Freitag, 26. April 2024

Erwischt! Racial Profiling und die Polizei

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Die Rassismus-Debatte in den USA und die Black Lives Matter Bewegung führen auch in Deutschland vermehrt zur Kritik an dem Vorgehen und den Handlungsweisen der Polizei. Diskriminierungs- und Rassismusvorwürfe nehmen zu. Rechtsextremistische Äußerungen und die jüngste Enthüllung rechtsextremer Chatgruppen in der Polizei lassen die Vorwürfe nicht verstummen. Auf der anderen Seite bemüht sich die Polizei zunehmend um Nachwuchs mit Migrationshintergrund und versucht, die interkulturelle Öffnung (IKÖ) voranzubringen. Wie passt das zusammen?

Die Auseinandersetzung mit institutionellem Rassismus und institutioneller Diskriminierung in Deutschland ist seit den späten 2000er Jahren politisch und rechtlich relevant geworden. Dieser Umstand ist nicht nur auf gesetzliche Veränderungen im migrations- und integrationspolitischen Bereich zurückzuführen, sondern auch auf den Übergang zu einer aktiven Integrationspolitik und der zunehmenden Forderung nach einer interkulturellen Öffnung der Institutionen.

Die strikte Ablehnung jeder Form von Diskriminierung und Extremismus ist zunächst ein grundlegendes Prinzip bei allen gesetzgeberischen Maßnahmen. Dennoch bestehen Strukturen, Routinen und institutionelle Rahmenbedingungen, die sich rassistisch auswirken. Eine Diskriminierungsabsicht der Beteiligten ist nicht erforderlich. Die Mechanismen wirken indirekt und subtil, sodass sie von beteiligten Personen und Betroffenen meist nicht wahrgenommen werden. Dass es der Politik und Gesellschaft nicht leichtfällt, zu erkennen, dass rassistische Arbeitskulturen und Praktiken in staatlichen Institutionen wie der Polizei verankert sind, zeigen die jahrelangen Ermittlungen der NSU-Morde. Einseitige Ermittlungen gegen Opfer und Angehörige sowie die von den Medien genutzte Bezeichnung der ,,Döner-Morde‘‘, machen nicht nur die offensichtliche Stereotypisierung und Abgrenzung der Betroffenen sichtbar, sondern verdeutlichen, wie staatliche bzw. polizeiliche Ermittlungsbehörden Rechtsextremismus und Rassismus übersehen, unterschätzen, negieren und sogar selbst rassistische Bedingungen und Strukturen schaffen.

Rassismus schont keinen Teil der Gesellschaft. Die Polizei ist davon nicht ausgenommen.

Rassismus und Diskriminierung sind wandelbare Konzepte, die sich in allen Lebensbereichen zeigen und auf allen Ebenen eng verknüpft sind. Sie können sich in der Einstellung oder dem Verhalten der Beamt*innen zeigen. Sie finden sich aber auch in den von der Polizei angewandten Gesetzen, Regeln und Routinen. Dazu zählen Handlungsroutinen, Maßnahmen wie Identitätskontrollen, Befragungen, Überwachungen, Festnahmen oder Durchsuchungen, die nicht auf einem konkreten Verdacht beruhen, sondern anhand von äußeren Merkmalen wie der Hautfarbe durchgeführt werden. In erster Linie ist hier die Kontrollpraxis des sog. Racial Profiling zu nennen. Es sind die alltäglichen, anlasslosen, verdachtsunabhängigen Personenkontrollen, polizeiliche Überwachungen oder Ermittlungen, die sich aufgrund von Verdachtsstrategien und Erfahrungswissen von Polizeibeamt*innen sowie der Angst vor der ,,gefährlichen Fremdheit‘‘ zuspitzen und nicht selten in Polizeigewalt münden. Dabei wird der Fokus in unzulässiger Weise auf physische Merkmale wie Hautfarbe, Sprache, Religionszugehörigkeit, die tatsächliche oder vermeintliche Herkunft der betroffenen Menschen gerichtet. Weitere Faktoren wie Geschlecht, Kleidung, zugeschriebener sozialer Status oder Alter können ebenfalls Einfluss haben. Fährt beispielsweise ein ,,Ausländer‘‘ ein hochwertiges Auto, passt ein solches Bild oft nicht in das Weltbild der Polizist*innen. Es sind also die Klischeevorstellungen, die Argwohn und Verdachtsmomente auslösen, Stereotype beeinflussen und prägen. Entsprechend wird von einem spezifischen äußerlichen Merkmal – vorwiegend der Hautfarbe – per se auf eine delinquente Handlung geschlossen. So sind ,,ausländisch‘‘ aussehende Menschen, Black and People of Color (BPoC) besonders von Racial Profiling betroffen.

Dass Menschen aufgrund ihres ,,fremden‘‘ Aussehens von der Polizei anders behandelt werden, hängt oft damit zusammen, dass ihnen eine besondere Gefährlichkeit zugeschrieben wird. Bilder bestimmter Einwanderungsmilieus, die sozial abgeschlossene und sogar rechtsfreie Räume bilden können, führen zu Bedrohungswahrnehmungen und erzeugen Angst. Oder denken wir an die Vorfälle der Kölner Silvesternacht 2015/2016 zurück. Hier entstand ein neuer Tätertypus: Männer, die offenbar nicht aus Deutschland stammen. Sie charakterisieren schon äußerlich die Vorstellung, die Ordnung stören und gefährden zu können. Ein gesellschaftliches Feindbild entwickelt sich.

Verwunderlich ist es demnach nicht, dass die Polizei zunächst davon Abstand nahm, Menschen anderer Hautfarbe, Zugewanderte bzw. Menschen mit Migrationshintergrund in ihren Reihen aufzunehmen. Sicherheitsrisiken und Bedenken hinsichtlich der Loyalität zum deutschen Recht stellten sich dem entgegen. Denn obliegt es doch der Polizei für die Aufrechterhaltung der inneren Sicherheit und der öffentlichen Ordnung zu sorgen. Es liegt nahe, dass vor diesem Hintergrund in der Polizeipraxis Argwohn zum Alltag gehört. Polizist*innen müssen Verdacht schöpfen, ein Gespür für riskante Situationen und gefährliche Personen entwickeln. Die Erfahrungen der Beamt*innen konzentrieren sich aber nicht auf die Durchschnittsbürger*innen, denen Gesetzestreue und Ungefährlichkeit unterstellt werden, sondern auf diejenigen, die auffallen. Dies geschieht besonders häufig in hektischen Einsatzsituationen, in denen Entscheidungen aufgrund geringer Informationen getroffen werden müssen.

Es geht um Vorurteile und Verdacht. Bestätigt sich ein Verdacht, ist eine solche Erfahrung nicht leicht zu entkräften. Diese Entwicklung eines Generalverdachts verhindert jedoch situative Offenheit und eine Einzelfallprüfung, sodass sich eine selbst bestätigende, legitimierende Diskriminierungspraxis festigt. Bei allen Versuchen, Diskriminierung mit schwierigen Bedingungen der Polizeiarbeit zu erklären, darf nicht vergessen werden, dass es nicht die abstrakten Strukturen sind, die einen ,,ausländisch‘‘ aussehenden jungen Mann verdachtsunabhängig kontrollieren, sondern handelnde Menschen. Dabei sind viele polizeiliche Handlungen, die eine diskriminierende Wirkung entfalten, Folgen von Unwissenheit und mangelnder Sensibilisierung.

Um Racial Profiling und institutionellem Rassismus generell entgegenzuwirken, ist insofern eine Bewusstseinsschaffung innerhalb der Polizei erforderlich. Umso wichtiger ist es, schon in der Polizeiausbildung, die Grundlage für ein kritisches Bewusstsein zu schaffen, da hier die Grundsteine für die spätere polizeiliche Arbeit, die Regeln, Strukturen und Routinen gelegt werden. Dazu zählt auch, ein modernisiertes Kulturverständnis innerhalb der Polizei zu etablieren.

Die interkulturelle Öffnung ist ein Anspruch an alle Institutionen. Sie verlangt, in einer in verschiedenen Hinsichten vielfältigen, zunehmenden heterogenen Gesellschaft, einen Prozess der Veränderung ihrer Institutionen und Organisationen. Dazu gehören migrationsbezogene Sensibilität, Chancengleichheit sowie Respekt für kulturelle Unterschiede. Entsprechend versucht die Polizei auf Bundes- und Landesebene, die Rekrutierung zu diversifizieren. Doch werden Diskriminierungspositionen dadurch weniger? Braucht es dazu nur mehr Menschen mit Migrationshintergrund in der Polizei? Die interkulturelle Öffnung könnte rassistischen Praktiken und Vorurteilen jedenfalls entgegenwirken und dazu beitragen, Denkstrukturen und Praktiken innerhalb der Polizei kritisch zu hinterfragen. Entscheidend ist, dass Diversität innerhalb der Polizei sowie nach außen akzeptiert und getragen wird. Denn die Förderung der Vielfalt ist eine wesentliche Maßnahme, um sicherzustellen, dass die Zusammensetzung der Polizei die Zusammensetzung der Bevölkerung widerspiegelt.

Kathrin Fitzek studiert an der Fern-Universität in Hagen und interessiert sich für gesellschaftliche und politische Themen. In ihrer Bachelor-Arbeit im Studiengang Bachelor of Laws beschäftigte sie sich mit dem Thema der rassistischen Diskriminierung durch die Polizei.

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