Samstag, 27. April 2024

Kommunikation auf Augenhöhe

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Führungskultur in der öffentlichen Verwaltung

Viele Prozesse in der öffentlichen Verwaltung sind mittlerweile digitalisiert. Hier muss sich der Öffentliche Dienst nicht vor der Privatwirtschaft verstecken. Wenn es um Führungskultur geht, hinkt die öffentliche Verwaltung leider noch erheblich hinterher. Die Thematik “Führung” wird in der Beamtenwelt überwiegend doch noch sehr traditionell betrachtet und diskutiert. Dies ist wenig verständlich. Das wertvollste Kapital eines Betriebes ist das Personal. Dieser Grundsatz gilt gleichermaßen für die Privatwirtschaft wie auch für den Öffentlichen Dienst. Ohne die Mitarbeiter*innen läuft eben nichts. Umso wichtiger ist es, dass Führungsprinzipien in der öffentlichen Verwaltung entstaubt werden.

Ich muss gestehen: Als Bürgermeister hatte ich anfangs einen etwas überholten Blickwinkel zu Führungsprozessen. Ich verstand zwar schon damals, dass eine Autorität qua Amt wenig wert ist und dass man nicht autoritär führen muss, um Autorität zu genießen. Ich war der festen Überzeugung die wertvollste Eigenschaft für eine Führungskraft ist Fachkompetenz. Heute weiß ich, dass sie zwar nicht schadet aber auch nicht essenziell ist. Mein Schlüsselerlebnis hatte ich anlässlich der Neubesetzung einer Stelle mit Führungsaufgaben. Ich hatte bereits einen jungen sehr fachkompetenten Mitarbeiter für diese Aufgabe “ausgeguckt”. Doch dieser lehnte ab, sah sich für diese Stelle ob der großen Verantwortung nicht gewachsen.

Phänomene mit fatalen Auswirkungen

Nun, dachte ich, wenn er keine Verantwortung übernehmen will, wird er auch seinem beruflichen Weiterkommen im Wege stehen. Muss das wirklich so sein?

Wollen wir engagierten fachkompetenten Mitarbeiter*innen nur deshalb keine berufliche Entwicklungschance bieten, weil sie sich nicht in der Lage fühlen, Führungsaufgaben zu übernehmen. Umgekehrt streben bei diesem Verständnis für Führungsaufgaben ungeeignete Bewerber*innen nach Führungspositionen, und zwar eigentlich nur deshalb, weil sie beruflich “voran” kommen wollen. Beide Phänomene haben fatale Auswirkungen. Als Führungskraft braucht man eher Generalist*innen, die eine Vielzahl von Fähigkeiten mit sich bringen und nicht ausschließlich ein*e Spezialist*in auf einem Gebiet sind. So sind Generalist*innen insbesondere in der Top-Führungsebene in der Privatwirtschaft vorzufinden.

Menschlichkeit bleibt auf der Strecke

Wie sieht die Wirklichkeit im Öffentlichen Dienst aus? Auch heute noch wird in aller Regel der/die (fachlich) beste Sachberarbeiter*in Abteilungsleiter*in. Gleichwohl wissen wir, dass im Führungsbereich weit überwiegend andere Faktoren für eine kompetente Rollenwahrnehmung erforderlich sind. Es sind Kompetenzen, die im vorwiegend im sozial-kommunikativen Bereich liegen.

Neue Steuerungsmodelle sehen oft die Reduzierung von Fachbereichen vor, weil man sich damit eine höhere Effizienz der Aufgabenerfüllung verspricht. Das Problem ist, dass damit eine zu große Leitungsspanne verbunden ist. Die Zahl der unterstellten Mitarbeiter*innen ist einfach zu groß, um wirklich eine tragfähige Bindung aufzubauen. Hinzu kommt die Crux des Prinzips der Gesetzesmäßigkeit der Verwaltung. Somit muss bei der Führung alles dem Einhalten des gesetzlichen Regelwerkes bedingungslos untergeordnet werden. Das “Sieben mal gerade sein lassen” und damit auch ein Stück Menschlichkeit bleibt auf der Strecke.

Eine Verwaltungsspitze wird nur so gut sein können, wie es das Team ist. Es kommt also darauf an, ob die Mitarbeiter*innen der Führungskraft folgen wollen. Das werden sie dann tun, wenn diese die Erwartungen der Mitarbeiter*innen erfüllen kann.

Orientierungsrahmen für Führungskräfte

Behörden müssen eine Führungskultur aufbauen! Einen wertvollen Orientierungsrahmen hat die Kommunale Gemeinschaftsstelle für Verwaltungsmanagement (KGSt) entwickelt. Für die KGSt muss eine Führungskraft vor allem folgende Kompetenzen haben: Ethische Kompetenz, persönliche Kompetenz, strategische Kompetenz, soziale Kompetenz, Führungskompetenz, Personalentwicklungskompetenz, Diversity Kompetenz und digitale Kompetenz. Sobald ein Abgleich zwischen diesem Orientierungsrahmen und dem eigenen Führungsverständnis erfolgt ist, bietet sich die Bildung einer Lenkungsgruppe (z.B. bestehend aus Orga- und Personalfachkräften, Personalrat und Führungsmannschaft). Zunächst hat eine Stärken- und Schwächenanalyse zu erfolgen. Die Fragen müssen lauten: Was lief bei uns in den letzten Jahren z. B. im Handlungsfeld Personalgewinnung gut, was lief weniger gut? Darauf aufbauend sollte ebenfalls wieder pro Handlungsfeld die konkreten Herausforderungen benannt werden, die auf die Personalentwicklung zukommen (demografische Entwicklung, Digitalisierung etc.).

Analogie zum Sport

Dann sollte man sich fragen: Was wollen wir konkret in den jeweiligen Handlungsfeldern bewirken? Dabei muss die Verwaltungsspitze den Aufbau einer Führungskultur zum eigenen Prozess machen.

Für mich müssen Führungskräfte Vertrauen entwickeln können, für sich aber auch für die ihnen unterstellten Mitarbeiter*innen. Ein Klima von Misstrauen und Kontrolle verursacht schlechte Gefühle der Mitarbeiter*innen. Ein fehlertolerantes Klima (natürlich muss beratungsresistenten Mitarbeiter*innen deutlich die Grenzen gesetzt werden) wird sich positiv auf die Leistungsfähigkeit und Entwicklung auswirken. Natürlich bedarf es einer professionellen Distanz. Diese ist aber nicht zu verwechseln mit sozialer Kälte. Respekt entsteht jedoch aus wirklichem Interesse und Fürsorge. Es bedarf – wie im Sport – einer positiven Präsenz. “Ich bin bei dir und bleibe so lange, bis wir gemeinsam das Problem gelöst haben.”

Kein Handlungsdruck für Beschäftigte

Sehr häufig belastet ein unsäglicher Ressortegoismus die Arbeitsergebnisse der Gesamtorganisation. Schlechte Führungskräfte sehen sich nicht als Mannschaft, sondern belächeln Vorgänge, die in einer anderen Abteilung schiefgegangen sind. Gute Führende kümmern sich um kooperative Strukturen, haben Freude am Erfolg des anderen, am Erfolg des Gesamtkonzerns. Sie beziehen die Mitarbeiter*innen in die Entscheidungsprozesse ein. Sie setzen auf Transparenz. Sie holen alle Beteiligten “in’s Boot” und versorgen alle gleichzeitig mit den relevanten Informationen. Organisationen entwickeln sich über Kommunikationsprozesse, nicht über Organisationsverfügungen. So werden Entscheidungen zumindest nachvollziehbar, auch wenn sie keine Zustimmung finden. Intransparentes Vorgehen macht das Arbeitsklima kälter.

Führungspersönlichkeiten versetzen ihre Mitarbeiter*innen nicht in Handlungsdruck. Sie setzen mehr auf einen längeren Beobachtungszeitraum mit verbindlichen Prioritäten und festen Terminen. Es bleibt stets das Ziel im Blick. Gute Führende schützen ihre Mitarbeitenden vor hyperaktiver Betriebsamkeit und bloßem Aktionismus.

Während traditionelle Führungsprinzipien auf Unterordnung und Gehorsam setzen (das starre Beamtenrecht tut seines dazu, Stichwort: Weisung), muss es heute heißen, dass nicht das getan wird, “was ich sage”, sondern “wir das machen, was wir vereinbart haben”. Kommunikationsprozesse auf Augenhöhe fördern eine größere Hingabe zur Aufgabe als ein Befehls- und Gehorsamsstil.

Fähigkeit zum kritisierenden Feedback

Professionelle Führungskräfte besitzen die Fähigkeit zu kritisierendem Feedback. Dies muss ein ständiger Prozess sein. Das traditionelle Mitarbeitergespräch (einmal im Jahr) ist nicht ausreichend. Feedback geben soll zur Deeskalation führen und Konflikte lösen. Es geht nicht darum, Schuldige zu suchen bzw. zu sanktionieren. Fragen, die die Vergangenheit betreffen sind selten zielführend. Besser ist es, wenn die Fragen eine Support-Funktion haben: “Was brauchen Sie, um das Ziel zu erreichen? Was steht Ihnen im Weg?” Es geht ausschließlich um Lösungsorientierung.

Was ist zu tun?

Das starre Beamtenrecht und öffentliche Tarifrecht bilden leider keine günstigen Rahmenbedingungen für die Umsetzung eines neuen Führungsverständnisses. Hier sind der Gesetzgeber bzw. die Tarifpartner gefragt. Wir brauchen mutige Behördenleiter*innen, die eine neue Führungskultur etablieren wollen. Moderne Führung kann man lernen. Gerade junge Führungskräfte wünschen sich Fortbildung und Coaching. Wir dürfen nicht die Dinge nur deshalb tun, weil wir sie schon immer so gemacht haben. Führung muss sich neu erfinden und sich neu definieren. Lucius Annaeus Seneca (4 v.Chr. – 65 n.Chr.) bringt es auf den Punkt: “Nicht, weil es schwer ist, wagen wir es nicht – sondern weil wir es nicht wagen, ist es schwer.”

Rolf Hartmann war von 2004 bis Ende Oktober 2020 Bürgermeister der Gemeinde Blankenheim.

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