Samstag, 27. April 2024

Helfer für Betroffene von Hatespeech

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Marco Feldmann
Marco Feldmann
Marco Feldmann ist Redakteur für Innere Sicherheit und Bevölkerungsschutz. Er war 15 Jahre lang Fußballschiedsrichter.

Politiker aller staatlichen Ebenen sehen sich in Sozialen Netzwerken im Besonderen und im digitalen Raum im Allgemeinen zunehmend massivsten und übelsten Beleidigungen ausgesetzt. Umgangsformen verrohen zusehends, der politische Anstand erodiert. Aber die Betroffenen sind den Anfeindungen nicht schutzlos ausgeliefert. In Bayern steht ihnen aufseiten der Justiz ein Hatespeech-Beauftragter zur Seite.

Erster Amtsinhaber der neu geschaffenen Stelle ist Oberstaatsanwalt Klaus-Dieter Hartleb. Der 50-Jährige ist für den kompletten Freistaat zuständig. Angesiedelt ist der bundesweit bislang einmalige Posten bei der Generalstaatsanwaltschaft München und dort bei der Bayerischen Zentralstelle zur Bekämpfung von Extremismus und Terrorismus (ZET). Der Hatespeech-Beauftragte koordiniert und unterstützt die Arbeit der Sonderdezernenten bei allen 22 bayerischen Staatsanwaltschaften in Hinblick auf die strafrechtliche Bearbeitung von Verfahren, die Hass und Hetze im Internet zum Gegenstand haben. “Dabei geht es insbesondere darum, einheitliche Maßstäbe der Sachbearbeitung sowie der Rechtsauslegung und -anwendung zu etablieren”, erläutert Hartleb. Dies geschehe durch regelmäßige Dienstbesprechungen mit den Kollegen und Beratungen. Dabei habe sich ein “sehr kollegiales Verhältnis” herausgebildet.

Bayern folgt Flächenkonzept

Und zur Aufgabenteilung zwischen den Dienststellen und ihm erklärt der Jurist: “In Bayern verfolgen wir bei der Verfolgung von Hatespeech ein Flächenkonzept. Das bedeutet, dass die einzelnen Taten in der Regel weiterhin bei der örtlich zuständigen Polizeidienststelle angezeigt und von der Staatsanwaltschaft vor Ort angeklagt werden.” Fälle von herausragender Bedeutung verfolgt Hartleb allerdings selbst und bringt die mutmaßlichen Täter auch selbst vor Gericht. Dazu sagt er: “Das sind ganz besonders exponierte Verfahren, etwa weil Politiker die Geschädigten sind.”

Selbst Ermittlungsverfahren führen würde er aber auch, wenn es sich um besonders komplexe Sachverhalte oder solche mit landesweiter Bedeutung handele, so der verheiratete Familienvater. Dies sei etwa im Ermittlungskomplex rund um die Ermordung des ehemaligen Kasseler Regierungspräsidenten Dr. Walter Lübcke der Fall gewesen. Hier habe der Generalbundesanwalt die strafrechtliche Verfolgung der Mordermittlungen an sich gezogen.

Die dabei festgestellten Hasspostings gegen das Opfer seien dann zunächst von der Generalstaatsanwaltschaft Frankfurt am Main erfasst und danach je nach örtlicher Zuständigkeit an die einzelnen Staatsanwaltschaften abgegeben worden. “In diesem Zusammenhang habe ich sieben Verfahren in Bayern selbst geführt. Dabei kam es auch zu Durchsuchungen bei Beschuldigten und es gab auch bereits erste Verurteilungen”, berichtet Hartleb.

So habe ein Beschuldigter noch zu Lebzeiten Lübckes gepostet: “Hängt diesen Volksverräter.” Hier sei die Rechtslage eindeutig gewesen, auch wenn jeder Fall individuell geprüft werden müsse. “Zwar muss jeweils die individuelle Kasuistik jedes Postings geprüft werden. Bei Schmähkritik oder einer Formalbeleidigung unter Zuhilfenahme von Begriffen aus der Fäkalsprache, wie zum Beispiel “Drecksau”, muss keine Güterabwägung mehr vorgenommen werden”, erläutert der Jurist. Denn die Meinungsfreiheit ende dort, wo ein Straftatbestand beginne.

Ganz genau abwägen

Um diese Grenze aber tatsächlich ziehen zu können, bräuchten die Sonderdezernenten vor Ort und er ein hohes Maß an Spezialisierung. “Denn es muss in jedem Einzelfall genauestens abgewogen werden, ob eine Äußerung oder ein Posting im Netz strafbar ist oder noch durch die im Grundgesetz verankerte Meinungsfreiheit gedeckt ist.” Zudem brauche es gute Technikkenntnisse und Erfahrungen mit Internetermittlungen.

Ein Weisungsrecht besitzt Hartleb im Übrigen nur gegenüber den Sonderdezernenten der zehn Staatsanwaltschaften im Zuständigkeitsbereich der Generalstaatsanwaltschaft München. Die übrigen zwölf Staatsanwaltschaften unterliegen der Aufsicht und damit auch dem Weisungsrecht der Generalstaatsanwaltschaften Bamberg oder Nürnberg.

Schon lange in Bayern tätig

Hartleb stammt gebürtig aus dem Odenwald in Hessen, wuchs aber in Bonn auf. Dort studierte er auch Rechtswissenschaften. Sein juristisches Referendariat leistete er in Bayern ab. Im Jahr 2000 begann er als Staatsanwalt für Verkehrs- und Betäubungsmitteldelikte bei der Staatsanwaltschaft
München I. Diese ist örtlich für die gesamte bayerische Landeshauptstadt zuständig, während sich die Mitarbeiter der Staatsanwaltschaft München II um Straftaten aus dem Bereich des Landkreises München kümmern. Von 2004 bis 2008 arbeitete Hartleb dann als Zivilrichter für Baurecht beim Landgericht München I. Danach ging er als Strafrichter zum Amtsgericht der 1,5-Millionen-Einwohner-Metropole. Hier war er bis 2011 tätig.

Anschließend wechselte Hartleb zurück zur Staatsanwaltschaft München I. “Hier arbeitete ich bis 2018 als Staatsanwalt als Gruppenleiter”, berichtet er. Seitdem ist er bei der Generalstaatsanwaltschaft der bayerischen Landeshauptstadt tätig. In sein aktuelles Amt als Hatespeech-Beauftragter der bayerischen Justiz wurde der Oberstaatsanwalt am 1. Januar vergangenen Jahres berufen.

Mit Blick auf diese Aufgabe sagt Hartleb, der in seiner Freizeit gerne Unternehmungen mit der Familie macht und Mountainbike sowie Rennrad fährt: “Es gibt nicht den einen Tatbestand bei Hatespeech.” Seine Kollegen bei den örtlich zuständigen Staatsanwaltschaften und er hätten es mit unterschiedlichen Delikten zu tun. Statistisch entfielen die meisten Fälle in Bayern jedoch auf Volksverhetzung, Beleidigung, Bedrohung sowie die Verwendung von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen. “Hinzu kommen noch Fälle des öffentlichen Aufrufs zu Straftaten beziehungsweise der öffentlichen Billigung von Straftaten”, erläutert der Jurist. Ebenso heterogen wie die möglichen Delikte ist die Täterschaft bei Hatespeech-Taten. Dazu sagt der Oberstaatsanwalt: “80 Prozent der Hasspostings stammen von Rechtsextremisten. Es gibt aber auch Taten von Linksextremisten und durch Islamisten.”

Über 1.000 Verfahren

In den ersten drei Quartalen 2020, aktuellere Zahlen liegen noch nicht vor, haben die Sonderdezernenten bei den Staatsanwaltschaften im Freistaat und Hartleb als Hatespeech-Beauftragter der bayerischen Justiz in eigener Zuständigkeit 953 Verfahren gegen identifizierte Beschuldigte und 165 Verfahren gegen bislang unbekannt gebliebene Beschuldigte geführt. Dabei hat der Oberstaatsanwalt auch schon selbst Durchsuchungsaktionen begleitet und Anklagen erfolgreich vertreten, sodass gerichtliche Verurteilungen möglich wurden. In Bayern existiert im Zusammenhang mit Hate Speech eine landesweite Vorgabe. Dieser zufolge sind Verfahren wegen Hasskriminalität oder aufgrund gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit nur in absoluten Ausnahmefällen wegen Geringfügigkeit durch die Staatsanwaltschaften einzustellen. Gleiches gilt für den Verweis auf die Möglichkeit und den Weg der Privatklage. Denn, so Hartleb unmissverständlich: “Bei Hatespeech besteht ein besonderes öffentliches Interesse an der Strafverfolgung. Da wollen wir Täter vor Gericht bringen und nicht Verfahren einstellen.” Deshalb würden in diesem Bereich zunehmend konzertierte Durchsuchungsaktionen vorgenommen und entsprechende richterliche Beschlüsse beantragt. Ziel sei es, “die Täter aus der vermeintlichen Anonymität des Internets herauszuholen und Hatespeech konsequent zu verfolgen.”

Als problematisch betrachtet Hartleb in diesem Kontext jedoch unter anderem die fehlende Speicherverpflichtung für Telemediendienste bei dynamischen IP-Adressen. Dazu meint er: “Wenn überhaupt werden diese IP-Adressen maximal für eine Woche gespeichert. Das hilft uns aber kaum weiter.” Schwierig sei es zudem, dass die Täter oftmals Verschleierungstechniken und
das Tor-Netzwerk verwendeten. Und noch etwas kritisiert der Oberstaatsanwalt: “Die Betreiber Sozialer Medien kooperieren kaum mit uns als Strafverfolgungsbehörde. Dabei sind wir in mehr als 90 Prozent auf die dort gespeicherten Bestandsdaten angewiesen.” Diese Angaben, worunter unter anderem die hinterlegte E-Mail-Adresse des jeweiligen Nutzers fällt, würden nur selten genannt.

Rechtshilfeersuchen kaum hilfreich

Auch Rechtshilfeersuchen seien nur bedingt hilfreich. “Denn Rechtshilfeersuchen, die wir an die Vereinigten Staaten von Amerika stellen, wo die Betreiber der Netzwerke ihren Sitz haben, dauern sehr lange und werden kaum beauskunftet”, berichtet der Hatespeech-Beauftragte der bayerischen Justiz. In den USA werde die Meinungsfreiheit nämlich – auch im digitalen Raum – deutlich weiter ausgelegt als hierzulande. Das habe zur Folge, dass Postings dort oftmals nicht als strafbar eingestuft würden. Aufgrund dessen würden sich die Betreiber der Sozialen Medien weigern, die Bestandsdaten des Postingverfassers herauszugeben, berichtet Hartleb. Zugleich registrierten seine Staatsanwaltschaftskollegen und er seit der Migrationskrise 2015 eine deutliche Verrohung der Sitten im Internet sowie eine Zunahme von Hatespeech dort. Ein weiterer Katalysator sei die Corona-Lage. “Sie hat Hatespeech gegen Politiker noch mal deutlich befeuert und verstärkt”, erzählt der Oberstaatsanwalt. Bei der Generalstaatsanwaltschaft München seien inzwischen zwei Online-Verfahren zur erleichterten Anzeigenerstattung bei Hatespeech- Verdacht eingerichtet worden. Bei beiden werde eine Cloud verwendet. Die eine Anwendung ermögliche es bayerischen Medienunternehmen, Hasspostings aus den Kommentarspalten ihrer Internetseiten anzuzeigen. Zwischen Oktober 2019 und Oktober 2020 seien hier 130 Fälle eingegangen, so Hartleb. Hier übernehme grundsätzlich er selbst die Strafverfolgung. Mithilfe des anderen Verfahrens können Politiker aus dem Freistaat gegen sie gerichtete Beleidigungen oder Bedrohungen aus dem digitalen Raum anzeigen. Dies ist für Mitglieder des Deutschen Bundestages sowie des Europäischen Parlaments, die aus Bayern kommen, sowie für Landtagsabgeordnete und kommunale Mandatsträger des Freistaates möglich. Die Strafverfolgung obliegt dann entweder Hartleb selbst oder den Sonderdezernenten bei den örtlich zuständigen Staatsanwaltschaften.

Speicherfrist wäre sehr vorteilhaft

Um hier noch effektiver werden zu können, wünscht sich der Hatespeech-Beauftragte der bayerischen Justiz für die Zukunft die Einführung einer Speicherfrist von IP-Adressen. “Das würde uns bei der Strafverfolgung sehr helfen”, unterstreicht der Jurist. Gleichzeitig ist er gegen eine Klarnamenpflicht im digitalen Raum. “Es gehört zum Wesen des Internets, dass man sich dort in einem gewissen Rahmen anonym bewegen können muss. Außerdem wäre eine Klarnamenpflicht in der Realität nicht durchsetzbar”, zeigt sich Hartleb überzeugt.

Der politischen Unterstützung im Kampf gegen Hasskriminalität kann er sich sicher sein. So unterstreicht Bayerns Justizminister Georg Eisenreich: “Angriffe auf unsere Politikerinnen und Politiker sind Angriffe auf unsere Demokratie. Die bayerische Staatsregierung nimmt diese Attacken auf unseren Rechtsstaat und seine demokratischen Repräsentanten nicht hin. Wer beleidigt und hetzt, muss in Bayern mit Konsequenzen rechnen.” Hass und Hetze seien keine Kavaliersdelikte. Volksverhetzung könne zu erheblichen Geldstrafen oder auch zu Freiheitsstrafen bis zu fünf Jahren führen, warnte der Politiker. “Wir lassen unsere Volksvertreter nicht allein. Der Freistaat steht seinen Kommunalpolitikern und den Abgeordneten des bayerischen Landtages zur Seite”, unterstreicht Eisenreich.

Innenminister Joachim Herrmann warnt vor einer Verharmlosung von Hasspostings. Hetze im Internet könne die Vorstufe für schlimme Straftaten sein. Und Landtagspräsidentin Ilse Aigner (alle CSU) meint: “Vor allem weibliche Abgeordnete und ehrenamtliche Kommunalpolitikerinnen sind zunehmend Opfer von Hassangriffen aus dem Netz. Wenn wir wollen, dass sich in Bayern mehr Frauen politisch engagieren, ohne dabei in Angst zu leben, ist es unsere Pflicht, sie zu schützen.”

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