Donnerstag, 9. Mai 2024

Versorgung im sozialen Staat

Schon früh an später denken

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Ann Kathrin Herweg
Ann Kathrin Herweg
Ann Kathrin Herweg ist Teil der Online-Redaktion, koordiniert das E-Journal und unterstützt digitale Veranstaltungen. Auch in ihrer Freizeit ist sie gerne auf Veranstaltungen unterwegs, dann aber als Kamerafrau oder Lichttechnikerin.

Öffentliche Daseinsvorsorge ist mehr als die bloße Bereitstellung von Strom, Wasser und Infrastruktur durch den Staat. Sie beschreibt – wie der Name schon sagt – das Sorgen für all das, was der Mensch für sein Dasein, für das alltägliche Leben und eine funktionierende Gesellschaft benötigt. Doch die Anforderungen ändern sich. Die öffentliche Daseinsvorsorge von heute wird schon morgen überholt sein.

„Eine erhebliche Grundlast an Daseinsvorsorge ist bereits vorhanden“ erläutert Dr. Klaus Effing, Vorstand der Kommunalen Gemeinschaftsstelle für Verwaltungsmanagement (KGSt). Ernährungsversorgung, die Wohnungsversorgung nach dem zweiten Weltkrieg, Infrastruktur und Bürgergeld seien nur einige Beispiele. Man müsse jedoch hinterfragen, so der Präsident der Hochschule für Polizei und öffentliche Verwaltung Nordrhein-Westfalen (HSPV NRW) Martin Bornträger, ob man gegenwärtige Herausforderungen noch mit den althergebrachten Werkzeugen der Daseinsvorsorge meistern
könne.

Von bürgerschaftlichem Engagement über Umweltpolitik bis hin zum Einsatz sozialer Roboter in Kommunalverwaltungen – an den Hochschulen für den Öffentlichen Dienst (HöD) wird ausgiebig geforscht, wie Daseinsvorsorge in Zukunft gestaltet werden sollte. In Praxisprojekten zusammen mit Kommunen erarbeiten Forschende vielversprechende und kreative Lösungsansätze. Bei der Jahrestagung des Praxis- und Forschungsnetzwerks der Hochschulen für den Öffentlichen Dienst (HöD) zum Thema „Die Zukunft der öffentlichen Daseinsvorsorge in Deutschland“ konnten zahlreiche Expert*innen ihre Projekte vorstellen und sich darüber austauschen. Ziel der Fachtagung war es, die vielseitige Forschung an den HöDs sichtbar zu machen.

Grundlagen schaffen

Die aktuell vorhandenen Rahmenbedingungen für kommunale Daseinsvorsorge seinen schon älter, erklärt Dr. Marco Kuhn, Erster Beigeordneter am Landkreistag NRW. Doch immer neue Aspekte kämen zum Aufgabengebiet hinzu. Zudem habe man in diesem Arbeitsfeld keinen statisch vorgegebenen Aufgabenkatalog. Es gilt also einiges zu tun, um Daseinsvorsorge zukunftsfähig zu gestalten.

Eine elementare Voraussetzung für gelingende Daseinsvorsorge: Gestaltungs- und Handlungsspielräume. Hier sieht der Beigeordnete ein Problem: Die finanziellen Möglichkeiten seien gering, Inflation mache auch vor dem Rathaus nicht halt, erklärt er. Zunächst ist daher
eine Klärung es Umfangs öffentlicher Daseinsvorsorge wichtig. Um eine gute Leistungsfähigkeit der kommunalen Daseinsvorsorge zu sichern, müsse definiert werden, was Aufgaben seien, die der Staat wahrnehmen könne bzw. solle. Das erfordere Aufgabenkritik, Schwerpunktsetzung und Selbstanstrengung aufseiten des Bundes und der Länder. Auch die Kommunen blieben gefordert. „Lokale Verantwortung ist imminent wichtig“, betont Kuhn.

Bürgermeister*innen hätten es jedoch bei der Umsetzung von Maßnahmen nicht immer leicht, gibt Effing zu bedenken. Rahmenbedingungen seien oft schwierig, machten die Umsetzung in Kommunen teilweise unmöglich. „Am Onlinezugangsgesetz zeigt sich exemplarisch das Problem“, beschreibt der KGSt-Vorstand. „Nach sechs Monaten ging es nicht mehr um die inhaltliche Diskussion, sondern nur noch um Geld. Das passiert uns in Deutschland öfter.“ Der Gesetzgeber sei hier gefragt, etwas an der Situation zu ändern.

Auf alles gefasst

Für eine zukunftsfähige Daseinsvorsorge setzt Effing auf „ein Mehr an Ressourcen“. Man müsse auf alles vorbereitet sein, denn man wisse nie, was einen als Nächstes erwarte. Die Krisen der letzten Jahre hätten dies deutlich gemacht. „Es kommt anders, als man denkt, aber es kommt“, so der Vorstand. Er sieht hier bei den Kommunen eine große Stärke. „Wir sagen immer: Kommune kann Krise.“ Resilienz allein reiche jedoch nicht aus, was es brauche, nenne man bei der KGSt „Robustheit“.

Eine große Herausforderung sei der demografische Wandel und der damit verbundene Fachkräftemangel. Effing zieht diesbezüglich eine klare Konsequenz: „Wir sind in der Verwaltung verdammt zum Automatisieren und Digitalisieren.“

Menschen im Fokus

Bildung und Zusammenhalt – das sind die Dinge, die die Gesellschaft für ein künftiges friedliches Miteinander benötigt, da ist sich Georg Gelhausen sicher. Der Bürgermeister setzt bei sich in Merzenich auf ein gutes Miteinander. Vereine und kulturelle Angebote – idealerweise kostenfrei und für alle zugänglich – seien von großer Bedeutung für die Zufriedenheit und Gemeinschaft der Bürger*innen.

Gleichzeitig müssten Rollen klar definiert sein, so der Bürgermeister. Man müsse differenzieren, was die Rolle der Verwaltung sei und was die Aufgabe von Bürger*innen. Die Verwaltung müsse dafür sorgen, funktionsfähig zu sein. „Wir müssen fokussiere und Bürger*innen dafür sensibilisieren, dass auch sie eine Eigenverantwortung haben.“ Gelhausen denkt hier beispielsweise an die Gasmangellage. Für die Kriegsgeneration seien solche Situationen kein Problem gewesen, ihr sei klar gewesen, dass man Vorräte anlege, Selbstversorger sei.

Für effektive Daseinsvorsorge braucht es jedoch mehr als nur den Blick auf die eigene Kommune und ihre Einwohner*innen. Auch Vernetzung mit anderen ist wichtig. „Wir als kleine Kommune sind gar nicht in der Lage, das Rad neu zu erfinden“, erläutert Gelhausen. Was man aber könne, sei interkommunale Zusammenarbeit. Die Hemmschwelle, bei der Nachbarkommune nachzufragen, wie Sachverhalte dort gelöst würden, müsse sinken.

Merzenich und die Nachbarstadt Kerpen gehen hier mit gutem Beispiel voran. So übernimmt die Kerpener Stadtverwaltung die Personalverwaltung und den Bereich Vollstreckung für die Gemeinde Merzenich und Merzenich kümmert sich umgekehrt um die Gebührenkalkulation von Kerpen.

Forschung als Chance

„Es ist schwierig, als traditionelle Verwaltung bedarfsgerecht zu reagieren“, gibt Prof. Dr. Jürgen Stember, Präsident der Rektorenkonferenz der HöDs zu bedenken. Er wünscht sich Veränderung. Die Praxis sei jedoch häufig unsicher gegenüber neuen Entwicklungen.

Stember macht Mut, den Wandel zu wagen: „Wir als Hochschulen können den Weg vorzeichnen, in Pilotprojekten gemeinsam mit jungen Menschen Lösungen für die kommunale Daseinsvorsorge finden.“ Insgesamt geht aus der Tagung der Wunsch nach stärkerer Vernetzung zwischen Wissenschaft und Praxis hervor.

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