Freitag, 26. April 2024

“Come As You Are”

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Jonas Benecke
Jonas Benecke
Jonas Benecke ist Werkstudent beim Behörden Spiegel und unterstützt die Online Redaktion beim Audio- und Videoschnitt, sowie bei Recherchearbeiten und der Vorbereitung von F4p Beiträgen. In seiner Freizeit produziert er gerne Musik und arbeitet an eigenen Remixes.

Was steckt hinter dem neuen Motto der Deutschen Bahn, mit dem die Mitarbeiter zur freien Wahl der Uniform ermutigt werden sollen, das aber auch symbolisch für eine Inklusionsoffensive steht?

In einigen Bereichen der Deutschen Bahn – wenn auch nicht in allen – weht frischer Wind. Designer Guido Maria Kretschmer, bekannt durch TV-Formate wie „Shopping Queen“, entwarf 2020 exklusiv neue Uniformen für die Mitarbeiter*innen. Besonders gelobt wurde, dass die Einzelteile der neuen Uniformen viele verschiedene Kombinationsmöglichkeiten bieten und die Mode der Bahn somit individueller wird.  

Diese Individualität wird nun weiter ausgebaut. DB-Chef Richard Lutz teilte im November 2022 mit, von nun an könne jede*r unabhängig von Geschlecht die Uniformvariante tragen, in denen er*sie sich wohlfühlt. Somit stellt es nun kein Problem mehr dar, wenn ein männlicher Mitarbeiter im Rock auf der Arbeit erscheint oder eine weibliche Mitarbeiterin in Herrensacko und Krawatte ihren Job ausübt. Diese Änderung wurde zudem aufgrund der wachsenden Nachfragen der eigenen Angestellten beschlossen. 

Die Deutsche Bahn nimmt sich hiermit unter anderem ein Beispiel an der US-Fluggesellschaft „Alaska Airlines“. Von vielen der dort angestellten Flugbegleiterinnen und Flugbegleitern wurde beklagt, man müsse sich in eine binäre Uniform zwängen, die queere Beschäftigte diskriminiert, da die sich nicht entsprechend ihrer geschlechtlichen Identität kleiden könnten. Dementsprechend entschloss sich Alaska Airlines ebenfalls in Zusammenarbeit mit einer externen Designerin eine neue Uniform zu schaffen, die  nicht nur die klassischen zwei Geschlechter bedient und Möglichkeiten zur Variation bietet. Zudem sind Tattoos und Piercings nun in größerem Ausmaß erlaubt und es gibt Anstecknadeln, mit denen die Mitarbeiter*innen auf die Pronomen, mit denen sie angesprochen werden wollen, hinweisen können. 

Mit diesen Änderungen am bestehenden Dress-Code hat die Deutsche Bahn was PR angeht einen großen Erfolg eingefahren. Der Queer-Beauftragte der Bundesregierung, Sven Lehmann, bezeichnete die Entscheidung der DB beispielsweise als „bemerkenswert gut“. Abgesehen davon setzt sich die DB seit 2019 dafür ein die Diskriminierung schwuler-, bisexueller- und trans Männer bei der Blutspende zu beenden. Überschattet werden diese positiven Veränderungen, von Problemen, die seit Jahren ignoriert werden. Vor allem auf Seiten der Fahrgäste. Die daraus resultierende Unzufriedenheit entlädt sich dann oftmals in Begegnungen mit dem Personal der DB. 

Viele Gäste der deutschen Bahn beklagen die mangelhafte oder teils fehlende Barrierefreiheit der Züge. Im Modell ICE-T sind beispielsweise die extra ausgewiesenen Rollstuhl-Fahrplätze ungünstig vor einer automatischen Tür platziert, die somit durchgehend auf und zu geht. Zudem ragt der Rollstuhl in den Gang hinein, sodass andere Fahrgäste mit ihrem Gepäck oftmals am Rollstuhl hängenbleiben. Andere Modelle, wie der ICE 4, der seit 2017 im Einsatz ist, versprechen für Rollstuhlfahrer*innen vier geräumige Sitze mit verstellbaren Tischen und Notrufknopf inklusive Wechselsprechfunktion, sowie einen Hublift, der den Einstieg in den Zug erleichtern soll. Jedoch scheiterte die Fahrt für viele Rollstuhlfahrer*innen hier bereits an dem nicht barrierefrei zugänglichen Bahnsteig oder dem nicht funktionierenden Hublift, der nach Aussage der DB teils ganze Züge lahmlege und oftmals nicht von Mitarbeitern bedient werden dürfe. Hinzu kommt, dass jeder Wagon eines ICE an beiden Enden eine Tür hat, von denen Rollstuhlfahrer*innen allerdings nur eine benutzen können. Dies liegt an den zu engen Gängen, durch die kein normal großer Rollstuhl passt. In dem Fall, dass die einzig nutzbare Tür jedoch defekt ist, fällt eine Fahrt für den/die Fahrer*in des Rollstuhls flach, da nur in einem Wagon Rollstuhlplätze vorgesehen sind. Als Entschädigung wird von der Bahn zwar meistens ein Hotel und eine Taxifahrt bezahlt, allerdings sind in einem solchen Fall die Reisepläne zerstört. Die Initiative „Barrierefreie Bahn“ bezog zu diesen Problemen des ICE 4 Stellung und sagte: „Das war 2017. Heute – Im Jahre 2022- hat das Warten immer noch kein Ende gefunden. Menschen mit Behinderung sind immer noch abhängig von einem System, das neben dem Abhängigmachen, noch nicht einmal funktioniert.“ 

Mit dem neuen ICE-Modell (ICE 3neo), das seit Ende letzten Jahres im Einsatz ist, wird nun Besserung bei der Barrierefreiheit versprochen. Doch auch hier ist das Resümee der Rollstuhlfahrer*innen, dass der Zug noch weit entfernt von einem barrierefreien Schnellzug ist. Zwar gibt es nun einen unkomplizierter zu bedienenden und funktionierenden Hublift, allerdings kann dieser ausschließlich Rollstühle mit einer Breite von bis zu 72cm befördern. Die Gangbreite hingegen stellt eine deutliche Verbesserung zu Vorläufermodellen dar und ist komfortabel zu berollen. Weitere Kritikpunkte sind, dass nur 2 Rollstuhlstellplätze zur Verfügung stehen, die nicht ausreichend Platz für mitgebrachte Hilfsmittel der Fahrer*innen zur Verfügung stellen, sowie die Behindertentoiletten, die oftmals defekt sind und leider die einzige Option darstellen. 

Die große Kritik der Community von Rollstuhlfahrer*innen aber auch der nicht gehandicapten Kundschaft der DB besteht darin, dass diese mit einzelnen positiven Meldungen versuche, über bestehende Probleme hinwegzutäuschen und damit auch die umgesetzten Maßnahmen entwerte. Während nach außen hin Inklusion und Antidiskriminierung hoch im Kurs stehen, scheint die interne Agenda das genaue Gegenteil darzustellen. Beschwerden und Kritik in Punkto Barrierefreiheit, werden seit Jahren nicht ordnungsgemäß umgesetzt und anstatt mehr Sitzmöglichkeiten für Behinderte zu integrieren, verzichtet man lieber nicht auf 8 Sitzplätze pro Zug, um dies zu ermöglichen. Hinzu kommen regelmäßige Verspätungen und Ausfälle der Züge. All dies sorgt für viel Wut und Unverständnis bei den Fahrgästen, was sich dann oftmals am Personal entlädt. Somit ist keiner Seite weitergeholfen, wenn man beim Thema Diversity und Antidiskriminierung weiterhin nur an der Oberfläche kratzt und Versprechungen nicht eingehalten werden. 

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