Samstag, 27. April 2024

Deutsche Verwaltungsdigitalisierung im Schneckentempo?

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Der Antragsstau bei den Berliner Bürgerämtern während der Pandemie zeigt es deutlich: Einige Fortschritte bei der Digitalisierung der Verwaltung können über fortbestehende Probleme nicht hinwegtäuschen. Bürger*innen und Unternehmen können nur wenige Verwaltungsleistungen digital beantragen, vollständig digitalisierte Verwaltungsverfahren sind die Ausnahme. Das muss euch, liebe Leser*innen verwundern, denn ihr seid es gewöhnt, im täglichen Leben digitale Instrumente zu nutzen. Warum kann die Verwaltung nicht ausreichend mit der Digitalisierung umgehen?

Oft fehlt es an einer hinreichenden Qualifizierung und Fortbildung insbesondere der älteren in der Verwaltung Verantwortlichen. Digitale Bildung – einschließlich des Wissens um eine IT angemessene Organisation – ist auf allen Ebenen zu fördern: von der Schule über die Hochschulen bis in die Führungsetagen der Verwaltung hinein. Die E-Government-Gesetze in Deutschland sehen bereits seit Jahren vor, neben digitalen Zugängen zu den Verwaltungen auch verwaltungsintern das Papier durch elektronische Akten zu ersetzen. Dennoch blieben viele Verwaltungen hinter den gesetzlich festgelegten Zielen zurück, etwa wenn viele Bundesbehörden aus dem E-Government-Gesetz ihre Pflicht missachteten, zum 1.1.2020 ihre Aktenführung zu digitalisieren. Ohne eine hinreichende interne Verwaltungsdigitalisierung wird es aber kaum möglich sein, die Anliegen der Bürger*innen effizient und schnell abzuarbeiten.

Das „Gesetz zur Verbesserung des Onlinezugangs zu Verwaltungsleistungen“ verpflichtet Bund und Länder (und mit ihnen die Kommunen), ihre Verwaltungsleistungen bis Ende 2022 auch elektronisch über Verwaltungsportale anzubieten, doch die Zielerreichung bleibt ungewiss. Auch wenn Bund und Länder in vielen Projekten auf der Basis einer Rekordsumme von 3 Mill. € nach dem „Einer-für-alle Prinzip“ an einheitlichen, schnell umsetzbaren Lösungen arbeiten, so wiegen doch die Versäumnisse schwer: Die 11000 Kommunen in Deutschland, also das „Gesicht der Verwaltung“, wurden nicht rechtzeitig und intensiv in die Digitalisierungsprogramme eingebunden. Das Prinzip „one-size-fits-all“ wird den großen Unterschieden in der Verwaltungspraxis der Kommunen nicht gerecht, die unter Berufung auf die Selbstverwaltungsgarantie ihre bereits fortentwickelten eigenen Lösungen nicht aufgeben wollen. Stattdessen sollte der IT-Planungsrat als Bund-Länder-Kooperationsgremium seine Kernaufgabe wahrnehmen und (offene) Standards für einen angemessenen übergreifenden Datenaustausch mit entsprechenden Schnittstellen festlegen. Mittelständische, innovationsbereite Unternehmen könnten hierzu passende Digitalisierungslösungen auf einem transparenten Bund-Länder-„Marktplatz“ anbieten.

Die Mängel beim Glasfaserausbau und die Funklöcher behindern weiterhin das E-Government, vor allem im ländlichen Raum. Viele neu gegründete Institutionen und Digitalisierungs-„Agenturen“ auf Bundes- und Landesebene suchen nach Lösungen – allerdings ohne klare Kompetenzordnung und übergeordnete Koordinierung etwa durch ein Digitalisierungsministerium. Schließlich nutzt die Bundesregierung zu wenig die Chance, mit  der Umsetzung der europäischen Single-Digital-Gateway-Verordnung die Verwaltungsdigitalisierung europäisch anzugehen und von Partnern zu lernen. Denn Informationstechnik sollte nicht an nationalen Grenzen Halt machen, Europa ist eure Zukunft, ist unser aller Zukunft!

Prof. Dr. Wilfried Bernhardt hat 30 Jahre in Ministerien gearbeitet, ist seit 2015 Unternehmensberater für E-Government und E-Justice, ist CEO der Bernhardt IT Management Consulting GmbH, fungiert als Rechtsanwalt und Partner der Kanzlei Büsing, Müffelmann & Theye und verantwortet als Honorarprofessor an der Juristenfakultät der Universität Leipzig Vorlesungen und Seminare zu Fragen des E-Government, E-Justice, E-Health mit Verbindungen zum Verfassungsrecht und Europarecht und betreut einige Doktorand*innen. Er veröffentlicht zu diesen Themen Aufsätze und hält Vorträge im In- und Ausland, auch in Zentralasien, Mexiko und Sambia. Er wirkt ehrenamtlich in zahlreichen Institutionen wie in den Vorständen des Nationalen E-Government-Kompetenzzentrums e.V. und des Deutschen EDV-Gerichtstags mit.

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