Freitag, 26. April 2024

Haben die Medien den Blick für das Land verloren?

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Ann Kathrin Herweg
Ann Kathrin Herweg
Ann Kathrin Herweg ist Teil der Online-Redaktion, koordiniert das E-Journal und unterstützt digitale Veranstaltungen. Auch in ihrer Freizeit ist sie gerne auf Veranstaltungen unterwegs, dann aber als Kamerafrau oder Lichttechnikerin.

Diese Frage haben wir den Jugendorganisationen unserer Regierungsparteien gestellt und drei spannende Antworten bekommen.

(Foto: James Zabel)

Franziska Brandmann (JuLis):

Die Themen, die Medien auf die Agenda setzen, prägen unsere politischen Debatten. Sie setzen einen Rahmen dafür, worüber in unserem Land gesprochen wird. Der Lokaljournalismus, der früher fest in Städten und Kommunen verwurzelt war, geht immer weiter zurück. Zahlreiche Redaktionsschließungen und Zusammenlegungen haben zur Folge, dass immer mehr Menschen sich in überregionalen Medien informieren. Der Bezug auf individuelle Probleme oder Themen vor Ort bleibt somit häufig auf der Strecke.

Überregionale Zeitungen beschäftigen sich meist mit einem bunten Blumenstrauß an unterschiedlichen Themen. Die Herausforderung ist: Viele Themen werden auf dem Land anders wahrgenommen als in der Stadt. Ein passendes Beispiel ist der Themenkomplex der Mobilität.

Wer einen Blick in so manche Tageszeitung wirft, der findet dort etwa Beiträge, in denen der Ausbau des ÖPNV als einzig gangbarer Weg in Richtung eines klimafreundlichen Lebens beschrieben wird. Dabei wird vernachlässigt, dass individuelle Mobilität (und ihre Bezahlbarkeit) im ländlichen Raum schlicht und ergreifend eine Notwendigkeit darstellt, um von A nach B zu kommen. Während Großstädte schon mit dem Ausbau des ÖPNV dazu beitragen können, dass deutlich mehr Bürger*innen sich allein mit dem ÖPNV fortbewegen können, wäre es mancherorts auf dem Land bereits ein Ausbau des ÖPNV, würden Busse mehrmals am Tag fahren. Wer also meint, der Ausbau des ÖPNV könne dazu führen, dass Verzicht auf individuelle Mobilität schon in wenigen Jahren Realität ist, denkt den ländlichen Raum schlicht nicht mit.

Aber: Es sind nicht die Medien, die hin und wieder den Blick zu stark auf unsere Städte richten, es ist unsere Gesellschaft als solche. Wir müssen dem ländlichen Raum mehr Sichtbarkeit und Platz in unseren gesellschaftlichen Debatten geben, das gilt nicht nur für die Medien, sondern auch für die Politik. Denn: Politik wird zwar in unseren Hauptstädten gemacht – erlebt wird sie aber im ganzen Land.

(Foto: Grüne im Bundestag, S. Kaminski, CC BY-ND 3.0 DE)

Karoline Otte (Grüne Jugend):

Die Wirkung der Klimakrise auf die eigene Region, die Coronamaßnahmen in lokalen Schulen, sowie soziale und gastronomische Projekte in der Region Ort – all diese Themen spielen eine zentrale Rolle für den Journalismus vor Ort. Lokale Zeitungen spiegeln Debatten über die Gestaltung des gemeinsamen Zusammenlebens wider und können der Auslöser für politisches Handeln sein. Lokaljournalismus ist das Medium, in dem die gelebte Realität und die politische Auseinandersetzung zusammen kommen.
Lokalzeitungen und ihre Redaktionen sind jedoch besonders im ländlichen Raum in ihrer Fortexistenz bedroht und es hat insbesondere in Ostdeutschland bereits ein erhebliches Sterben von Lokalzeitungen stattgefunden. Von 1991 bis 2006 sind die Auflagen von Tageszeitungen um 22% zurückgegangen, im Osten ist dieser Trend noch einmal deutlich verschärft. Die Gründe für das geringere Interesse an Tageszeitungen sind vielfältig, so ändert sich die Altersstruktur auf dem Land, die Zahl der Pendler*innen steigt und digitale Medien gewinnen an Bedeutung. Bislang gelingt es dem Lokaljournalismus nur selten, Angebote für neue Zielgruppen zu schaffen.
Die Folgen des Lokalzeitungssterbens und des verringerten Interesses an diesem Medium sind fatal. Lokale Debatten erreichen immer weniger Menschen und das Vakuum an verlässlichen Informationen verstärkt rechtsextreme Tendenzen. Auch das Gefühl und Interesse für eine lebendige politischen Gemeinschaft vor Ort sinkt. Regionaler Journalismus muss eine Aufwertung erfahren, denn er leistet einen essentiellen Beitrag zu unserer Demokratie. Dafür ist es wichtig den gemeinnützigen Journalismus zu stärken, der steuerliche Erleichterungen ermöglicht. Auch bedarf es Förderprogramme für journalistische Arbeit im ländlichen Raum. Solche Modelle zeigen in Brandenburg bereits Erfolge, wo der Trend weg vom Lokaljournalismus zu brechen scheint.

Dies muss Ziel von Politik sein, denn unsere Demokratie und vor allem ihr Pfeiler des föderalen Systems, braucht einen qualitativ hochwertigen Lokaljournalismus.

(Foto: Jusos)

Lasse Rebbin (Jusos)

Lokaljournalismus und Lokalpolitik haben eines gemeinsam: Sie wirken häufig verstaubt und werden belächelt. Doch dabei ist beides so wichtig. Seitdem ich politisch aktiv bin, habe ich immer wieder mit verschiedenen Medien zu tun. Gleichzeitig konsumiere ich viel Berichterstattung. Für Menschen, die Politik machen, ist es relevant über das allgemeine Geschehen informiert zu sein. So komme ich in meinem Engagement, das in einem kleinen niedersächsischen Dorf begonnen hat, immer wieder auch mit lokalen Medien in Berührung. Es ist mir wichtig, die Berichterstattung bei mir in der Gegend zu kennen. Trotzdem besteht eine Diskrepanz: Viele große Medien sind in Städten angesiedelt. Ländliche Räume sind dagegen oft Orte mit nur noch wenigen regionalen Medien. Dabei ist es logisch, dass nicht jedes lokale Ereignis in allen Medien Berücksichtigung findet. Wahrscheinlich ist es sogar manchmal besser, da lokale Medien vor Ort den besten Einblick in die regionalen Geschehnisse haben.

Die beschriebenen Gegebenheiten können aber zu einem Ungleichgewicht führen. Ländliche Perspektiven und Realitäten tauchen unter Umständen nicht mehr ausreichend in gesamtgesellschaftlichen Debatten auf. Dabei ist das auch kein alleiniges Problem von Medienschaffenden, sondern ein gesellschaftliches. Viel zu häufig findet eine reine Verengung auf städtische Perspektiven statt. Ein aktuelles Beispiel sind gerade die Demonstrationen gegen die Corona-Maßnahmen. Seit Beginn ist klar, dass die Proteste von rechten Gruppierungen geprägt sind. Dabei gehören gewaltvolle Übergriffe auch gegen Journalist*innen leider zur bitteren Realität. In ländlichen Räumen fehlt häufig die mediale Aufmerksamkeit für dieses Problem. Lokale Journalist*innen fühlen sich bedroht und allein gelassen, dabei sind sie diejenigen, die für uns hinschauen und berichten. Doch damit es diese Vorkommnisse in größere Debatten schaffen, braucht es meistens erst einen Knall. Die aktuellen Demonstrationen haben auch erst durch ihre Eskalationen nationale Aufmerksamkeit erfahren. Dabei fangen die meisten Themen doch erst im Kleinen an. Genau hierfür braucht es mehr mediale Aufmerksamkeit. Denn ein Blick über den Tellerrand hat noch nie geschadet.

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