Freitag, 26. April 2024

Hört man der Letzten Generation zu?

Mit Weitblick

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Scarlett Lüsser
Scarlett Lüsser
Scarlett Lüsser ist Volontärin in der Online-Redaktion und kümmert sich auch um Social Media und Podcasts. In ihrer Freizeit spielt sie gerne alle Arten von Gesellschaftsspielen.

Man kennt sie als „Klimakleber“ und „Kartoffelpüree-Werfer“: Die Klimaaktivist*innen von „Letzte Generation“. Sich selbst auf der Straße festkleben oder Kunstwerke mit Essen oder Kleister beschmieren, dafür sind sie bekannt. Aber bewirken sie mit diesen Störungen auch etwas? Oder tragen sie nur zum Unverständnis ihrer Mitmenschen bei und sabotieren sich am Ende selbst? 

Um diese Frage zu klären, stellt sich zunächst eine andere: Was will die letzte Generation eigentlich erreichen? Sie möchten mit ihren Aktionen die Politik zum Handeln zwingen, damit Maßnahmen ergriffen werden können, die das Ansteigen des Weltklimas auf 2 Grad verhindern sollen. Ihre konkreten Forderungen: Ein dauerhaftes 9-Euro-Ticket und ein Tempolimit auf 100km/h. Außerdem wollen sie einen ausgelosten Gesellschaftsrat, bestehend aus allen Bevölkerungsschichten, einführen, um so bevölkerungsnahe Maßnahmen für ein emissionsfreies Deutschland bis 2030 zu finden.  

Mit ihren „Stör-Aktionen“, die immer wieder in unterschiedlichen Städten Deutschlands stattfinden, rufen sie bewusst zu friedlichem zivilem Ungehorsam auf. Jedoch müsse man auch bereit sein, die damit verbundenen Konsequenzen zu tragen. Denn für die Mitglieder der letzten Generation sind auch Verhaftungen hilfreich, vor allem wenn es viele sind. Weil es das politische Dilemma verstärken würde, wenn die Anzahl der Verhaftungen die personellen und räumlichen Ressourcen der örtlichen Polizeidienststelle übersteigt. 

Gegründet hat sich die Aktivistengruppe 2021, als sie einen Hungerstreik in Berlin veranstalteten, um ein Gespräch mit den möglichen Bundeskanzlerkandidat*innen zu erreichen. Die meisten hielten 20-24 Tage durch, doch zwei Aktivisten streikten 27 Tage und begannen sogar einen Durststreik, bevor ihnen Olaf Scholz als einziger Kandidat ein öffentliches Gespräch anbot. Dieses fand im November 2021 statt, jedoch führte es inhaltlich nicht zum gewünschten Ergebnis der beiden Aktivisten. Ihr Hauptziel war es, Scholz ein Bekenntnis abzuringen, dass ihm die Folgen einer 2 Grad heißeren Welt bewusst wären. Dazu war der heutige Bundeskanzler nicht bereit. 

„Essen retten – Leben retten“ – Aktion   

Eine weitere größere Aktion gab es im Januar 2022, unter dem Motto „Essen retten – Leben retten“. Hier klebten sich Aktivist*innen auf der Straße fest, um Forderungen nach einem Supermarkt-Spendengesetz, ähnlich dem in Frankreich (hier könnt ihr mehr dazu lesen) zu verstärken. Auf diese Weise wollten sie auf die unnötige Verschwendung von Lebensmitteln durch Supermärkte aufmerksam machen, da wegen der Klimakrise eine Nahrungsmittelversorgung in Zukunft nicht gewährleistet sei. Neben 69 Straßenblockaden und 254 Festnahmen erreichten sie mit dieser Aktion ein einige Menschen, die sich solidarisch mit passenden Aktionen zeigten. Manche Personen „stahlen“ Lebensmittel aus Supermarktmülltonnen und zeigten sich selbst an, um auf die Absurdität solcher Prozesse hinzuweisen. Gleichzeitig organisierten Interessierte aus 14 Städte in ganz Deutschland (darunter z. B. Berlin und Frankfurt) Verteilaktionen von weggeworfenem Supermarktessen an angemeldeten Straßenständen. Diese Aktion erhielt große Zustimmung, doch Landwirtschaftsminister Özdemir und Justizminister Buschmann kümmern sich erst ein Jahr später um eine Gesetzesänderung, die sie an die einzelnen Bundesländer herantragen wollen. Die Blockadeaktion selbst verurteilte Özdemir allerdings auch als schädlich für das gemeinsame Interesse.  

Neuste Entwicklungen 

Zuletzt lösten die Aktivist*innen Anfang März große Empörung aus, als sie schwarz gefärbten Tapetenleim samt Plakaten auf das Denkmal “Grundgesetz 49” vor dem Bundestag schmierten. Sie wollten damit auf die verheerenden Wirkungen von Erdölförderung und -nutzung für das Klima aufmerksam machen und haben es mit der Aktion auch in das Videoformat „Spitzengespräch“ vom Spiegel geschafft. Zu Gast war eine Aktivistin von Letzte Generation und der FDP-Fraktionsvizepräsident Konstantin Kuhle, die zu der Aktion diskutierten. 

Außerdem gab es im März eine Ankündigung, nach der die Letzte Generation die friedlichen Stör-Proteste in Städten beenden wolle, sofern sich deren Bürgermeister*innen dazu bereit erklären, ihre Forderungen zu unterstützen. Viele Städte sehen das als Nötigung, oder gar Erpressung an. Andere Städte, wie Hannover, Marburg oder Tübingen, haben sich den Ideen angeschlossen und sehen das ganz anders: “Erpressung würde ja bedeuten, dass man seine Haltung ändert. Die Stadt Marburg hat eine klare Haltung.”, so Marburgs Oberbürgermeister Spies gegenüber der Tageschau. Darum wenden sich die drei Bürgermeister*innen nun mit Briefen an Bundeskanzler und den Bundestag, um diese zum Handeln aufzurufen.  

Und unterm Strich? 

Die Letzte Generation gibt es nun schon seit etwa anderthalb Jahren. Was haben sie in dieser Zeit erreicht? Schaut man sich die vielen Protestaktionen und die wenigen tatsächlichen Auftritte in den Medien an, in denen mit ihnen, statt über sie geredet wurde, haben sie bisher eher wenig erreicht. Zwar sind ihre konkreten Forderungen in der Regel sinnvoll, dennoch wirkt es eher so, als würden andere, „Trittbrettfahrer“- Aktionen (wie bei „Essen retten – Leben retten“) mehr Erfolg haben als ihre Sitzblockaden und ähnliche Proteste.  

Bisher haben die Aktivist*innen es auch nur mit „drastischeren“ Maßnahmen in die Medien geschafft (siehe Hungerstreik und Erdöl-Aktion) – zumindest in einen Dialog. Und auch wenn viele ihre Beweggründe nachvollziehen können, stoßen ihre Methoden eher auf Unverständnis und Kopfschütteln. Zumal die Forderungen von einem dauerhaften 9-Euro-Ticket und Tempolimit 100 zwar erst mal sinnvoll klingen, aber in der Umsetzung schwierig zu realisieren sind. Die drei Monate 9-Euro-Ticket z. B. haben die Bahn klar überlastet, was jede*r mitbekommen haben dürfte, der in dieser Zeit auf den Zug angewiesen war. Deshalb finde ich persönlich, dass ohne einen Ausbau der Deutschen Bahn ein dauerhaft günstiges ÖPNV-Angebot nicht sinnvoll ist. Ähnlich verhält es sich mit dem 100 km/h-Limit, denn wo schon das 120er Limit umstritten ist, wird sich kein Autoliebhaber auf 100 km/h Begrenzung einlassen. Deutschland ist eine Autonation und ohne, dass sich an diesem Punkt etwas ändert, wird auch vermutlich aus dem 100 km/h-Limit nichts werden.

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