Donnerstag, 18. April 2024

“NEOM – The Line” – Modellstadt oder Größenwahn?

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Lorans El Sabee
Lorans El Sabee
Lorans El Sabee unterstützt als Werksstudent die Bonner Redaktion und ist Masterstudent an der Bonner Universität. Zu seinen Hobbys gehören das Schwimmen und Netflix zu schauen. Ferner beschäftigt er sich gerne mit der Geschichte der politischen Ideen und reflektiert über eine Vielzahl politischer Probleme.

Planstädte gab es in vielen Epochen der Geschichte und an vielen Orten der Welt. Jede Epoche hatte eigene Vorstellungen darüber, was eine Stadt erfüllen muss. Sind nun Planstädte auch eine denkbare Lösung für die Herausforderungen des 21. Jahrhunderts?

Wie realistisch ist die Umsetzung des saudi-arabischen Großbauprojekts NEOM? Undwelche Lehren können aus der Planstadt für deutsche Städte ziehen?  

Zunächst ein paar Eckdaten: Neom ist eine geplante Stadt mit angeschlossenem Technologiepark im Nordwesten Saudi-Arabiens. Sie soll intelligente Stadttechnologien (auf Basis von KI) beinhalten und auch als touristisches Ziel dienen. Der Standort liegt nördlich des Roten Meeres, östlich von Ägypten über die Straße von Tiran und südlich von Israel und Jordanien. NEOM soll sich 460 km entlang der Küste des Roten Meeres ausdehnen. Mit einer Gesamtfläche von 26 500 km² entspricht die Stadt damit in etwa der Fläche von Mecklenburg-Vorpommern. All das mit 0 Autos, 0 Straßen und 0 Kohlenstoffemissionen.

Der Nahostexperte Dr. Sebastian Sons erklärt hierzu, NEOM solle die Stadt der Superlative werden. Dabei gehe es primär um die politische Symbolkraft solch eines Projekts. Vereinfacht gesagt: Saudi-Arabien möchte zeigen, was es kann. Der Name der Stadt ist eine  Zusammensetzung aus dem altgriechischen Wort „neo“, was auf Deutsch „neu“ bedeutet und dem Buchstaben „m“, der für das arabische Wort „mustaqbal“ steht, also „Zukunft“.

Auch die Lage am Roten Meer, nahe an Jordanien, Ägypten und Israel ist strategisch gewählt,  meint Dr. Sons. Denn NEOM soll aus aller Welt leicht erreichbar sein und sich als eine Stadt zwischen den Kontinenten profilieren. Sie soll zudem eine Art arabisches Silicon Valley werden. Ein Versuch Saudi-Arabiens, die Hightech-Industrie zu sich zu holen, der noch durch den ihr Status als Freihandelszone für ausländische Unternehmen mit einer gesonderten Gesetzgebung begünstigt wird. Als eine Art arabischer Exclave soll der Bau durch einen saudischen Staatsfond von ca. 500 Milliarden US-Dollar finanziert werden.

The Line

Ein weiteres Projekt innerhalb der neuen Stadt ist die Smart City „The Line“. Sie soll gänzlich ohne Autos, Straßen und Kohlenstoffemissionen auskommen. Stattdessen sollen in der der erneuerbare Energien versorgten Line alle alltäglichen Ziele in 15 Minuten zu erreichen sein.

Das Konzept klingt zu futuristisch, um bis 2030 verwirklicht werden zu können. Und auch sonst ist das ehrgeizige Projekt nicht frei von Kontroversen. Fraglich sind die Zwangsräumungen und gar Inhaftierungen der Beduinen der Region, so Dr. Sons. Die Beduinen sind nomadische Wüstenbewohner der Arabischen Halbinsel. Dass ein saudischer Staatsfond die Stadt finanzieren wird, zeigt, dass NEOM ein Symbol- und Machtprojekt ist. NEOM darf daher nicht nur als ein wirtschaftliches Projekt angesehen werden.

Hinter NEOM steckt Mohammed bin Salman, der Kronprinz Saudi-Arabiens. Er möchte sich als Modernisierer zeigen. NEOM soll als das Symbol für seine Macht herhalten. Denn im Moment ist das Modell der saudischen Wirtschaft kurz vor dem Kollaps. Die saudische Wirtschaft ist vom Erdöl- und Gasvorkommen abhängig. Mit NEOM will Mohammed bin Salman um die Jugend des Landes für ein neues Zeitalter werben. Auch das Image Saudi-Arabiens, das unter anderem unter diversen Menschenrechtsverletzungen gelitten hat, soll mit dem Großbauprojekt international aufpoliert werden.

Shenzhen

NEOM ist noch eine Zukunftsvision, die auf ihre Verwirklichung wartet. Was es heißt, eine Plan- und Modellstadt zu verwirklichen, zeigt die chinesische Stadt Shenzhen. Die Planstadt entstand in den frühen 80er Jahren. Sie liegt in einer günstigen Lage an der Grenze zu Hongkong und war die erste Sonderwirtschaftszone Chinas. Innerhalb von nur 40 Jahren wurde die Stadt von einem kleinen Fischerdorf zu einer Weltmetropole. Die Zahl der Einwohner stieg von 30 Tausend auf 20 Millionen. 2020 lag das BIP der Stadt bei ca. 430 Mrd. US-Dollar, das  Durchschnittsalter der Einwohner*innenliegt bei 33 Jahren. Shenzhen schafft also unzählige Arbeitsplätze, besitzt Wirtschaftskraft und bietet Aufstiegsmöglichkeiten. Das Motto der Stadt ist: Du bist einheimischer, sobald du angekommen bist. Shenzhen ist aber nicht nur die Stadt des schnellen Wachstums. Sie sei heute eine grüne Stadt mit sehr vielen Parkanlagen, meint die Managerin beim European Office Shenzhen, Linhong Song. Der öffentliche Personennahverkehr sowie Taxis werden zu 100% elektrisch betrieben. Am Beispiel Shenzhens, so Linhong Song, könne man sehen, dass eine Stadt auch während sie wächst, stets aktiv geplant werden kann. Die Herausforderung sei eher, dass die Entwicklung der Stadt schneller sei als die Planung. Aufgrund ihres Status als Sonderwirtschaftszone ist Shenzhen eine bedeutende Stadt für ausländische Investitionen geworden und ist rasant und kontinuierlich gewachsene und damit ein Beispiel dafür, wie eine Stadt sich den Bedürfnissen der Zeit entsprechend kontinuierlich planen lässt.

Sind aber Planstädte eine denkbare Lösung für die Herausforderungen in Deutschland?

Die Pläne für solche Großbauprojekte, lassen sich nicht ohne weiteres auf Deutschland übertragen.  Schon alleine politische Gründe machen das unmöglich. Auch die unterschiedlichen Regelungen und Gesetze beeinflussen die Baugeschwindigkeit. Entscheidend sind auch die grundlegend verschiedenen Mentalitäten in der Bevölkerung. Auf Seiten der Technologie gibt es dennoch gute Ansatzpunkte, die punktuell übertragen werden könnten. Diese beschränken sich aber eher auf wenige Gebiete. 

Zur Projektstadt NEOM gab es auf der Plattform NeueStadt.org auch eine Panel-Diskussion mit Dr. Eva-Charlotte Proll, Mitglied der Geschäftsführung des Behörden Spiegel, Dr. Sebastian Sons, Wissenschaftler am CARPO Bonn sowie Linhong Song, Managerin beim European Office Shenzhen.

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