Mittwoch, 11. Dezember 2024

Katalysator Krise?

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Von KIVIs, KIWIs und KIKIs

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Thomas Petersdorff
Thomas Petersdorff
Thomas Petersdorff ist zuständig für die Verwaltungsdigitalisierung. Er glaubt an den Menschen im Mittelpunkt - auch wenn er dort im Weg steht.

Krisen gelten als Zeit der Tat. Sie stoßen Prozesse an, die normal durch lange Phasen der Planung sehr viel Zeit in Anspruch nehmen würden. Auch die Digitalisierung im öffentlichen Sektor habe im Zuge Coronas einen beträchtlichen Technologiesprung gemacht – heißt es derzeit noch und nöcher. Aber wo genau sind die Auswirkungen der Pandemie am deutlichsten? Ein Blick in Deutschlands öffentlichen Rechenzentren zeigt, dass die Folgen Coronas für die Digitalisierung im Öffentlichen Dienst nicht allein technischer Natur sind, sondern weit darüber hinausgehen und nicht zuletzt auch Fragen der Organisation und Führung berühren.     

Da wäre zum einen die Digitale Souveränität, die in Folge Coronas zusehends größeren Raum für sich beansprucht. In Zeiten, in denen digitale Technologien für das Funktionieren von Staat und Verwaltung elementare Bedeutung gewonnen haben, werde auch die Frage nach strategischer Autonomie immer wichtiger, sagt Dr. Johann Bizer, Vorstandsvorsitzender des norddeutschen IT-Dienstleisters Dataport. Ein Beispiel: fremdbestimmte Cloud-Dienste, die – mitunter auch aufgrund politischer Direktive – mit einem Mal nicht mehr operationsfähig sein könnten. Freilich seien Szenarien wie das skizzierte unwahrscheinlich, doch allein die schiere Möglichkeit müsse für die Notwendigkeit digitaler Unabhängigkeit sensibilisieren. „Wir müssen sehen, dass wir die IT für eigene Zwecke selbstbestimmt gestalten und nutzen“, ist Bizer sich sicher. Doch was bedeutet das konkret?

Zunächst einmal, dass Informationen der öffentlichen Verwaltung im europäischen Rechtsraum verbleiben, wo garantiert werden kann, dass ein missbräuchlicher Zugriff nicht stattfindet. Mehr denn je brauche es darum technologische Alternativen, fordert Bizer. Alternativen, welche die eigene Position in Verhandlungen mit großen Softwareherstellern stärkten und im Fall der Fälle auch dazu befähigten, eigene Wege einzuschlagen. „Es ist wichtig, dass wir rote Linien definieren, die nicht überschritten werden“, betont Bizer nachdrücklich. Mit dem Web-Arbeitsplatz „Phoenix“ hat der norddeutsche IT-Dienstleister seit Oktober 2019 selbst eine solche Alternative im Repertoire. Als Groupware-Lösung ist „Phoenix“ Hersteller-unabhängig, sein Software-Stack speist sich aus den Programmen gleich mehrerer Entwickler.

Verwaltung ist beweglicher geworden

Die teils disruptiven Veränderungen, die mit der Corona-Krise einher gegangen sind, beschränken sich allerdings nicht nur auf rein technische Anforderungen. In Folge der Pandemie sei die öffentliche Verwaltung insgesamt beweglicher geworden, bemerkt Christian Leinert, Präsident der zentralen IT-Dienstleisterin des Landes Baden-Württemberg, BITBW. „Die letzten elf Monate haben nochmals deutlich vor Augen geführt, wie unverzichtbar eine starke IT-Dienstleisterin für eine öffentliche Verwaltung heute ist. Hatten wir zuvor an der ein oder anderen Stelle mit erheblichen Akzeptanzproblemen zu kämpfen, so sind die alten Vorbehalte inzwischen weitgehend ausgeräumt. Die Auswirkungen waren insgesamt weniger technisch als vielmehr mental, das heißt in den Köpfen unserer Kunden.“

Eine Frage der Führung?

Bleibt schließlich noch die Organisation nach innen, die sich seit Beginn der Pandemie einer anderen Gemengelage gegenübersieht als noch im Jahr 2019. Stichwort: Homeoffice und mobile Arbeit. Mit der veränderten Situation erhebt sich unweigerlich die Frage, inwieweit alte Strukturen aus analogen Zeiten in einer digitalen Welt Bestand haben können. Harald Joos, seit Anfang Februar CIO und IT-Beauftragter des Bundesministerium der Finanzen (BMF), ist sich sicher: Die Corona-Krise hat einen Prozess angestoßen, der Arbeit dauerhaft verändern wird. Zwar sei der Öffentliche Dienst heute noch mehrheitlich hierarchisch organisiert, der Wechsel auf Telearbeitsformen habe jedoch dazu geführt, dass sich das operative Geschehen zusehends von der Vertikalen auf die Horizontale verlagere. Das habe nicht zuletzt auch Konsequenzen für die Führungsebene, die nun lernen müsse, sich nicht mehr in die Kompetenzen der Belegschaft einzumischen, sondern durch Entscheidungen den Weg freizumachen für effektives und selbstbestimmtes Arbeiten.

Corona: Was bleibt?

Aber was bleibt oder sollte vielmehr bleiben, wenn die Krise wieder vorbei ist? Geht es nach Hans-Josef Fischer, seit elf Jahren Leiter des Landesbetriebs Information und Technik Nordrhein-Westfalen (IT.NRW), allem vorweg der Spaß am Großprojekt Digitalisierung. Die gleiche Dynamik und Euphorie, die man zu Beginn, in den ersten Monaten der Pandemie, verspürt habe, müsse nun auch für konkrete Herausforderungen wie die Umsetzung des Onlinezugangsgesetzes (OZG) oder die Digitalisierung des Backoffices der Verwaltung mobilisiert werden. „Wir müssen den Schub und das aktuelle Vertrauen in Digitalisierung nutzen, um den Bürgerinnen und Bürgern des Landes Services der Verwaltung anzubieten, die danach auch bereitwillig und rege genutzt werden.“ Um jeden Preis verhindert werden müsse, dass man erneut zurück in alte Muster falle. Das gelte nicht zuletzt auch für das Thema New Work, das bei IT.NRW vermehrt an Bedeutung gewonnen habe.

Die Wichtigkeit flexibler Arbeit betont auch Matthias Bongarth, seines Zeichens Geschäftsführer des Landesbetriebs Daten und Information Rheinland-Pfalz (LDI). Darüber hinaus fordert er, dass der durch Corona eingezogene Mentalitätswandel in Zukunft verstetigt werden müsse, damit die Veränderung sich auch nachhaltig in den Köpfen festsetzen könne. Und das nicht nur in Fragen mobiler Arbeit und neuer Führungskultur in der Verwaltung. Konkret geht es Bongarth um Nachbesserungen im Bereich der Gesetze und Verordnungen – ganz im Sinne einer digital-ready legislation. Sein Plädoyer: „Was wir brauchen, sind komfortable Anpassungen, so dass wir die Digitalisierungsmöglichkeiten, über die wir gegenwärtig schon verfügen, im Interesse von Bürgerinnen und Bürger sowie der Wirtschaft effizient nutzen können, um im Zweifelsfall von der alten Präsenzkultur wegkommen zu können.“ 

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