert werden kann und weshalb davon besonders der Öffentliche Dienst profitieren würde.

Finanzpolitik aus der Vergangenheit trifft Herausforderungen der Zukunft

Zwei der drängendsten Herausforderungen unserer Zeit sind der demograf ische Wandel, in dem immer weniger Erwerbstätige für immer mehr Rentner aufkommen müssen, und der Klimawandel, der umfangreiche Investitionen in die Dekarbonisierung erfordert.

In seinem Umgang mit diesen Herausforderungen hat sich der Staat selbst die Hände gebunden: Die Schuldenbremse begrenzt seit 2009 seine Möglichkeiten, schuldenfinanzierte Ausgaben zu tätigen, denn sie erlaubt lediglich ein jährliches Defizit von 0,35%.

Das kann allerdings um die sogenannte Konjunkturkomponente vergrößert oder verkleinert werden. Diese soll sicherstellen, dass in Zeiten des wirtschaftlichen Aufschwungs gespart wird, um eine Überhitzung der Wirtschaft, und damit Inflation, zu verhindern. In Zeiten des Abschwungs soll der Bund dagegen mehr Schulden machen können, um die Wirtschaft mittels staatlicher Nachfrage anzukurbeln.

Die Schuldenbremse soll also eine antizyklische Politik möglich machen, durch die das Potenzial der Wirtschaft bestmöglich ausgereizt wird, ohne dass es dabei zur Inflation kommt. Dieses Versprechen hält sie aber heute nicht. Denn die jetzige Berechnungsmethode der Konjunkturkomponente beruht auf dem Vergleich des tatsächlichen BIP und des Potenzials, das die Wirtschaft theoretisch erreichen könnte, dem Produktionspotenzial. Das Produktionspotenzial ist nicht beobachtbar, sondern muss anhand verschiedener Komponenten geschätzt werden – und das passiert nicht anhand dessen, wie diese sich entwickeln werden, sondern basiert darauf, wie sie sich in der Vergangenheit verhalten haben.

Eine dieser Komponenten ist das Arbeitspotenzial: haben z.B. Frauen in der Vergangenheit weniger gearbeitet als Männer, nimmt man an, dass das in Zukunft genauso sein wird. Nehmen jetzt mehr Frauen Arbeit auf, schrumpft die Lücke zwischen BIP und Produktionspotenzial, die Zeichen stehen auf Überauslastung, der Staat muss sparen. Die heutige Ausgestaltung der Schuldenbremse führt also dazu, dass vergangene wirtschaftliche Trends – prozyklisch – verstärkt werden und die Wirtschaft ihr tatsächliches Potenzial nicht erreicht.

Die Lösung liegt im Arbeitsmarkt…

Wir schlagen daher vor, die Berechnung des Produktionspotenzials zu reformieren. Insbesondere die Inputfaktoren sollten so modifiziert werden, dass sie abbilden, wohin wir wollen, anstatt vergangene Trends zu reproduzieren: zu einer vollausgelasteten Wirtschaft. Diese definiert sich dadurch, dass jede*r, die/der Arbeit finden will, auch Arbeit finden und ausreichend produktiv sein kann, um den eigenen Lebensunterhalt zu bestreiten. Um das erreichbar zu machen, muss der Staat gegebenenfalls mittels schuldenfinanzierter Nachfrage die Wirtschaft ankurbeln. Über gute Löhne und eine niedrige Arbeitslosenquote wäre dann für hohe Steuereinnahmen und geringe Sozialausgaben gesorgt. Das würde, trotz Defizit, zu nachhaltigen Staatsfinanzen führen und den gesamtgesellschaftlichen Wohlstand sichern. Eine entsprechende Anpassung der Inputfaktoren (z.B. Vollbeschäftigung statt aus der Vergangenheit abgeleiteten Arbeitslosenquoten) ist einfachgesetzlich möglich und würde für die nötigen finanziellen Spielräume sorgen, um den Herausforderungen zu begegnen und die politisch gesetzten Ziele zu erreichen.

… und im Öffentlichen Dienst

Die finanziellen Spielräume zu schaffen ist das eine. Das andere ist, gute Ausgaben und Investitionen umzusetzen. Hier spielt der Öffentliche Dienst die entscheidende Rolle – und würde überproportional von einer auf Vollauslastung ausgerichteten Finanzpolitik profitieren. Denn bisher ist er auf die Bewältigung von Herausforderungen wie Dekarbonisierung oder Digitalisierung nur bedingt vorbereitet: bis 2030 werden im Öffentlichen Dienst 816.000 Fachkräfte fehlen, der größte absolute Mangel in allen beobachteten Branchen. Gleichzeitig droht jede neunte Stelle unbesetzt zu bleiben. Das wird vor allem Länder und Kommunen betreffen, aber auch den Bund.

Um neue Arbeitskräfte zu rekrutieren, muss der Öffentliche Dienst, neben Investitionen z.B. in Aus- und Weiterbildung und die Digitalisierung der Verwaltung, als Arbeitgeber wettbewerbsfähiger werden, z.B. durch bessere Löhne.

Darüber hinaus könnte eine Lohnsteigerung eine gesamtwirtschaftliche und -gesellschaftliche Strahlkraft entfalten: der Öffentliche Dienst ist schon heute der größte Arbeitgeber in Deutschland, so dass höhere Löhne hier die Nachfrage anheizen. Zweitens würde er so auch für andere Branchen mit gutem Beispiel vorangehen. Denn bisher hinkt das Lohnwachstum im Öffentlichen Dienst hinterher. Auch die Zahl atypischer Beschäftigungsverhältnisse wie Befristungen stagniert seit Jahren auf einem hohen Niveau. Um den Faktor Arbeit optimal zum Einsatz zu bringen, muss der Staat statt Bremse zum Vorbild werden.

Fazit

Die Schuldenbremse hält heute nicht was sie verspricht. Sie bremst Wirtschaft und Verwaltung, verhindert die Nutzung unseres vollen Potentials und schadet somit der langfristigen Tragfähigkeit der öffentlichen Finanzen. Eine Neuausrichtung an politischen Zielen wie einem vollausgelasteten Arbeitsmarkt ist notwendig, um den gesellschaftlichen Herausforderungen zu begegnen und nachhaltige Staatsfinanzen zu sichern. Dafür bedarf es keiner Verfassungsänderung. Eine solche Reform kann aber nur ein erster Schritt sein: für die Umsetzung der politischen Ziele ist der Öffentliche Dienst zentral, der dafür, Dank der Anpassung der Konjunkturkomponente, mit den nötigen Mitteln ausgestattet werden würde.

Pola Schneemelcher ist Projektleiterin beim Dezernat Zukunft und arbeitet schwerpunktmäßig zu den Bereichen Fiskalpolitik und Arbeitsmarkt. Davor war sie als Expertin für europäische Wirtschaftspolitik beim Jacques Delors Centre und als wissenschaftliche Mitarbeiterin im Bundestag tätig.

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