Donnerstag, 25. April 2024

Wenn „Sicherheit“ zum Problem wird

Der Anfang mit dem Ende

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Der Fachkräftemangel ist Realität. Dennoch wird wenig getan, um den Weggang der meist jungen Menschen aus dem Öffentlichen Dienst zu verhindern. Die groteske Situation, verzweifelt unten immer mehr neues Personal nachzuschieben, während oben die Mannschaft meutert, zeugt von fehlendem Problembewusstsein.


Nur weg!

Nachwuchskräfte brechen duale Studiengänge ab oder verlassen nach ihrem Abschluss recht bald die Organisation. Komplette Jahrgänge sind nach fünf Jahren verschwunden. Früher haben sie wenigstens gewartet, bis ihre Rückzahlungsverpflichtungen enden. Aber auch das ist vorbei. Lieber ein paar Tausender zahlen, als noch einen Tag länger bleiben.

Auch das Beamtenverhältnis ist kein Grund zum Bleiben mehr und wird erstaunlich oft aufgegeben. Der Begriff „Great Resignation“ beschreibt die Situation im Öffentlichen Dienst treffend. Er bezeichnet das massenhafte Kündigen in bestimmten Berufen. Viele Menschen hinterfragen ihr aktuelles Beschäftigungsverhältnis und kommen zum Schluss: Lohnt sich nicht, macht keinen Sinn und keinen Spaß. Oft folgt der Wechsel in die Wirtschaft. Die hat das Potential der gut ausgebildeten Nachwuchskräfte längst erkannt und wirbt in Behörden ab. Angesichts der Demografie, eine Katastrophe.


Keine Perspektive

Was ist da los? Was sind die Ursachen für das Verlassen des Öffentlichen Dienstes? Die Gründe sind vielfältig. So gibt es vielfach für die Berufe im Public Sector kein Pendant in der Wirtschaft. Was zunächst nach Bindungsinstrument klingt, ist das Gegenteil. Die Menschen erkennen, dass eine solche Berufswahl eine Sackgasse ist. Auch hat der Nachwuchs oft wenig Mitspracherecht in Bezug auf den Einsatz nach Studium oder Ausbildung. Das ist nicht selten der Supergau: Eine Tätigkeit, die man nicht mag, kein Spaß an der Arbeit. Die berufliche Alternative ist dann nur einen Klick im Internet entfernt.

Gerade die ersten Jahre in der Verwaltung sind von „abwarten“ geprägt. Bitte erst mal Erfahrung sammeln, Karriere in Richtung verantwortungsvoller Position kommt irgendwann später. Für den Nachwuchs bleibt die „einfache Sachbearbeitung“: keine Verantwortung, keine Herausforderung, Boreout. Da braucht sich niemand wundern, dass die Jüngeren gehen. Zumal in der Wirtschaft Karriere nach ein, maximal zwei Jahren üblich sind.

Jungen Menschen sind verstärkt auf der Suche nach Sinn in ihrer Arbeit. Aber das Gefühl etwas Sinnhaftes zu tun, ist höchst subjektiv. Wird in der Praxis die Tätigkeit als sinnlos wahrgenommen, spielt es keine Rolle mehr, dass der Auftrag der Behörde an sich Sinn macht. Auch endet der Wunsch, beruflich etwas mit Impact für die Gesellschaft zu tun, dort, wo man sich nicht wertgeschätzt fühlt. Und es macht keinen Sinn, in einem Beruf zu arbeiten, der die Familie nicht ernährt. Im mittleren Dienst in einer Großstadt wird es da schon eng. Dann lieber in der Wirtschaft gut verdienen und nebenbei ein Ehrenamt ausfüllen.


Karrieremodelle der Old Work

Die Folge dieser Situation ist Abwanderung. Dem wird von den Arbeitgebern des Öffentlichen Dienstes gerne das Argument des krisensicheren Jobs entgegengehalten. Sicherheit im Sinne einer bis ins Rentenalter verlässlichen Berufstätigkeit bei ein und derselben Organisation ist bei jüngeren Generationen aber immer weniger ein Attraktivitätsfaktor sondern ein Synonym für Langeweile und beruflichem Stillstand.

Ich spreche viel mit Personalern in Behörden. Sie beklagen, dass Nachwuchskräfte immer weniger leistungsbereit sind. Sie beschreiben das Phänomen Quiet Quitting, welches oft mit der inneren Kündigung verwechselt wird. Hier geht es aber nicht um das gedankliche Abschalten in Bezug auf Arbeit sowie Dienst nach Vorschrift. Im Gegenteil bedeutet Quiet Quitting, dass der Job Spaß macht und das Kollegenverhältnis stimmt. Allerdings mangelt es den Jüngeren an der Bereitschaft, „die Extrameile zu gehen“.

Überstunden? Nein danke! Führung? Tue ich mir nicht an! An dieser Einstellung zerschellen die althergebrachten Karrieremodelle von Behörden: Sei stets verfügbar, arbeite härter und du machst Karriere. Heute wollen die Menschen diesen Preis nicht mehr bezahlen. Beim Quiet Quittting bekommt der Arbeitgeber genau das, wofür er bezahlt! Und eigentlich ist das auch okay. Gefährlich wird es, wenn alten Vorstellungen von Leistung dazu führen, dass Karrieren verneint werden.


Wie Nachwuchskräfte halten?

Die Aktualisierung des LinkedIn-Profils, das Liken von Jobangeboten, die Annahme von Kontaktanfragen von Headhunter, die Frage nach einem Zwischenzeugnis: Es gibt viele Signale, man muss nur hinschauen. In den Personalabteilungen schaut aber niemand hin oder reagiert beleidigt mit: „Dann geh doch!“

Stattdessen muss Personalerhalt die Maßnahme für 2023 werden! Dazu ist ein besseres Management von Ausbildung und Studium notwendig, bei dem individuelle Stärken und Interessen stärker berücksichtigt werden. Denn angesichts des breiten Angebotes muss sich niemand mehr durch Lehrjahre mit langweiligen Praktika quälen. Mitspracherecht beim späteren Einsatz, frühe Verantwortungsübernahme sowie ein effektives Ideenmanagement sind weitere Maßnahmen. Es braucht auch eine Antwort darauf, wie es nach dem Bachelor weiter geht: Nicht ob, sondern wie wird der Master gefördert?
Auf Basis regelmäßiger Gespräche mit der Führungskraft werden individuelle Angebote gemacht: Projektarbeit, schnellere Beförderungen und Stufenaufstiege, die Umsetzung eigener Ideen. Aber auch moderne Ausstattung, Homeoffice, echte Führung statt Obersachbearbeitung, mehr Zeit für Teamentwicklung – es gibt genügend Optionen. Der meistgenannte Grund für Kündigung ist aber regelmäßig toxische Führung. Es wird noch zu wenig gegen schlechte Führungskräfte unternommen. Wertschätzung ist nun mal der wichtigste Faktor.

Wenn Kolleg*innen dennoch gehen, gilt es, nicht die beleidigte Leberwurst zu spielen und sich stattdessen wertschätzend für die geleistete Arbeit zu bedanken. Das macht die Tür für eine Rückkehr weit auf. Wer weiß, vielleicht ist der neue Arbeitgeber gar nicht so gut oder die Lebensumstände haben sich geändert. Ehemalige erneut zu rekrutieren, ist extrem effektiv. Denn die wissen genau, worauf sie sich einlassen.


(Foto: Privat)

Dr. Stefan Döring unterstützt als Experte für Personalmanagement Organisationen des Öffentlichen Dienstes bei Personalgewinnung, Employer Branding und Behördenkommunikation.

Erfahrt mehr auf: stefandoering.net, XING, Twitter, LinkedIn

Oder erreicht Stefan unter: 0049 (0)176 23528278

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