Donnerstag, 28. März 2024

Digitale Transformation der Gesellschaft – Teil IV

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Digitale Transformation und Recht

Wendet man sich dem Verhältnis von Digitaler Transformation und Recht zu, so springen zunächst die zahllosen digitalen Veränderungen für Mensch und Gesellschaft ins Auge, die einer rechtlichen Regelung bedürfen, damit dieser gigantische Veränderungsprozess für alle positiv und verträglich gestaltet werden kann. Insofern ist das Recht ein weiteres Instrument, um die Digitale Transformation bewältigen und in den Griff bekommen zu können. Gleichzeitig wird das Recht selbst in vielerlei Hinsicht digital transformiert und verändert, was wiederum neue Perspektiven eröffnet und interessante Fragen aufwirft. Das Recht der Digitalen Transformation und die Digitale Transformation des Rechts sind folglich zwei grundlegend verschiedene Themen, denen wir uns in diesem Beitrag annähern wollen.

Recht der Digitalen Transformation

Große Veränderungen beginnen oft mit kleinen Schritten – das gilt gleichermaßen für die Digitale Transformation, deren erste Schritte vor Jahrzehnten mit dem Begriff Elektronische Datenverarbeitung (EDV) bezeichnet wurden. Dementsprechend hieß das Rechtsgebiet, das sich mit diesem Bereich befasste, EDV-Recht. Im Laufe der Jahre wurden jedoch zahlreiche neue Technologien entwickelt, die nicht mehr so recht als Teil der EDV betrachtet werden konnten, weshalb sich ein neuer Begriff durchsetzte, nämlich Informationstechnologie (IT). Und so wurde aus dem EDV-Recht das IT-Recht, also das Recht der Informationstechnologie. Noch heute ist das IT-Recht ein etablierter und mehr oder weniger klar abgrenzbarer Rechtsbereich, der sich mit den rechtlichen Fragen der Informationstechnologie beschäftigt. Weil die Informationstechnologie in den verschiedensten Bereichen zum Einsatz kommt, hat das IT-Recht Berührungspunkte mit vielen anderen Rechtsbereichen – und ist deshalb eine klassische Querschnittsmaterie.

Allerdings dehnt die Digitale Transformation der Gesellschaft unser Verständnis von IT und damit von IT-Recht immer weiter aus – und am Ende dieses digitalen Transformationsprozesses steht der flächendeckende und sämtliche Lebensbereiche umfassende Einsatz von Informationstechnologie. Damit würde das IT-Recht letztendlich alle anderen Rechtsbereiche umfassen; eine absurde Vorstellung. Wollen wir uns dem Recht der Digitalen Transformation annähern, so müssen wir vielmehr die Art und Weise betrachten, wie das Recht auf digitale Transformationsprozesse reagiert – und diese Art und Weise ist mitnichten etwas Neues, vielmehr haben die Menschen schon immer mit rechtlichen Mitteln auf neue Veränderungen reagiert.

Am einfachsten und elegantesten ist es zunächst, bestehende Gesetze auf neue digitale Phänomene anzuwenden. Ein gutes Beispiel hierfür sind die Regelungen im Bürgerlichen Gesetzbuch (BGB) über Willenserklärungen. Das BGB trat 1900 in Kraft – nachdem ein Vierteljahrhundert daran gearbeitet wurde – und enthielt bereits in der Urfassung viele noch heute geltenden Regelungen zur Willenserklärung. Und obwohl diese Regelungen aus einer Zeit stammen, in der unsere Digitale Welt nicht einmal zu erahnen war, gelten sie gleichwohl für sämtliche Willenserklärungen, die wir in ihr abgeben – sei es der Kauf bei einem Online-Shop, sei es der Abschluss eines Vertrages mittels elektronischer Signatur. Das rechtliche Wesen der Willenserklärung blieb immer dasselbe – und es bewährte sich sowohl in der körperlichen als auch in der Digitalen Welt.

Reichen die geltenden Gesetze jedoch nicht aus, um all die neuen digitalen Entwicklungen in den Griff zu bekommen, dann müssen sie um neue Regelungen ergänzt werden. Ein ganz aktuelles Beispiel hierfür sind die zahlreichen Vorschriften im BGB, die sich mit Digitalen Produkten befassen und die Anfang diesen Jahres in Kraft getreten sind. Digitale Produkte umfassen sowohl Digitale Inhalte als auch Digitale Dienstleistungen – und die neuen Regelungen im BGB befassen sich mit der rechtlichen Definition dieser Begriffe sowie mit den rechtlichen Problemen, die rund um den Erwerb dieser Digitalen Produkte entstehen können. Digitale Inhalte etwa können Computerspiele und Computerprogramme ebenso sein wie einzelne Filme und Serien, unter die digitalen Dienstleistungen fallen beispielsweise Streaming- und Clouddienste sowie Angebote digitaler Plattformen. Gerade bei den digitalen Inhalten wird deutlich, warum neue rechtliche Regelungen dringend nötig waren: Das Kaufrecht im BGB hatte den Erwerb von Sachen im Blick. Sachen sind jedoch körperliche Gegenstände, weshalb wir früher nicht den Film auf der DVD erworben haben, sondern den körperlichen Träger, also die DVD selbst. In einer Digitalen Welt gibt es für Filme keinen körperlichen Träger, ihr Erwerb musste deshalb mühsam über eine Verweisungsnorm auf das Kaufrecht für Sachen realisiert werden. Mit den neuen Regelungen zu digitalen Produkten wird den Besonderheiten einer Digitalen Welt Rechnung getragen und vieles rechtlich geklärt – und damit die Anwendung des Rechts an sich erleichtert.

Schließlich kann es erforderlich sein, komplett neue Gesetze zu schaffen, weil selbst die bestehenden Gesetze nicht in der Lage sind, all die neuen Phänomene in der Digitalen Welt zu bewältigen. So hat die Europäische Kommission bereits im April 2021 einen Vorschlag für ein Gesetz über Künstliche Intelligenz veröffentlicht, den sie unter anderem mit folgenden Worten begründet: „Dieselben Faktoren und Techniken, die für den sozioökonomischen Nutzen der KI sorgen, können aber auch neue Risiken oder Nachteile für den Einzelnen oder die Gesellschaft hervorbringen. Vor dem Hintergrund des rasanten technologischen Wandels und möglicher Herausforderungen ist die EU entschlossen, einen ausgewogenen Ansatz zu erreichen. Es liegt im Interesse der Union, die technische Führungsrolle der EU auszubauen und dafür zu sorgen, dass die Europäerinnen und Europäer von den im Einklang mit den Werten, Grundrechten und Prinzipien der Union entwickelten und funktionierenden neuen Technologien profitieren können.“

Zum Vergrößern bitte auf die Grafik klicken (Grafik: Kira Obergöker, Berenike Kücker)

Digitale Transformation des Rechts

Über das Wesen des Rechts und dessen Begründung wurde in der Geschichte schon immer intensiv diskutiert – nicht umsonst gibt es eine eigene fachliche Disziplin, die sich mit diesem Thema befasst, nämlich die Rechtsphilosophie. Mit der Digitalen Transformation hat dieses Thema nunmehr eine neue Dimension erreicht: Beschränkte sich das Recht bislang darauf, in Texten verkörpert zu sein, so gibt es nunmehr Entwicklungen, die rechtliche Regelungen in den Programmcode von Computerprogrammen integrieren. Die sich hieraus ergebende Diskussion wird meist mit folgender griffigen Frage betitelt: Code is Law?

Zwei technische Phänomene spielen hierbei eine besondere Rolle, nämlich Smart Contracts und Distributed Ledger Technologies (DLTs) – letzteres oft auch Blockchain genannt. Smart Contracts sind in Programmcode gegossene Verträge, die sich bei Vorliegen der Voraussetzungen selbst erfüllen oder eine andere Folge auslösen – etwa das geleaste Auto, das sich eigenständig deaktiviert, sollte die Leasingrate nicht pünktlich überwiesen worden sein. DLTs sind demgegenüber fälschungssichere Dateisysteme, bei denen die einzelnen Dateiblöcke mathematisch auf eine Weise miteinander verkettet sind, dass einzelne Blöcke nicht geändert werden können, ohne dass sich diese Fälschung in den nachfolgenden Blöcken fortsetzt. Da sich diese solcherart verketteten Dateiblöcke meist auf unzähligen Rechnern befinden, ist eine Fälschung nahezu ausgeschlossen. Verbindet man nunmehr Smart Contracts und DLT´s, so ergeben sich rechtlich relevante digitale Gebilde, die eigenständig regulatorische Aufgaben wahrnehmen können – und die das geschriebene Recht nicht mehr benötigen. Dadurch ändert sich das Wesen des Rechts grundlegend, es wird von einem passiven menschlichen Kulturerzeugnis zu einem aktiven Akteur unserer Gesellschaft – so zumindest das Verständnis derjenigen, für die das Law vom Code abgelöst wird. Ob sich dieses Verständnis letztendlich durchsetzen wird, steht auf einem anderen (digitalen) Blatt.

Weniger um das Wesen des Rechts als vielmehr um dessen Anwendung geht es bei einer anderen Entwicklung, nämlich bei Legal Tech. Mit Legal Tech wird die Digitalisierung juristischer Arbeit und juristischer Prozesse bezeichnet. Hierunter fallen unterstützende Programme aus dem Bereich des juristischen Wissensmanagements ebenso wie Versuche zur Automatisierung juristischer Fallbearbeitung. Eine große Herausforderung bildet hierbei die Formalisierung rechtlicher Strukturen, vor allem die Formalisierung unserer Gesetze. Diese haben eine mathematisch-logische Struktur, die sich hervorragend dafür eignet, sie in Computercode zu übersetzen. Allerdings ist es damit nicht getan: Gesetze sind sprachliche Gebilde, die interpretiert, die ausgelegt werden müssen – oft durch die Rechtsprechung der Gerichte. Die Gesetze müssten deshalb, vereinfacht gesprochen, so formalisiert werden, wie die Gerichte sie verstehen. Theoretisch wäre dies alles zwar möglich, jedoch nur mit einem immensen Aufwand. Und mit jeder Gesetzesänderung und jeder Änderung der Rechtsprechung müsste der Programmcode mühsam umgeschrieben werden – ein nahezu aussichtsloses Unterfangen. Hier setzen innovative Ansätze an, etwa das “argument retrieval”, bei dem rechtliche Argumentationsweisen aus bestehenden juristischen Texten extrahiert werden, oder das “information retrieval”, das juristisch relevante Sachverhalte in Dokumenten identifiziert, die sodann einer (digitalen) rechtlichen Analyse zugeführt werden können.

Allen Herausforderungen zum Trotz gibt es immer mehr Unternehmen und Start Ups, die rechtliche Dienstleistungen rund um Legal Tech anbieten – mit weitreichenden disruptiven Auswirkungen für den Markt von Rechtsdienstleistungen. Denn die Art und Weise, wie Legal Tech-Unternehmen ihre Dienstleistungen anbieten, unterscheidet sich grundlegend von der klassischen anwaltlichen Beratung. Bei der anwaltlichen Beratung beginnt die Arbeit mehr oder weniger stets aufs Neue: Man bespricht sich mit der Mandantschaft, prüft rechtlich den jeweiligen Einzelfall und erarbeitet eine rechtliche Lösung – einzig das rechtliche Wissen, an das man sich erinnert, erleichtert etwas die Arbeit. Ganz anders bei Legal Tech-Angeboten: Hier ist meist anfangs ein großes finanzielles Investment in das einzelne Legal Tech-Programm nötig, das sich – ähnlich einer Produktionsmaschine in der Industrie – mit der Zeit amortisiert. Gleichzeitig ermöglicht dies betriebswirtschaftliche Skaleneffekte, die bei der herkömmlichen Rechtsberatung nahezu keine Rolle spielen. Legal Tech-Unternehmen stellen deshalb eine große Konkurrenz für die herkömmliche Anwaltschaft dar.

Der sich daraus ergebende Verteilungskampf ist bereits voll im Gange. Gerade die aktuellen Tendenzen rund um die Liberalisierung des Rechtsmarktes illustrieren dies eindringlich. So wurde vor einiger Zeit das Anwaltsmonopol für den Inkassobereich massiv gelockert, sodass die entsprechenden Dienstleistungen auch von Personen ohne Anwaltszulassung angeboten werden können. Begründet wurde dies vom Gesetzgeber unter anderem damit, dass in diesem Marktsegment verstärkt Legal Tech-Angebote zum Einsatz kommen könnten und dies dadurch entsprechend ermöglicht und gefördert werden sollte – selbst wenn die Menschen hinter diesen Angeboten keine Anwaltszulassung haben. Dies hatte jedoch für die Anwaltschaft einen gravierenden Nachteil: Aufgrund ihres Berufsrechts war es der Anwaltschaft untersagt, Erfolgshonorare zu vereinbaren und Prozessfinanzierungen zu realisieren – konkurrierende Akteur*innen ohne Anwaltszulassung konnten dies im Inkassobereich demgegenüber sehr wohl. Also sah sich der Gesetzgeber gezwungen, der Anwaltschaft durch eine Änderung des anwaltlichen Berufsrechts entgegenzukommen und ihr dies nunmehr zu ermöglichen. Und genau gegen dieses Entgegenkommen des Gesetzgebers ging die Anwaltschaft samt ihrer Lobbyverbände massiv vor – mit offiziellen Stellungnahmen und Papieren. In Wahrheit ging es jedoch um etwas ganz anderes: Die Ablehnung der Anwaltschaft gegenüber Legal Tech-Angeboten von Personen ohne Anwaltszulassung – und damit um die Verteidigung des Anwaltsmonopols. Dafür war sich die Anwaltschaft nicht zu schade, gegen eine Gesetzesinitiative Sturm zu laufen, die ihr eigentlich etwas Gutes tun wollte.

Ausblick

Das Verhältnis zwischen Digitaler Transformation und Recht hat zwei Seiten, die stets voneinander getrennt werden müssen – gleichwohl sehen wir in beiden Bereichen massive Bewegungen und Veränderungen. Auch in der Zukunft werden wir miterleben können, wie Recht und Gesetz sich neuen Gegebenheiten anpassen, um neue Entwicklungen erfolgreich bewältigen zu können. Daneben werden Recht und Gesetz selbst transformiert – in ihrer Anwendung und vielleicht auch in ihrem Wesen. Welche Auswirkungen diese Digitale Transformation des Rechts haben wird, ist aktuell nicht vollständig absehbar. Gleichwohl werden wir auch in der Zukunft sicherstellen müssen, dass unser Recht stets den Grundwerten folgt, die in unserer Verfassung niedergelegt sind – egal, ob es Recht bleibt oder irgendwann zu reinem Code wird.

Prof. Dr. Maximilian Wanderwitz ist Professor für Wirtschaftsrecht, insbesondere das Recht der Informationstechnologie, an der Hochschule Trier, Umwelt-Campus Birkenfeld. Seine Forschungsschwerpunkte sind “Legal Tech” sowie “Recht und Ethik in der Digitalen Welt”. Als Instrument seiner individuellen professoralen Forschung hat er unlängst das Forschungsnetzwerk Gesellschaft für Recht und Ethik in der digitalen Welt gegründet. Link zur Gesellschaft “hier klicken”.

Kira Obergöker ist Studentin der Umwelt- und Wirtschaftsinformatik an der Hochschule Trier, Umwelt-Campus Birkenfeld.



Berenike Kücker ist Studentin der Umwelt- und Wirtschaftsinformatik an der Hochschule Trier, Umwelt-Campus Birkenfeld.



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