Dienstag, 23. April 2024

Trans beim Bund

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Ich werde oft gefragt, ob ich als Cis-Frau einen ebenso gleichverlaufenden Karrierepfad beschritten hätte, wie ich ihn in den letzten 28 Jahren als Offizier und Offizierin der Bundeswehr erfolgreich beschritten habe. Die Antwort dazu fällt mir nicht leicht, da ich keinen Vergleich habe. Ich habe nur mich. Eine berufliche Biografie, welche vor 28 Jahren als Mann anfing und in derer ich wesentliche Karrieremeilensteine als Mann durchlaufen habe. Nach zwanzig Berufsjahren war dann mein Coming-Out als transgeschlechtliche Frau.

Meine Antwort auf diese Frage ist dennoch stets ein „Nein“, da ich glaube, dass die Strukturen innerhalb der Organisation Bundeswehr seit 1955 heteronormativ und Cis-männlich gedacht wurden und zu großen Teilen weiterhin gedacht werden. Wesentliche Veränderungen erfolgten nicht durch einen inneren Werte- und Kulturwandel der Organisation, sondern durch Anstöße bzw. Zwang von außen. Belegbare Beispiele dafür sind die Öffnung aller militärischen Laufbahnen der Bundeswehr für Frauen durch ein Urteil des EU-Gerichtshof im Jahr 2001 oder die Aufhebung der systematischen Diskriminierung homosexueller Soldaten durch das Bundesministerium der Verteidigung im Jahr 2000 durch die politische Entscheidung des damaligen Verteidigungsministers gegen die Empfehlung seiner Generäle. Offen gelebte Diskriminierung, eingebettet in die Kultur der Organisation, wenig bis gar nicht durch die politische oder militärische Führung hinterfragt. In Gänze an der gesellschaftlich gelebten Realität vorbei. Negatives Alleinstellungsmerkmal par excellence.

Die Bundeswehr hat sich auf Ebene der politischen und militärischen Führung gewandelt. Sichtbar wurde dies im Januar 2017, als die damalige Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen einen eintägigen Workshop „Sexuelle Orientierung und Identität in der Bundeswehr“ veranstaltete, der u.a. auch inhaltlich von LGBTIQ-Angehörigen der Bundeswehr ausgestaltet bzw. moderiert wurde. Dieser Workshop war offenbar derartig ungewöhnlich, dass BILD diesen als „Sex Seminar“ titulierte und auch innerhalb der Bundeswehr kontrovers bis in Teilen ablehnend diskutiert wurde. Das die Themen sexuelle Orientierung und Identität dennoch derart prominent und sichtbar platziert wurden, verdanken wir der Entschlossenheit von Ursula von der Leyen.

Die Frage, die es für mich zu beantworten gilt, ist inwieweit setzen sich staatliche Organisationen ein, die beruflichen Verhältnisse von allen Arbeitnehmer*innen zu verbessern und sich deren Themen anzunehmen und die eigenen Strukturen und Handlungsmaximen bewusst und kritisch auf strukturelle Benachteiligung und Diskriminierung zu untersuchen? Welchen Beitrag wollt ihr in Zukunft dazu leisten? Wie werdet ihr die Kultur erleben und hinterfragen? Interessant und herausfordernd wird es für diejenigen unter Euch, die Aufgrund ihres Geschlechts, Hautfarbe und Abstammung wenig bis gar nicht von Diskriminierung betroffen sind. Wie werdet ihr Euch einsetzen? Oder überlasst ihr Kampf den diskriminierten und marginalisierten Gruppen im Arbeitsumfeld?

Führungskräfte tragen dafür eine besondere Verantwortung. Wir sind gefordert innerhalb unserer Organisationen und Unternehmen die kritischen Fragen zu stellen – egal an welcher Stelle wir tätig sind. Wir dürfen dieses nicht nur den Mitarbeiter*innen in z.B. queeren Unternehmensnetzwerken oder den Gleichstellungsbeauftragten überlassen.

Ihr als zukünftige Führungskräfte müsst eure Organisationen herausfordern. Ihr seid verpflichtet, die Grenzen der jeweiligen Kulturbereiche weiter zu verschieben, weiter zu öffnen. Ihr müsst aktiv Strukturen hinterfragen und althergebrachtes Denken und Handeln aufdecken und aufzeigen. Das fängt bereits bei der Sprache an. Sprache wirkt sehr oft ausgrenzend. Ich weiß nicht, wie oft ich die Begrüßung „Sehr geehrte Herren“ gehört habe, obwohl mehrere Frauen im Raum waren. Das ist kein Versehen. Das ist erlerntes Verhalten, ohne die eigene Erkenntnis sich den Veränderungen anzupassen. Es ist zugleich zutiefst abwertend. Auch der von mir oft gehörte Satz „Die (Frau) steht ihren Mann“ ist mitnichten ein Kompliment, sondern klarer Ausdruck welches Frauenbild, welche Werte und welche Rollenideale vorherrschend sind und wer hier klar der Maßstab ist. Dieser Satz drückt unmissverständlich aus: ‚Wir sind nicht an anderen Perspektiven interessiert!‘

Zuhören und verstehen ist elementar. Wir müssen zuhören. Ideen und Potentiale begreifen, die von den Mitarbeiter*innen kommen. Gelebte Vielfalt ist Wertschätzung. Wertschätzung aller fördert deren Potentiale, ermöglicht Innovation und fördert das Miteinander. Den Raum dafür kreieren wir gemeinsam. Das erfordert gestalten. Gestalten auf den kommunizierten Perspektiven. Diese Perspektiven aufzunehmen, gelingt nur, wenn wir alle uns sicher sein können, dass unser Beitrag auch gehört wird. Es ist ein Kreislauf, ein tägliches Miteinander und Füreinander.

Abbau von Diskriminierung schafft letztendlich Vielfalt. Eine echte Vielfalt auf allen Ebenen, verankert im kulturellen Verständnis eurer Organisation. Dann müssen wir uns keine Gedanken mehr über gläserne Decken machen. Dann spiegelt die Führungsetage in der Zusammensetzung diese Vielfalt eindeutig wider. Dann wird Vielfalt gelebt und wir nähern uns dem Ziel von „Zero Discrimination“. Und ihr seid in der Verantwortung sichtbar und vokal zu sein. Mit eurer ganzen Person. Denn nur so können wir den notwendigen Kulturwandel von innen herbeiführen. Diskriminierung ist von Menschen gemacht. Bewusst oder unbewusst. Diskriminierung ist entweder individuell oder strukturell. Aber sie wurde geschaffen. Und daher können wir sie – wenn wir wollen – auch beenden.


Anastasia Biefang ist seit 1994 als Offizierin in der Bundeswehr tätig. Aktuell ist sie Sachgebietsleiterin im Kommando Cyber- und Informationsraum in Bonn. Während ihrer Dienstzeit war sie zweimal im Einsatz in Afghanistan. 

Die Aktivistin engagiert sich ehrenamtlich als Stellvertretende Vorsitzende von QueerBw (www.queerbw.de) und setzt sich für die Rechte von LGBTIQ ein. Seit 2020 schreibt sie für das LGBTIQ Magazin MANNSCHAFT die Kolumne „Die Transperspektive“ (www.mannschaft.com) . 

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