„Krieg“, „Angriff“ oder „Invasion“, all diese Worte sind nun verboten. Wagen es russische Journalist*innen dennoch den Darstellungen des Moskauer Verteidigungsministeriums zu widersprechen, riskieren sie bis zu 15 Jahre Haft. Dies ist die zweite Front in Putins Krieg gegen die Ukraine. Putins Strategen mögen sich in Bezug auf die Wehrhaftigkeit des Nachbarstaats verkalkuliert haben. Umso härter geht das Regime nun jedoch im eigenen Land gegen all jene vor, die bisher mit viel Mumm und schwarzem Humor die Freiheit verteidigt haben, die Dinge bei ihrem Namen zu nennen.
Nicht erst seit dieser Krise ist es gefährlich, in Russland für unabhängige Medien zu arbeiten. Wer es wagt über öffentliche Proteste zu berichten, landet schnell gemeinsam mit den Demonstrant*innen in der Arrestzelle. Hausdurchsuchungen gehören zu den gängigen Einschüchterungsmitteln gegenüber unbequemen Journalist*innen, über 100 von ihnen wurden in den letzten Jahren als „ausländische Agenten“ gebrandmarkt und mit absurden behördlichen Vorgaben schikaniert. Mindestens 37 Medienschaffende wurden seit Putins Amtsantritt im Jahr 2000 wegen ihrer Arbeit ermordet, die meisten dieser Verbrechen wurden nie aufgeklärt.
Nun aber trifft es nicht mehr nur Einzelne. Ganze Medien wurden verboten, ausländische Nachrichtenseiten und internationale Plattformen wie Facebook und Twitter gesperrt. Führende unabhängige Fernsehsender und Zeitungen haben den Betrieb eingestellt, darunter „Doschd – the optimistic channel“, deren Coming of Age-Geschichte von einem hippen Kanal liberaler Großstädter*innen zu einer der populärsten unabhängigen Nachrichtenquellen des Landes gerade als Doku in der ARD zu sehen ist.
Die noch verbleibenden Medien wurden vor die Wahl gestellt, sich der Zensur zu beugen oder aufzugeben. Hunderte Journalist*innen verließen daraufhin in den letzten Wochen das Land. Sie haben ihre Heimat aufgegeben, teils ihre Familien zurückgelassen, um vom Ausland aus frei berichterstatten zu können. Am 28. März stellte auch die Zeitung Nowaja Gaseta, seit dem Ende der Sowjetunion die bekannteste Plattform für kremlkritischen Journalismus in Russland, die Arbeit ein. Es war die letzte Redaktion, die aus Russland heraus anders berichtete, als der Machtapparat es vorschreibt.
Gemeinsam mit zwei Stiftungen hat Reporter ohne Grenzen nun einen europäischen Fonds für Journalismus im Exil ins Leben gerufen, um russischen Medienschaffenden zu ermöglichen, ihre Arbeit beispielsweise von Berlin oder Warschau fortzuführen. In einem weiteren Projekt spiegeln wir gesperrte Medien wie die populäre Nachrichtenseite Meduza oder den russischen Service der Deutschen Welle auf internationalen Servern, um die staatliche Zensur zu umgehen und Menschen in Russland Zugang zu unabhängigen Informationen zu geben. Die große Hilfsbereitschaft für solche Projekte ist ermutigend. Und dennoch ist sie nur ein kleiner Trost angesichts dieses rasanten Abstiegs in den Totalitarismus.
Lisa Dittmer setzt sich als Referentin für Internetfreiheit bei Reporter ohne Grenzen für die Informations- und Medienfreiheit im Netz ein. Zu ihren Themen gehören staatliche Einschränkungen der Pressefreiheit durch Zensur und Überwachung ebenso wie der Umgang mit Hassrede und Desinformation.