Samstag, 27. April 2024

Vorhandene Strukturen stärken

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Bennet Klawon
Bennet Klawon
Bennet Klawon ist zuständig für den Bevölkerungs- und Katastrophenschutz. Manchmal richtet er bei Kochexperimenten selbst mittlere Katastrophen an.

Ehrenamtlicher Nachwuchs bei der Gefahrenabwehr

Die nichtpolizeiliche Gefahrenabwehr wäre ohne das Ehrenamt kaum denkbar. Schätzungsweise 1,9 Millionen Bundesbürger*innen engagieren sich in der Freiwilligen Feuerwehr, den Hilfsorganisationen oder beim Technischen Hilfswerk (THW). Doch gerät dieses wahrscheinlich auf der Welt einmalige Hilfeleistungssystem aufgrund von demografischem Wandel, verändertem Freizeitverhalten oder Corona-Pandemie unter Druck. Ein verpflichtendes Dienstjahr scheint dabei als einfache und elegante Lösung. Jedoch nur auf den ersten Blick. 

Wie ein Wiedergänger kommt gerade jetzt in der Krise die Idee von Politiker*innen auf, ein wie auch immer geartetes Pflichtdienstjahr einzuführen. Der letzte Vorstoß in diese Richtung kam vom Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier. Er kann sich in einem Interview mit der “Bild am Sonntag” die Einführung eines solchen Dienst für alle jungen Menschen gut vorstellen. Eine Pflichtzeit im Dienste der Gesellschaft würde den Horizont von jungen Menschen erweitern. Aber eine Wiedereinführung der Wehrpflicht brauche es dafür nicht. Er wünsche sich eine Debatte darüber. Doch stößt diese Idee nicht nur im politischen Raum auf wenig Gegenliebe.

Diese Diskussion um ein Pflichtjahr gebe es schon seit einiger Zeit, sagt Jan Holze, Vorstand der Deutschen Stiftung für Engagement und Ehrenamt. Doch gebe es seit der Aussetzung der Wehrpflicht schon andere Formen von Freiwilligendiensten. “Die Bedarfe an den Freiwilligendiensten sind höher, als die zur Verfügung stehenden Möglichkeiten. Deswegen wäre mein Plädoyer zunächst einmal dafür zu sorgen, dass es ausreichend Plätze gibt”, so Holze. Es brauche gleichzeitig mehr Wertschätzung der Politik gegenüber diesen Diensten. Stichworte seien hier ÖPNV-Ticket oder die Erhöhung des sogenannten Taschengelds. “Ich glaube, dass man zunächst einmal an diesen Stellschrauben drehen muss, bevor man sich mit der großen Keule “Pflichtjahr” beschäftigt”, meint Holze.

“Wir sollten die bestehenden Strukturen, die durch Freiwilligkeit geprägt sind, stärken und ausbauen”, sagt auch Annalena Di Carlo, stellvertretende Bundesjugendleiterin der THW-Jugend. Zwar gehe es bei einem Freiwilligendienst nicht vorrangig um Geld, aber man müsse ein Stück weit auch von diesem Taschengeld leben. Bei der bisherigen Höhe des Taschengeldes gebe es keinen gerechten Zugang zu diesen Diensten, weil sich nur junge Menschen aus besserverdienen Familien ein solches Engagement leisten könnten. Ebenso zweifelt die THWlerin an, ob der Sinn des Engagements nicht durch eine Pflicht abhandenkommt. Zudem müssten auch die Freiwilligen betreut werden. Bisher gebe es schlicht weg noch nicht genug Stellen, um eine noch größere Anzahl an Dienstleistenden zu betreuen.

Dem kann sich Ingolf Höntsch, stellvertretender Vorsitzender des Landesfeuerwehrverbandes (LFV) Sachsen, anschließen: “Direkt ausgeübter Zwang, was anderes ist es nicht, führt in meinen Augen definitiv zum Gegenteil, zumindest wenn wir über die aktiven Abteilungen von THW, Feuerwehr oder anderen Organisationen reden.”

Schwieriger Übergang zur Einsatzabteilung

Die Situation des Ehrenamtes variiert in Deutschland nicht nur zwischen Ost- und Westdeutschland, sondern auch zwischen den verschiedenen Organisationen. “Insgesamt können wir uns in der THW Jugend nicht beklagen. Wir haben seit Jahren sehr stabile Mitgliedszahlen. Allerdings muss man auch ganz klar sagen, dass wir durch Corona natürlich auch leichte Rückgänge hatten. Tatsächlich aber auch wirklich nur leichte. Wir haben ungefähr 15.000 Mitglieder und haben da einige hundert während Corona verloren”, berichtet Di Carlo. Der Rückgang könne aber auch dadurch zu erklären sein, dass die Jugendlichen das achtzehnte Lebensjahr erreicht haben und in das THW gewechselt sind. Man habe es aber auch während der Corona-Pandemie geschafft, neue Kinder für die THW-Jugend und ein Ehrenamt zu gewinnen. Aber auch für das THW seien die Mitgliedszahlen positiv. Gerade durch die Flutkatastrophe im Ahrtal sei die Arbeit des Hilfswerks in den Fokus gerückt worden und habe es nochmals bekannter gemacht.

Weniger positiv sieht es dabei in Sachsen aus. Während die Jugendarbeit noch relativ stabil bleibe, sehe die Entwicklung der Mitgliedzahlen bei den Einsatzabteilungen schlechter aus. Knackpunkt sei hier vor allem der Übertritt von der Jugendfeuerwehr in die aktiven Abteilungen, wenn das sechszehnte Lebensjahr erreicht wird. Vielfach würden sich die Jugendlichen in diesem Alter beruflich bzw. ausbildungstechnisch neu orientieren. “Gerade im ländlichen Raum ist damit verbunden, dass ich mein Elternhaus verlasse”, sagt Höntsch. Durch den Wohnortwechsel komme es manchmal dabei auch zum Abbruch bei der Tätigkeit bei der Freiwilligen Feuerwehr. Aber auch die Pandemie habe Probleme teilweise verstärkt. Um dem entgegenzuwirken, machen sich der LFV, die sächsischen Innen- und Kultusministerien Gedanken, wie man die Arbeit verbessern kann. Dieser Prozess sei aber noch nicht abgeschlossen.

Die Feuerwehr in Sachsen sei dabei kein Einzelfall. “Diese Sorgen werden uns auch von anderen Organisationen zurückgespielt. Es hat ganz stark eine Problematik der Entwöhnung gegeben, dass sich viele in den Zeiten von Corona aus dem Ehrenamt zurückgezogen haben”, bekräftigt Holze die bundesweite Situation. Den Motor wieder in gang zu bringen, gestalte sich an vielen Stellen schwierig. In vielen Organisationen sei man noch nicht wieder auf dem Niveau von Vor-Corona, was die Mitgliedszahlen angehen, weil der Zugang zur Struktur fehle.

Diskrepanz zwischen Bereitschaft und Handeln

Grundsätzlich sei die Bereitschaft zu Helfen und sich zu engagieren, in der Bevölkerung groß. Dies zeige sich gerade in Krisenzeiten, sagt Holze. Doch nach kürzester Zeit zeige sich auch immer eine gewisse Ermüdungserscheinung verbunden mit der Hoffnung, dass andere übernehmen sollen. “Da haben wir ein Grundproblem im Engagement, dass man gerne bereit ist, sich kurzfristig zu engagieren, aber wenn es um eine dauerhafte Übernahme von Verantwortung geht, dann gibt es eine gewisse Zurückhaltung”, so der Stiftungsvorstand. Es sei ein gewisser Trend zur kurzfristigen Hilfebereitschaft erkennbar.

Ähnliches lässt sich auch im zweiten Ehrenamts-Monitor des Malteser-Hilfsdienst (MHD) beobachten. Auffällig bei der Umfrage ist, dass die Befragten (rund ein Drittel) sich spontan hilfsbereit zeigen, aber nur wenige sich langfristig in einer Hilfsorganisation engagieren wollen. Die Zahl, die sich länger binden wollen, liegt wie im vorherigen Ehrenamtsmonitor bei nur sieben Prozent. Gleichzeitig wissen die Teilnehmer*innen der Umfrage um die Bedeutung des Ehrenamtes bei der Bewältigung von Krisensituationen. 70 Prozent halten das Ehrenamt z. B. bei der Bewältigung von Naturkatastrophen für wichtig und sehr wichtig.

Die stellvertretende Bundesjungendleiterin erklärt sich diese Diskrepanz mit möglicherweise fehlendem Wissen über die Möglichkeiten für ein Ehrenamt und Flexibilität, die ein Ehrenamt haben könne. Es brauche auf jeden Fall mehr Informationen. Höntsch sieht hier mehr die Politik in der Pflicht, mehr Unterstützung von ehrenamtlichen Tätigen zu leisten. Er kritisiert den fehlenden politischen Willen, mehr zu tun. Dies sei vor allem für die Gefahrenabwehr im ländlichen Raum ein Problem, weil es z. B. keine Berufsfeuerwehr gebe. Die Politik müsse die Rahmenbedingungen verbessern.

Dem kann sich Holze anschließen. Laut einer Studie aus Baden-Württemberg verbringe ein*e Verantwortliche*r in einem mittelgroßen Verein rund 45 Tage pro Jahr mit bürokratischen Anforderungen. Dies halte natürlich viele davon ab, das zu tun, was sie eigentlich wollten. Eine einfachere und unbürokratische Herangehensweise sei hier zielführend. “Aber wir müssen gemeinsam dafür sorgen, dass das Ehrenamt attraktiv bleibt. Dennoch reicht es nicht aus, den Finger in Richtung Staat zu zeigen”, so Holze. Dieser könne zwar für etwas bessere Rahmenbedingungen sorgen, was er noch nicht im ausreichenden Maße tue, aber es komme auch immer auf die Gestaltung vor Ort an.

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