Samstag, 27. Juli 2024

Nutzt die Chance der “grünen Wiese”

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Ann Kathrin Herweg
Ann Kathrin Herweg
Ann Kathrin Herweg ist Teil der Online-Redaktion, koordiniert das E-Journal und unterstützt digitale Veranstaltungen. Auch in ihrer Freizeit ist sie gerne auf Veranstaltungen unterwegs, dann aber als Kamerafrau oder Lichttechnikerin.

Für unseren Digitalisierungs-Schwerpunkt haben wir eine prominente Gästin porträtiert. Judith Gerlach ist als bayerische Staatsministerin für Digitales seit 2018 im Amt. Uns hat sie erzählt, wie es dazu gekommen ist und welche Projekte ihr besonders am Herzen liegen.

Sie sind Mitglied des Bayerischen Landtags und seit 2018 bayerische Staatsministerin für Digitales – darüber möchten wir später noch sprechen. Erstmal möchten wir Sie aber persönlich ein bisschen besser kennen lernen. Wie alt sind Sie, wo kommen Sie her und was haben Sie so gemacht, bevor Sie Staatsministerin geworden sind?

Ich bin 36 Jahre alt, komme aus dem Landkreis Aschaffenburg und geboren bin ich in Würzburg. Bevor ich Ministerin wurde, war ich seit 2013 Abgeordnete im Bayerischen Landtag. Eigentlich bin ich Juristin und habe vor meiner Zeit als Politikerin als selbständige Rechtsanwältin gearbeitet. Politisch aktiv bin ich aber schon lange und schon als Jugendliche habe ich oft mit meinem Vater, selbst Stadtrat, und Großvater als langjährigen Bundestagsabgeordneten lange politische Gespräche und Diskussionen geführt.

Digitalisierung ist ein sehr großes Feld, betrifft alle Lebensbereiche und hat viele ganz unterschiedliche Facetten. Gar nicht so einfach, Digitalisierung in nur einem Satz zu beschreiben, oder? Versuchen Sie es für uns bitte mal. Digitalisierung ist…

…das Thema, das uns ausnahmslos alle und in allen Lebenslagen betrifft, nie wieder verschwinden wird, voller Chancen steckt und unser aller Leben in allen erdenklichen Bereichen einfacher und besser machen kann, wenn wir sie sinnvoll nutzen.

Digitalisierung ist eine Querschnittsaufgabe und betrifft am Ende die Arbeit in allen Ministerien. Warum ist es trotzdem wichtig, ein eigenes Digitalministerium zu haben und was sind da Ihre und ganz speziell Ihre Aufgabe als Ministerin?

Zunächst einmal ist es wichtig, dass es eine Hauptverantwortung gibt, also jemanden, der zuständig ist und zentraler Ansprechpartner für alles, was mit Digitalisierung zu tun hat. Wir brauchen eine Stelle, wo alle Fäden zusammenlaufen. Dass Digitalisierung in allen Ressorts eine wichtige Rolle spielt, ist klar: Aber jemand muss den berüchtigten Hut auf haben, die Koordination übernehmen.

Wenn man den Gesamtplan vor sich hat, weiß man auch, wo es noch hakt, wo noch etwas fehlt und sieht: Wer hat wo noch nachzubessern, was muss in welchem Bereich von wem angegangen werden.

Und schließlich: In einem eigenen Ressort gibt es nicht nur finanzielle Mittel, sondern auch geballte Expertise, interdisziplinäres Fachpersonal, mit dem man Gesetze auf den Weg bringen, Initiativen anstoßen und Förderprogramme aufsetzen kann.

Aus all diesen Gründen haben wir ein eigenes Digitalministerium in Bayern und brauchen das unbedingt auch im Bund. Das Thema ist heute aber auch für die kommenden Generationen einfach viel zu wichtig, als dass man auf ein eigenes Haus verzichten könnte.

Digitalschmiede Bayern, NextGen4Bavaria, byte, Wo ist Goldi?, BayFiD… Sie haben sich viele spannende Projekte und Initiativen ausgedacht. Welche(s) liegt Ihnen persönlich ganz besonders am Herzen?

BayFiD ist für mich schon ein ganz besonderes Programm, weil es mein erstes war und weil die Frauenförderung immer schon eines meiner Herzensthemen war – seit ich Politik mache. Aber ich mag alle unsere Projekte, sonst würde ich sie ja nicht machen.. Sie stehen für das, was uns wichtig ist: Alle Menschen dort ansprechen, wo sie sind und in der Sprache, die sie sprechen. Denn mit der Digitalisierung ist es ja genau so: Sie findet überall und in allen möglichen Schattierungen statt.

Bayern war 2018 das erste Land, das ein Digitalministerium eingerichtet hat und Sie sind die erste Staatsministerin für Digitales in Deutschland geworden. Sie mussten also ein komplett neues Ministerium aufbauen, es wurden schnelle Ergebnisse erwartet und dabei waren alle Augen auf Sie gerichtet. Und das, obwohl Sie ursprünglich gar nicht aus dem Bereich Digitalisierung kommen. Was waren da die größten Herausforderungen und wie sind Sie mit der Verantwortung umgegangen?

Ein solches Haus auf der grünen Wiese aufzubauen ist Herausforderung und Segen zugleich. Herausforderung, weil man natürlich sehr schnell Strukturen aufbauen und die besten Leute um sich versammeln muss. Das ist mit einem Höchstmaß an Verantwortung verbunden und man möchte die Erwartungen, die an einen gestellt werden, mindestens erfüllen, aber doch am besten möglichst deutlich übertreffen.

Und Segen, weil man von Anfang an neue Wege gehen kann und man einen Satz ganz sicher nicht hören wird: „Das haben wir schon immer so gemacht“.
Insgesamt kann ich sagen: Das Digitalministerium aufzubauen war eine große und auch sehr aufregende Aufgabe, die mir sehr noch immer viel Freude bereitet. So eine Chance, ein StartUp im Staat zu erschaffen, bekommt man schließlich nicht jeden Tag.

Mittlerweile gibt in einigen weiteren Ländern Digitalministerien. Sie wünschen sich schon lange auch ein Bundesministerium für Digitales. Im letzten Jahr wurde aus dem “Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur” das “Bundesministerium für Digitales und Verkehr”. Zumindest im Namen des Ministeriums wird damit dem Bereich Digitales ein höherer Stellenwert zugesprochen. Wie zufrieden sind Sie mit dieser Veränderung?

Leider überhaupt nicht. Digitalpolitik per Türschild bringt den Menschen in diesem Land gar nichts. Genau das macht die Ampel aber. Die Ampel blinkt wild durcheinander, es gibt keine klaren Zuständigkeiten: Wer ist denn nun vermeintlicher Digitalminister? Volker Wissing wegen der Infrastruktur? Oder Nancy Faser, die sich um die digitale Verwaltung kümmern soll und sich mit Cybersicherheit beschäftigt? Oder doch Robert Habeck, der sich um die Wirtschaft und um den Bereich Games kümmern soll? Und wer koordiniert dieses Chaos? Im Kanzleramt gibt es jedenfalls niemanden mehr, der die Fäden in der Hand hält und den Überblick bewahrt.
Zudem gibt es bis heute weder ein Digitalbudget, noch eine Digitalstrategie.

Digitalisierung kann vieles erleichtern und bringt viele Vorteile mit sich. Es gibt aber leider auch negative Seiten. Wo sehen Sie die größte Gefahr und wie steht es um unsere Cyber-Security?

Gerade im Bereich der Cybersicherheit haben wir natürlich nicht zuletzt durch den Krieg gegen die Ukraine eine ganz neue Aufmerksamkeit und Dringlichkeit. Gerade kritische Infrastrukturen, Unternehmen und auch die Verwaltung stehen hier im Fokus. Auch im Bereich von KMUs haben wir hier erheblichen Bedarf, übrigens auch, was die Sensibilität für das Thema angeht. Der Freistaat unterstützt vor allem die Kommunen und die mittelständischen Unternehmen, wo es nur geht, etwa durch Weiterbildung und Schulungen. Mir ist wichtig, dass das Thema nicht nur jetzt in Krisenzeiten, sondern langfristig ganz oben auf der politischen Agenda bleibt.

Auf Ihrem Twitter-Kanal gibt es ein Video, in dem Sie von der OZG-Umsetzung berichten und demonstrativ das Faxgerät in die Mülltonne werfen. Aber mal ganz ehrlich: Auf der Homepage des Digitalministeriums finde ich eine Faxnummer. Wie häufig wird das Fax bei Ihnen noch genutzt?

Von uns aus gar nicht mehr (lacht). Aber im Ernst: Natürlich möchten wir für alle Bürgerinnen und Bürger erreichbar sein und auf möglichst vielen Wegen. Da gehört das Fax nunmal (noch!) dazu.

Generell gilt ja immer mehr “digital first”. Gibt es für Sie Bereiche, in denen ganz klar gilt oder gelten sollte “analog first”?

Generell gilt: Nicht alles machen, weil man es kann, sondern, weil es sinnvoll ist und Gutes mit sich bringt. Mir fallen also noch viele Dinge ein, die ich analog definitiv bevorzuge: Mit Menschen zusammen feiern, Volksfeste besuchen, ins Kino gehen oder ins Theater oder aber auch einfach, draußen zu sein oder ein Gespräch von Angesicht zu Angesicht – nicht von Bildschirm zu Bildschirm. Und schließlich: Die Natur, der Wald, mein Garten: Das möchte ich niemals digital haben.

Wenn der Bund oder ein anderes Land planen, ein Digitalministerium einzurichten oder wenn vielleicht die kleine Behörde auf dem Dorf eine Abteilung für Digitales aufbauen möchte, was sind Ihre Tipps?

Ich würde sagen: Nutzt die Chance der „grünen Wiese“ und versucht, von Anfang an, neu zu denken und Dinge auszuprobieren. Fragt andere, die schon mehr Erfahrung haben. Das finde ich sehr wichtig: Es gibt da draußen so viel Expertise. Ziehen wir sie heran! Und nebenbei: Mich erreicht man für Tipps ganz gut. 

Wenn Sie mal träumen dürfen, wie sieht die digitale Verwaltung in zehn Jahren aus?

Im Prinzip wie eine gut durchdachte und technisch bestens entwickelte staatliche Dienstleistungsplattform für die Bürger und Unternehmer, die damit alle Leistungen digital in  Anspruch nehmen können. Die Verwaltung der Zukunft ist effektiv, kommunikativ und versteht sich als Service für die Menschen.

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