Freitag, 4. Oktober 2024

Austausch statt Ausbeutung

Ist das Kultur oder kann das weg?

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Christian Brecht
Christian Brecht
Christian Brecht schreibt über den digitalen Wandel der Gesellschaft und beschäftigt sich mit KI als Fluch und Segen. Als Drehbuchautor und passionierter Film-Nerd liebt er das Kino und das Geschichtenerzählen.

Der deutsche Musiker Tom Fronza steht in der Kritik, weil sein Hauptinstrument das Didgeridoo ist. In Bad Schandau ziehen Menschen an Karneval mit Bastrock, Knochenschmuck und geschwärzten Gesichtern (Blackfacing) durch die Straßen. Es sind zwei sehr unterschiedliche Beispiele einer andauernden Debatte – über kulturelle Aneignung.

Das Didgeridoo ist ein Instrument der Aborigines, die wie viele Indigene in aller Welt von weißen Kolonialisten ausgebeutet wurden. Daher ist das „Geschmäckle“, das der Auftritt eines weißen Didgeridoo-Spielers haben kann, nachvollziehbar. Andererseits: Was verbindet Menschen über Kulturen hinweg stärker als die Musik? Musik, die schon immer mehr Austausch als Aneignung war. Wer kann sagen, wie intensiv sich weiße Kreative mit ihren nicht-weißen Inspirationen beschäftigen? Und was sagen Indigene dazu, zu deren Verfechtern sich bestimmte Kreise gerne aufschwingen? Die Kritik an Musiker*innen trifft meist die Falschen. Weiße Musiker, die – von Elvis Presley bis Eminem – zu Ikonen schwarzer Musik stilisiert wurden, sind das Resultat von strukturellem Rassismus, den es zu bekämpfen gilt. Einzelne Musiker*innen anzugehen, wirkt wohlfeil. Integere Künstler*innen huldigen ihren Vorbildern ohnehin. Ginger Baker etwa, legendärer Schlagzeuger der Band Cream, ließ die Welt stets wissen, dass die „Meister der Drums“ in Afrika zu finden seien.

Es geht also viel um Kontext, der auch in Sachen Verkleidung kein Freibrief ist, die Debatte aber entschärfen kann. Man kann Kindern, die an amerikanischen Natives unschuldig das Abenteuer lieben, diese Verkleidung verbieten. Oder: Eltern, Lehrende und Erziehende klären über die historischen Hintergründe auf und verschieben das Narrativ zum Positiven. Und natürlich macht es einen Unterschied, ob man sich als Wikinger oder Rastafari verkleidet: In beiden Fällen gehören geflochtene Haare bzw. Dreadlocks zur Verkleidung. Allerdings wurden die Wikinger nicht jahrhundertelang von weißen Siedlern ausgebeutet und in rassistische Systeme gezwängt. Grenzfälle bleiben: Was, wenn jemand ein Riesenfan von Stevie Wonder ist und sich detailgetreu als die Soul-Legende verkleidet? Es wäre Blackfacing und Imitieren eines Blinden zugleich. Eine eindeutige Antwort gibt es nicht. Natürlich kann man sich als Stevie Wonder verkleiden und das mit der Liebe zu seiner Musik erklären. Die Frage ist, ob man es deshalb auch muss.

Die „Buschmann“-Verkleidungen im sächsischen Bad Schandau lassen keinen Interpretationsspielraum mehr zu, zumal dabei nicht mal konkrete historische oder fiktionale Figuren nachgestellt wurden. Stattdessen wird ein ganzer Kontinent durch primitivste Klischees repräsentiert. Warum sich Menschen immer noch für solch offenkundig rassistischen Kostüme entscheiden? Im besten Fall ist es fehlende Kreativität, womöglich auch Ignoranz. Es kann ein kalkulierter Tabubruch sein, der tief blicken lässt – denn wer diese Form der „Provokation“ wählt, ist von verantwortungsvollem Handeln so weit entfernt wie Bad Schandau von Kapstadt. Im schlimmsten Fall ist es unverhohlener, zur Schau gestellter Rassismus.

Offizielle Verbote von kultureller Aneignung gibt es keine. Der Staat setzt auf das Fingerspitzengefühl seiner Bürger*innen. Das ist prinzipiell richtig, denn es ist immer wünschenswert, dass eine Gesellschaft von innen heraus klüger und empathischer wird. Sieht man sich die vergifteten Debatten unserer gespaltenen Gesellschaft an, bleibt es womöglich ein frommer Wunsch. Ein Verbot rassistischer kultureller Aneignung wie dem Blackfacing erscheint zumindest nicht abwegig, ist es doch letztlich die kostümierte Variante rassistischen Vokabulars. Bis dahin herrscht in Deutschland – im wahrsten Sinne des Wortes – Narrenfreiheit. Nicht schlecht für ein Land, das einigen Stimmen zufolge von einer „links-grünen Woke-Diktatur“ unterjocht wird. Wir alle haben die Freiheit, ohne Rücksicht auf kulturellen Kontext unser Ding durchzuziehen. Einfach, weil wir es können. Wir alle haben auch die Freiheit, unreflektiert durchs Leben zu gehen.

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