Freitag, 3. Mai 2024

Eine Antirassismus-Beauftragte für alle

Die Beauftragten der Beauftragten

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Tanja Klement
Tanja Klement
Tanja Klement kümmert sich um Social Media und Podcast. Nach Feierabend sitzt sie gerne noch an der Nähmaschine.

Seit über einem Jahr hat Deutschland eine Antirassismus-Beauftragte – Reem Alabali-Radovan, Staatsministerin für Migration, Flüchtlinge und Integration. Und es wird wirklich höchste Zeit, dass dem Thema Rassismus auf politischer und gesellschaftlicher Ebene die notwendige Aufmerksamkeit zukommt.

Gerade in den letzten Jahren konnte man als weltoffener und reflektierter Mensch die verschiedenen Auswüchse rassistischen Gedankenguts in Deutschland nicht mehr ignorieren. Warum werden Flüchtlinge aus der Ukraine so viel warmherziger empfangen, als vor ein paar Jahren die Geflüchteten aus Syrien? Warum sprechen wir über Clan-Kriminalität, als gäbe es organisiertes Verbrechen mit familiären Strukturen nur in Kombination mit arabischen Nachnamen? Von der Instrumentalisierung der Kölner Silvesternacht 2015 ganz zu schweigen.

Auch aktuelle Wahlergebnisse und Umfragen untermauern diese Eindrücke. Die AfD gewinnt an Zuspruch und stellt sogar ihren ersten Bürgermeister – in Raguhn-Jeßnitz in Sachsen-Anhalt. Fremdenfeindlichkeit ist damit nicht nur alltäglich, sondern auch ein stückweit salonfähig geworden. Etwas, was wir oh so weltoffenen Deutschen uns nicht gerne eingestehen. Denn in der Erkenntnis “Wir haben ein Rassismus-Problem” schwingt auch immer ein leiser Vorwurf mit.  Das wollten wir doch nicht mehr sein. Wir sind schließlich keine Nazis.

Aber Wegschauen hilft nicht. Deshalb ist es gut, dass wir seit Februar 2022 eine Beauftragte für Antirassismus haben. Und schon seit 2018 einen Beauftragten für jüdisches Leben in Deutschland und den Kampf gegen Antisemitismus – denn auch der ist nach wie vor nicht verschwunden. Ihre vielleicht wichtigste Aufgabe ist es, uns zu zwingen hinzusehen. Denn nur an Problemen, die wir sehen, können wir auch arbeiten.

Manchen, die sich in und für migrantische Communities engagieren und täglich Alltagsrassismus erleben oder erzählt bekommen, geht das noch nicht weit genug. So fordert SPD-Politikerin Sawsan Chebli z.B. auf Twitter einen Beauftragten für den Kampf gegen antimuslimischen Rassismus.

Einerseits verständlich. Denn jeder Volks- oder Glaubensgruppe, die mit Rassismus konfrontiert ist, stehen andere Vorurteile, andere Erwartungen gegenüber. Die einen nehmen „uns“ angeblich die Arbeitsplätze weg. Die anderen sind „garantiert“ faul und nur auf Sozialleistungen aus. Wieder andere sind „natürlich“ Agent*innen feindlicher Industriespionage oder ganz einfach Berufskriminelle. Aus solchen Vorurteilen entsteht Ablehnung – die sich dann bei der Wohnungssuche, im Bewerbungsgespräch oder ganz banal in der S-Bahn zeigt. Das haben zahlreiche Sozialexperimente mehr als bewiesen.

Aber andererseits – schaden wir dem Kampf gegen Rassismus nicht damit, dass wir versuchen, ihn in verschiedene Gruppen einzuteilen? Denn für eine große Bewegung – und ein gesellschaftliches Bekenntnis zum Antirassismus – brauchen wir ein Ziel, mit dem man sich leicht identifizieren kann. Und „ich bin gegen Rassismus“ ist einfacher als „Ich bin gegen die Diskriminierung von Muslim*innen, von Jüd*innen, von Nordafrikaner*innen, von Nordostasiat*innen, etc.“ Auch wenn die damit verbundenen Inhalte dann nicht so klar benannt werden.

Und wo wäre die kritische Grenze, ab der eine Minderheit einen eigenen Beauftragten bekommt?

Was wir brauchen, ist eine Antirassismus-Beauftragte, die alle im Blick hat. Und nicht drei, zehn oder 25, die alle nur auf ihre eigenen klar definierten Probleme achten und dabei übersehen, wofür noch niemand beauftragt wurde.

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