Samstag, 27. April 2024

“Kein Harakiri mehr”

Von A nach B

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Matthias Lorenz
Matthias Lorenz
Matthias Lorenz schreibt sowohl Texte für den Online-Bereich als auch für die Zeitung. Privat ist er Hobby-Tennisspieler und begeisterter Handball-Fan.

E-Busse in Wiesbaden: Vorreiter und mahnendes Beispiel zugleich

Im Rahmen der Feierstunde zeigen sich alle stolz: Wiesbadens Oberbürgermeister Gert-Uwe Mende (SPD), sein Verkehrsdezernent Andreas Kowol (Grüne), der Geschäftsführer der Wiesbadener Verkehrsgesellschaft ESWE, Jan Görnemann, sowie Rüdiger Kappel vom Bus-Hersteller Daimler Buses. Der Grund: In Wiesbaden ist Anfang Juli der 100. batteriebetriebene Solo-Bus in Betrieb genommen worden. Zweifelsohne ein Meilenstein – trotzdem musste sich die hessische Landeshauptstadt von einem noch ambitionierteren Ziel verabschieden. Die Geschichte zeigt, wie schwierig die Umstellung auf einen emissionsfreien ÖPNV sein kann.

Eigentlich hatten sich Stadt und Verkehrsgesellschaft im Jahr 2017 vorgenommen, Ende 2022 vollständig lokal emissionsfrei unterwegs zu sein. Lokal emissionsfrei bedeutet, dass die Fahrzeuge vor Ort keine Emissionen haben. Anderswo entstehen zurzeit bei E-Bussen noch Emissionen, zum Beispiel bei der Produktion der Fahrzeuge oder bei der Herstellung des zum Betrieb nötigen Stroms. Für die Umstellung waren 220 Batteriebusse vorgesehen.

Doch inzwischen ist viel passiert: Die ESWE wurde von einem Geschäftsführungsskandal getroffen, gegen Verantwortliche ermittelt die Staatsanwaltschaft. Darüber hinaus veranlasste ein Bürgerentscheid die Streichung eines für die Wiesbadener Verkehrswende vorgesehenen Straßenbahnprojekts. Unter dem neuen Geschäftsführer Görnemann wird nun das Ziehen der Notbremse klar kommuniziert: Die Batteriebusflotte wächst in diesem Jahr noch auf 120 Fahrzeuge an – zunächst werden aber keine weiteren bestellt.

Somit ist klar: Bis Ende 2022 wird die Wiesbadener Busflotte zu rund einem Drittel lokal emissionsfrei unterwegs sein. “Damit liegen wir im deutschlandweiten Vergleich im Spitzenfeld”, freut sich Verkehrsdezernent Kowol. Das ursprüngliche Ziel aber, bis Ende 2022 vollständig lokal emissionsfrei zu fahren, wird verfehlt. Die Gründe hierfür sind vielfältig.

Zunächst ist das Scheitern des Projekts “Citybahn” zu nennen. Die geplante Straßenbahnlinie sollte eigentlich ab 2022 in Wiesbaden unterwegs sein. Doch die Bürger*innen sprachen sich an der Wahlurne klar gegen das Projekt aus. “Das ist natürlich ein Rückschlag gewesen”, sagt Oberbürgermeister Mende rückblickend. Damit die Verkehrswende dennoch gelingt, will er nun den Fuß- und Radverkehr stärken sowie anderen schienengebundene ÖPNV-Projekte vorantreiben. Trotzdem gilt: Ohne die Straßenbahn benötigt die ESWE mehr Busse. Selbst die ursprünglich geplanten 220 Batteriebusse würden also nicht ausreichen.

Doch nun wird die Flotte zunächst nur eine Größe von rund der Hälfte an Fahrzeugen umfassen. Dies liegt zum einen daran, dass das Angebot passender Fahrzeuge noch nicht groß genug ist. Für die rund zwölf Meter langen Solobusse konnte man ein passendes Modell finden. “Wir brauchen aber mehr Kapazität im Liniennetz, weswegen wir auch Gelenkbusse einsetzen müssen”, erklärt ESWE-Geschäftsführer Görnemann. Einen passenden E-Gelenkbus hat man bis jetzt aber noch nicht gefunden und musste deswegen 24 neue Dieselfahrzeuge bestellen.

Der Hauptgrund für den Stopp der Flottenelektrifizierung liegt jedoch woanders. Denn der Betrieb einer so großen Batteriebus-Flotte ist hochkomplex. Hierbei sind vor allem drei Aspekte zu nennen: Das Laden der Fahrzeuge, das Management des Betriebshofs sowie die Wartung der Fahrzeuge. Um diese Aufgaben stemmen zu können, entschied man sich in Wiesbaden, einen Generalunternehmer zu suchen, der nicht nur die Busse liefert, sondern sich auch um den Betriebshof und die Ladeinfrastruktur kümmert. Das Unternehmen Daimler Buses sei bereit gewesen, dieses Risiko einzugehen und Neuland zu betreten, sagt Unternehmensvertreter Kappel. Nun habe sich gezeigt, dass die Nachfrage nach diesem Lösungsmodell vorhanden sei. “Deswegen bieten wir diesen Service nun auch offiziell an”, berichtet Kappel.

Auf dem ESWE-Betriebshof in der Nähe des Hauptbahnhofs können die Busse an 96 Ladepunkten Strom “tanken”. Dies stellt eine organisatorische Herausforderung dar, wie Sebastian Aring, der Projektleiter Betriebshof, erklärt. So würden beispielsweise Fahrzeuge, die länger auf dem Betriebshof stünden, langsamer geladen als jene, die nur eine kurze Standzeit hätten. Der Grund: Langsames Laden schont die Batterie. Je nach Wetter und Außentemperatur werden die Busse noch am Ladestecker vor ihrem Einsatz “vorkonditioniert”, also geheizt oder klimatisiert, damit nicht der Akku die hierfür notwendige Energie liefern muss. Darüber hinaus muss beim Laden auch eine Priorisierung erfolgen, um das Stromnetz nicht zu sehr zu belasten. “Der Bus, der am schnellsten wieder raus muss, lädt auch am schnellsten”, bringt er es auf den Punkt.

Das Betriebshofmanagement organisiert jedoch nicht nur das Laden der Busse, die Fahrzeuge werden auch im Betrieb überwacht. So sende jeder Bus während der Fahrt seinen Akkustatus in die Zentrale, erläutert Aring. Dadurch könne man Probleme schnell erkennen und entsprechend reagieren. Das ein Bus wegen einer leeren Batterie liegen geblieben sei, ist laut dem Projektleiter aber noch nicht vorgekommen.

Für die Wartung und Reparatur der E-Busse hat man eine Wartungshalle vollständig umgebaut und ausgerüstet. Nun kann an bis zu drei Bussen gleichzeitig gearbeitet werden. Frank Bauer, Sachgebietsleiter Reparaturausführung bei der ESWE, betont die Wichtigkeit einer eigenen Halle für E-Busse: “Schließlich ist es ein Hochvolt-Bereich, in dem sich nur geschulte Mitarbeiter*innen aufhalten sollen.” Die Halle ist unter anderem mit Gerüsten ausgestattet, über welche Arbeiten an den Dächern der Busse, wo neben der Klimaanlage unter anderem fünf der sieben Batterien pro Fahrzeug platziert sind, ausgeführt werden können. Auch ein Kran ist installiert, über welchen die schweren Akkus aus den Fahrzeugen herausgehoben werden können.

Rund 100 Batteriebusse fahren momentan durch Wiesbaden. Für eine deutlich höhere Anzahl ist auf dem aktuell einzigen Betriebshof der Verkehrsgesellschaft kein Platz. (Foto: BS/Lorenz)

Jene Akkus sind naturgemäß eines der Herzstücke der Busse. Jede der sieben Batterien kostet rund 40.000 Euro und besteht aus mehreren Modulen mit jeweils einzelnen Zellen. Auf diese Batterien gebe es acht Jahre Garantie, so Bauer. Auch sei es das Ziel, bei einem Schaden nicht die ganze Batterie zu tauschen, sondern einzelne Module oder sogar Zellen. Generell ist man bei der ESWE mit dem Reparatur- und Wartungsaufwand der Busse sehr zufrieden. “Sie haben wirklich nicht viele Kinderkrankheiten, gerade auch im Vergleich zu neuen Schienenfahrzeugen oder Dieselbussen”, sagt Görnemann. Bauer ergänzt, grundsätzlich könnten bei E-Bussen alle Wartungsarbeiten anfallen, die es auch bei konventionell angetriebenen Fahrzeugen gebe. Dazu kämen die Elektro-Komponenten. Trotzdem verzeichne man bis jetzt weniger Reparaturen als bei Dieselfahrzeugen. Allerdings sei der Wartungsaufwand etwas höher, unter anderem wegen gesetzlicher Vorschriften.

Deutlich wird also allein an den Beispielen Laden und Wartung: Für die komplexe Infrastruktur, die Batteriebusse benötigen, müssen Konzept und Platz vorhanden sein. Darüber war man sich bei der ESWE offensichtlich nicht im Klaren, als man eine Flotte von über 200 Fahrzeugen vor Augen hatte. Schon mit den 120 Fahrzeugen, die es in diesem Jahr werden sollen, stößt der Betriebshof an seine absolute Kapazitätsgrenze. Zwar könnte man mithilfe von intelligentem Laden vielleicht noch wenige Busse mehr betreuen, vermutet Aring. Wirklich Spielraum gibt es aber nicht mehr. Auch die Infrastruktur für die zehn Wasserstoffbrennstoffzellen-Busse, welche die ESWE in Betrieb hat, benötigt viel Platz.

Deswegen stellt Görnemann klar: “An diesem Betriebshof wird nichts mehr erweitert, wir brauchen einen zweiten Standort.” Erst wenn es einen zweiten Betriebshof gebe, könne man sich wieder darüber Gedanken machen, die E-Bus-Flotte zu erweitern. Dies scheint nun allen Beteiligten klar zu sein: So gebe es laut Görnemann jetzt den entsprechenden Beschluss der Stadtverordnetenversammlung, auf die Suche nach einem Standort für einen zweiten Betriebshof zu gehen. “Wir müssen akzeptieren, dass dies noch einiges an Zeit in Anspruch nehmen wird”, so der ESWE-Geschäftsführer.

So zeigt sich: Zweifelsohne ist man in Wiesbaden einen mutigen Schritt gegangen, als man sich das ambitionierte Ziel setzte, den ÖPNV bis 2022 lokal emissionsfrei betreiben zu wollen. Trotz der sehr großen E-Bus-Flotte wird man dieses Ziel klar verfehlen. Aus den Wiesbadener Fehlern könnten andere Kommunen jedoch lernen. Görnemann empfiehlt: “Man darf nicht den Versuchungen einer Fördermittelpolitik erliegen und 30 bis 40 Busse auf einmal bestellen. Stattdessen ist ein kontinuierlicher Beschaffungsprozess wichtig.” Sonst bestehe die Gefahr, die gesamte Struktur überzustrapazieren, weil man sich ja ohnehin schon auf eine komplett neue Technik einstellen müsse.

Bleibt eine Abschlussfrage: Sei man beim Klimaschutz nicht schneller vorangekommen, weil man so viele Batteriebusse auf einmal bestellt und eingeflottet habe? Stimmt, sagt Görnemann. Ihm graue jedoch jetzt schon vor dem Zeitpunkt, wenn alle Busse relativ zeitgleich das Ende ihres Lebensdauerzyklus erreichten. Und weil man jetzt schon relativ weit gekommen sei, werde man die kommenden Jahre zur Konsolidierung nutzen. Görnemanns zentrale Vorgabe lautet: “Kein Harakiri mehr!”

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