Förderung des Denunziantentums oder mehr Steuergerechtigkeit?
Die baden-württembergische Steuerverwaltung hat ein anonymes Hinweisgeberportal für Finanzämter freigeschaltet, über das Bürger*innen online Verstöße gegen Straf- und Steuergesetze anzeigen können. Das Portal ist deutschlandweit das erste seiner Art und sorgt für reichlich Kritik.
Bislang nahm die Steuerverwaltung in Baden-Württemberg anonyme Anzeigen telefonisch, schriftlich, persönlich oder per E-Mail entgegen. Häufig hätten hier jedoch wesentliche Informationen gefehlt und aufgrund der Anonymität seien keine Rückfragen möglich gewesen. Mit dem neuen System besteht über einen digitalen Postkasten die Möglichkeit eines anonymen Dialogs für Rück- und Nachfragen. Durch vorgegebene Pflichtfelder werden zudem mehr qualifizierte Angaben und dadurch eine Steigerung der Qualität anonymer Anzeigen erwartet. “So können wir Steuerbetrug besser verfolgen und für mehr Steuergerechtigkeit sorgen. Außerdem treiben wir die Digitalisierung voran und ermöglichen eine einfache Kommunikation zwischen Steuerverwaltung und Bürger*innen”, erläuterte Baden-Württembergs Finanzminister Dr. Danyal Bayaz.
In Deutschland werden schätzungsweise jährlich Steuern im Umfang von rund 50 Milliarden Euro hinterzogen. Geld, das anderweitig für Schulen, Kitas, Polizei, Straßen- und Radwege oder Klimaschutz investiert werden könnte. “Steuerbetrug rüttelt damit an einem grundlegenden Wert unserer sozialen Marktwirtschaft, dass jeder seinen Teil zum Ganzen beiträgt, abhängig von seinem Einkommen. Steuerbetrug ist zutiefst ungerecht”, betonte Bayaz. In Baden-Württemberg hat die Steuerfahndung 2020 knapp 251 Millionen Euro an Mehrsteuern durch Steuerhinterziehung aufgedeckt. Bundesweit kam die Steuerfahndung auf rund 3,2 Milliarden Euro Mehrsteuern.
Gutes Personal statt online Plattform
Doch in den anderen Bundesländern wird ein Meldeportal für Steuerbetrüger äußert kritisch gesehen. “Ein solches Tool für etwaige Steuervergehen ist bei uns nicht geplant”, erklärte Saarlands Finanzminister Peter Strobel. Die saarländische Finanzverwaltung gehe grundsätzlich von ehrlichen Steuerbürger*innen aus. Die Einführung einer onlinebasierten Meldeplattform fördere, so Strobel, das Denunziantentum und stelle gleichzeitig die gute Arbeit der Finanzämter ein Stück weit in Frage. In Aussicht zu stellen, dass darüber nennenswerte Mehreinnahmen zustande kommen, hält er für “sehr gewagt”.
Es sei zudem nicht schlüssig, wenn der Staat in den sozialen Medien, das Denunziantentum, anonymisierte Hetze (sog. “Shitstorms”) und Trolle zurückdrängen will und gleichzeitig eine Plattform bereitstellt, die diesem Handeln Vorschub leisten soll. Viele relevante Steuerfälle könnten über ein solches Portal nicht abgedeckt werden, da sie viel zu komplex und umfangreich seien. “Dazu braucht es gutes Personal, das wir haben und keine online Plattform”, so der Finanzminister.
Besonders scharf angegangen wurde das Portal in den sozialen Medien. Vorwürfe wie “Steuer-Stasi”, “DDR 2.0”, “Steuerpranger” und “Denunziantentum” wurden laut. Aber auch persönlich wurde Finanzminister Bayaz in den sozialen Medien von Rassisten und Hetzern heftig attackiert. Auf Instagram und Twitter gab es zahlreiche menschenverachtende, rassistische und sexistische Kommentare. Auch auf dem neuen Meldeportal gingen Mails mit heftigen Beleidigungen ein.
Trotz der Kritik will Baden-Württemberg an dem Portal festhalten. “Wir sind davon überzeugt, dass es ein richtiger Schritt ist. Und deswegen halten wir selbstverständlich auch daran fest”, sagte der Landesfinanzminister. Man habe lediglich etwas online eingeführt, das es bereits gab. “Das gibt es bereits, dass sich in jedem Bundesland, beispielsweise auch in Bayern, Menschen anonym an die Steuerbehörden wenden können.”, sagte Bayaz. “Nur eben nicht online.”
Zudem setze Baden-Württemberg mit dem Portal auch eine EU-Richtlinie um, nämlich einen sicheren Kommunikationsweg für Whistleblower anzubieten. “Als ehemaliges Mitglied im Wirecard-Untersuchungsausschuss weiß ich, wie wichtig Whistleblower und anonyme Hinweise bei Wirtschaftskriminalität, Geldwäsche oder Steuerbetrug sind und wie wichtig es ist, dass sie auch von den Behörden ernst genommen werden”, betonte Bayaz.
Kaum falsche Beschuldigungen
Baden-Württemberg gehe mit seinem Hinweisportal auch keineswegs einen Sonderweg. Anonymisiertes Hinweissysteme gebe es längst in anderen Bereichen, etwa beim Landeskriminalamt Baden-Württemberg, Niedersachsen oder Hamburg. Beim Portal des baden-württembergischen Landeskriminalamtes habe es in fünf Jahren eine einstellige Zahl falscher Anschuldigungen, dafür eine steigende Zahl verwertbarer Hinweise auf Straftaten gegeben. Auch aufgrund dieser Erfahrung habe Baden-Württemberg den bisher analogen Hinweisweg digitalisiert.
Die Bundessteuerberaterkammer rechnet hingegen mit mehr irrelevanten Meldungen für die Finanzamtmitarbeiter*innen durch das Meldeportal. Sie glaubt nicht, dass ein solches Portal zu mehr Steuergerechtigkeit führen kann. “Online geht immer alles viel schneller und hemmungsloser. Da ist der ehemalige Arbeitgeber, das Konkurrenzunternehmen, der nervende Nachbar und sicher auch der untreue Ehepartner schnell mit einem Klick angeschwärzt”, warnt Hartmut Schwab, Präsident der Bundessteuerberaterkammer. Er geht daher davon aus, dass man sich in dem Bundesland durch “jede Menge irrelevanter Meldungen” kämpfen müsse.
Im Gegensatz dazu stellt sich die Deutsche Steuer-Gewerkschaft (DSTG) hinter das Hinweisgeberportal. “Ein Vergleich des Portals der baden-württembergischen Steuerverwaltung mit der, Stasi‘ ist ehrabschneidend”, entrüstete sich DSTG-Bundesvorsitzender Thomas Eigenthaler. “Wir sind keine Stümper. Wir können sehr wohl zwischen Anzeigenschrott und werthaltigen Hinweisen unterscheiden”.
Eigenthaler betonte, dass anonyme Anzeigen nichts Neues seien. Anonyme Anzeigen gebe es, seit es Finanzämter gibt. Neu sei nur der digitale Zugangsweg. Das Portal in Baden-Württemberg sei im Grunde sogar eine Verbesserung. “Die Expert*innenen der Steuerverwaltung können auf dem neuen Portal mit dem Hinweisgeber kommunizieren und so für eine weitere Aufklärung sorgen” betonte er. Gelinge dies nicht, weil die Angaben nicht belastbar seien, wandere die Anzeige in den Papierkorb. “Keiner muss befürchten, zu Unrecht angegangen zu werden”, sagte Eigenthaler.
Es gehe auch nicht um Kleinlichkeiten, sondern um “dicke Fische” und auch um Hinweise auf organisierte Kriminalität, wo der Hinweisgeberschutz extrem große Bedeutung habe. Der DSTG-Bundesvorsitzende verwahrte sich auch gegen den aus seiner Sicht verniedlichenden Begriff des “Steuersünders”: “Steuerhinterziehung ist nicht nur eine Sünde und auch kein Kavaliersdelikt. Es handelt sich um eine Straftat, die im schweren Fall sogar mit Freiheitsstrafe bis zu zehn Jahren geahndet werden kann.” Er wies aber auch darauf hin, dass falsche Anschuldigungen strafbar sein können.